„Immer ein Suchen nach der Wurzel der Dinge…“
29.10.09
Grußschreiben an die Teilnehmer am Erich-Jekelius-Symposion in Kronstadt/Von Margarete Jekelius
Allen Teilnehmern und Organisatoren dieses Symposions möchte ich im Namen der ganzen Familie Jekelius einen Gruß vorausschicken. Da niemand von uns jetzt nach Kronstadt kommen kann – die einen aus Alters- und Gesundheitsgründen, die anderen wegen beruflichen und familiären Verpflichtungen -, komme ich als seine Tochter der Aufforderung gerne nach, stattdessen eine Schilderung meines Vaters aus dem Privatleben abzugeben, so wie wir ihn als Kinder kannten, zu denen er über seine wissenschaftlichen Arbeiten allerdings nur wenig sprach.
Diesem Text lege ich drei Fotos meines Vaters bei. Das erste zeigt ihn, als er etwa 40-jährig, das zweite, als er 51/52 Jahre alt war. Diese beiden Bilder fallen in die Jahrzehnte seiner Forschungen am Geologischen Institut in Bukarest. Auf dem dritten Bild ist unser Vater etwa 75 Jahre alt. Es entstand auf einer Wanderung mit Kindern und Enkeln, die aus Deutschland zu Besuch gekommen waren. Es zeigt, wie gelöst und froh er im Privatleben mit der Familie sein konnte.
Ich beginne diese Wesensschilderung mit einer seiner hervorstechendsten Eigenschaften, seiner Heimatverbundenheit. Sie zeigte sich schon in der Jugend, als er das Studium seines eigentlichen Interessengebietes, der Archäologie, aufgab, weil er erfahren hatte, dass zu der Zeit für Archäologen in seiner Heimat Siebenbürgen keine Berufsaussichten bestanden. So entschloss er sich, Geologe zu werden, da er damit rechnete, als solcher in Siebenbürgen tätig sein zu können. Er wurde Paläontologe. Nach dem Ersten Weltkrieg kam er an das Geologische Institut nach Bukarest. Dort arbeitete er die Woche über, aber die Wochenenden verbrachte er in Kronstadt und stand also immer in Verbindung mit seiner Vaterstadt und mit dem Burzenländer sächsischen Museum, dessen ehrenamtlicher Direktor er später auch wurde, wobei er auf diese Weise im Rahmen seines archäologischen Interesses tätig bleiben konnte. Dem Museum widmete er auch die größte Zeit seines Urlaubs. So hielt er den Kontakt mit Kronstädter Persönlichkeiten und natürlich in erster Linie mit der Familie, die in Kronstadt lebte. Er nahm diese anstrengende räumliche Zweiteilung in Kauf, ausdrücklich auch wegen uns Kindern. Für dieses Opfer sind wir ihm sehr dankbar, denn so wurden Kronstadt und die Kronstädter Berge unsere Heimat, ein festes Fundament, das eine Kraftquelle im Leben abgab, auch wenn uns das Schicksal früh in die Ferne hinausgeschleudert hat.
Nun möchte ich den Verlauf eines Wochenendes mit unserm Vater zu Hause beschreiben. Er kam am späten Samstag Nachmittag mit der Bahn aus Bukarest. Der Abend gehörte der Familie, nachdem er erst noch mit uns Kindern ausgiebig herumgetollt hatte.
Den Sonntag Vormittag verbrachte er im Museum. Als wir Kinder noch kleiner waren, ging meine Mutter mit uns zu Mittag hin, um ihn abzuholen. Dort konnten wir dann die Exponate in allen Abteilungen bestaunen. Nach dem Mittagessen kamen immer Verwandte zum sogenannten „Schwarzen“ (Kaffee) zu uns, und dann wurden sehr interessante Diskussionen über alle möglichen Probleme geführt. Mein Vater hatte einen scharfen Verstand und durchleuchtete mit einem klaren Blick die Zusammenhänge. Irrationale Schwärmerei konnte er mit einer kurzen ironischen Bemerkung zum Platzen bringen. Der Theologie stand er sehr skeptisch gegenüber. Er war Rationalist und Wissenschaftler. Aber er hatte viel Verständnis für die Menschen mit ihren Lebensproblemen. Im musischen Bereich hatte er Sinn und Interesse für bildende Kunst und Literatur. – Den Rest des Nachmittags verbrachte er mit der Familie und mit seiner umfangreichen Markensammlung. Gegen Abend packte er seine Sachen und fuhr wieder nach Bukarest zurück.
Manchmal konnte er seine geologischen Arbeiten nach Kronstadt mitbringen, und dann blieb er einige Wochen da. Ich erinnere mich, dass er in seinem Arbeitszimmer mit einem großen schwarzen Apparat die kleinen Schnecken und Muscheln für seine geologischen Forschungen fotografierte. Die Platten konnte er selber entwickeln, und dazu verwandelte er unser Badezimmer in ein Fotolabor. Er war überhaupt ein passionierter Fotograf und technisch auf diesem Gebiet gut im Bilde.
Einen Teil der Schulferien verbrachte er mit uns in unserem Ferienparadies auf dem Bucegi. Da entstanden schöne Landschaftsaufnahmen. Er war natürlich auch ein geübter Bergsteiger und blieb es auch später noch im hohen Alter, als er, mit 70 Jahren und selber schon krank, während seiner Tätigkeit beim Ministerium für Elektrifizierung Rumäniens noch viele Bergtouren machen musste.
Unsere Mutter blieb immer die seelische Mitte seines Lebens, auch in den schwierigen Zeiten nach dem Krieg, als sie jahrelang schwer krank war. Da hat er sich als praktischer Hausvater bewährt in vorbildlicher Fürsorge für seine damals klein gewordene Familie.
Den Tod unserer Mutter konnte er nur sehr schwer verkraften. Er ging dann in Pension und zog sich ganz nach Kronstadt zurück. Hier begann er, einen alten Plan zu verwirklichen, der die Ahnenforschung betraf, nämlich die Ausarbeitung der Stammbäume der alten Kronstädter Familien. Rastlos blieb er auch im Alter in Aktivität.
Wenn ich zusammenfassend auf das Leben meines Vaters zurückblicke, so bemerke ich, dass seinen verschiedenen Tätigkeitsgebieten etwas Gemeinsames zu Grunde liegt. Es ist immer ein Suchen nach den Ursprüngen, nach der Wurzel der Dinge:
- in der Paläontologie geht es um die Suche nach dem Urzustand der Erde und der Entfaltung des Lebens,
- in der Archäologie geht es um die Suche nach der Frühzeit des Menschen,
- in der Ahnenforschung geht es um die Suche nach der Herkunft und der Geschichte der Familien seiner Vaterstadt.
Er war – bewusst oder unbewusst – immer auf dem Weg zum Ursprung, zu den Wurzeln des Seins. Den Weg geht man nur in der Haltung unbedingter Wahrheitstreue und Gewissenhaftigkeit. Und das waren auch die hervorstechenden Eigenschaften meines Vaters. Dazu kam seine persönliche Bescheidenheit. Er trat als Person ganz hinter seine Arbeit zurück, und er schätzte Menschen nicht, die sich selber in den Vordergrund spielten. Und so möchte ich mir erlauben, meine Ausführungen mit einem kleinen Scherz zu schließen: So sehr sich mein Vater freuen würde, wenn er wüsste, dass die junge Generation von Wissenschaftlern seine Forschungsgebiete wieder aufnimmt und in seinem Sinne weiterarbeiten will, so wäre er doch froh, dass er dies heutige Symposion zu seinen Ehren nicht in irdischer Präsenz, sondern aus himmlischer Distanz miterleben kann.
Und nun wünsche ich allen Teilnehmern einen gewinnbringenden Tag für ihre Tätigkeiten in der Zukunft und verabschiede mich im Namen der ganzen Familie Jekelius mit einem herzlichen Gruß!
Rottweil, im September 2009
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
Redaktion: 500.030 Braşov, Str. GH. Baiulescu 2,
Fernruf und Telefax: 0040 -(0)268/475 841,
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Schriftleiter: Elise Wilk.
Redaktuere:Ralf Sudrigian, Hans Butmaloiu, Christine Chiriac (Redakteurin, 2009-2014), Dieter Drotleff (Redaktionsleiter 1989 - 2007)
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