Kenia: Abenteuer im Tierparadies
30.08.24
Teil 3: Der Ort des Glanzes
Der Besuch im Massai-Dorf hat uns nachdenklich gestimmt. Reisen und erleben von fremden Kulturen ist bereichernd, aber eigentlich lernt man das Land, das man besucht, nur oberflächlich kennen. Auch wenn manche von uns vor der Reise recherchiert haben, auch wenn uns unser Fahrer Henri jede Zeit für Fragen über das Leben in Kenia zur Verfügung steht zeigt uns jede Erfahrung wie wenig wir darüber wissen, wie man sich zu verhalten hat.
Ein Paradies mit Sand und Palmen
Ein paar Tage und viele Game Drives später stecken wir mitten im Verkehr aus Mombasa. Auf der Straße werden Melonen, rosafarbene Seife und T-Shirts mit Bob Marley verkauft. Wir sind schon an mehreren Verkehrsschildern vorbeigefahren, auf denen „Achtung, Elefanten“ steht. Nach den anstrengenden Safari-Tagen, an denen wir täglich um 5 Uhr in der Früh aufstehen mussten erwartet uns ein Strandurlaub in Diani Beach, ein Erholungsort an der Küste des Indischen Ozeans. Unser Flug nach Ukunda, dem am nächsten gelegene Flughafen, wurde gestrichen, also sind wir nach Mombasa geflogen. Die 30 Kilometer zwischen Mombasa und Diani legen wir in fünf Stunden zurück. Wir sitzen im Verkehr, weil der Präsident Kenias gerade einen offiziellen Besuch hier abstattet.
Nur einen Monat zuvor löste seine Entscheidung, einige Steuern zu erhöhen, große Unzufriedenheit in der Bevölkerung aus. Tausende Menschen protestierten dagegen in Nairobi und drangen teils auf das Parlamentsgelände vor. Die Polizei reagierte mit Schüssen, mehrere Menschen wurden getötet. Die Lage ist weiterhin angespannt. Doch nach mehreren Stunden wird der Verkehr endlich freigegeben und als wir im Hotel aus Diani ankommen, vergessen wir alles. Vor uns erstreckt sich das Paradies: eine Küstenlinie mit unglaublich weißem Sand, Palmen, in denen Affen turnen und ein Meer mit unzähligen blau-türkisen Farbtönen. Auf einer der Hotelterrassen wird gerade der Nachmittagstee serviert. Hier in diesem Küstenparadies werden wir uns den Safari-Staub aus der Savanne im warmen, türkisfarbenen Wasser des Indischen Ozeans abwaschen.
Gemischte Gefühle
Es ist wie ein Traum. Aus dem man ab und zu geweckt wird. Wie zum Beispiel an dem Tag, an dem wir während eines Schnorchel-Ausflugs die Insel Wasini im Indischen Ozean erkunden und einem ähnlichen Ritual wie im Massai-Dorf folgen. Nach einem Restaurantbesuch, bei dem uns frische Meeresfrüchte serviert werden, bringt uns unser Reiseleiter ins Dorf. Wir gehen auf schmalen, staubigen Gassen, vorbei an winzigen Häusern mit eingeschlagenen Fenstern und an Höfen, wo Wäsche in der Sonne trocknen. Am Hauptplatz sehen wir unter dem Schatten eines riesigen Baumes ein Gebäude mit bröckelnder Fassade. Auf den Wänden stehen die Namen von wichtigen europäischen Fußballclubs wie FC Liverpool oder Real Madrid. Es ist ein Gebäude, wo Männer sich abends treffen um Fußballspiele zu schauen und sich über Gott und die Welt zu unterhalten. Ein paar Straßen weiter spielen mehrere Kinder in Schuluniform im Freien.
Das Schulgebäude in das wir eintreten ist klein und hat außer einem schmutzigen Flur nur ein einziges Zimmer. Plötzlich sind wir von Grundschulkindern umringt. Sie beginnen zu tanzen und zu singen. Darunter das bekannte Lied „Jambo Bwana“, das wir überall auf unserer Reise gehört haben. Dann zählen sie auf Englisch bis 20. Am Ende der Vorstellung, die sie für uns vorbereitet haben bittet uns die Lehrerin, für die Schule zu spenden. Die Grundschule in Kenia ist kostenlos, aber die Familien müssen für die weiterführende Schule sowie für Lehrbücher, Uniformen und Lehrergehälter bezahlen. Die Kosten für den Besuch einer weiterführenden Schule betragen durchschnittlich 1,30 Dollar pro Tag- das ist für viele Familien mehr, als sie verdienen. Nicht alle Kinder haben Schulbänke, es gibt nur zwei Bücher und die Tafel müsste dringend ersetzt werden. Auch die Decke sieht so aus, als würde sie im nächsten Moment über unseren Köpfen einstürzen. Wir werfen Geldscheine in einen Pappkarton-Dollar und kenianische Schilling. Eine Frau fragt, ob sie sich mit den Kindern fotografieren darf. Sie ist Lehrerin in Rumänien. „Hakuna matata, no problem”, antwortet der Reiseleiter. Die Kinder scharen sich um sie. Später wird sie das Foto auf Facebook hochladen, „damit meine Schüler sehen, unter welchen Bedingungen afrikanische Kinder lernen. Vielleicht legen sie dann mehr Wert auf den Unterricht”. Wir schauen der Frau zu und haben wieder das ungute Gefühl aus dem Massai-Dorf.
Von der Gefahr der unvollständigen Geschichten
Die Schule auf der winzigen Insel im Indischen Ozean besuchen sicherlich hunderte Touristen pro Monat. Sie tun dasselbe wie wir- verschenken wahllos Dinge, fotografieren Slums, Häuser aus Kuhfladen und niedliche afrikanische Kinder und posten sie auf Social Media.Doch mit jedem Foto, das im Netz veröffentlicht wird fördern sie klischeehafte Vorstellungen von Afrika. Es kursieren fast immer dieselben Fotos: armselig gekleidete Kinder, Frauen die Essen auf offenem Feuer kochen, Männer mit Speeren.
Nur wenige weisen auf die Dinge, die fortschrittlich sind: die modernen Shopping-Malls in Nairobi, die eleganten Männer mit Trenchcoat und Hut auf den Straßen Mombasas , das lokale Modelabel, das wir auf dem Flughafen entdeckt haben und das nachhaltige Kleidung und kreative Accessoires produziert, das Engagement Kenias für den Erhalt seines Naturerbes und die Förderung eines nachhaltigen Tourismus. Man sollte nur noch Fotos von Dingen posten, die positiv und fortschrittlich sind, heißt es in einem Artikel, den ich später auf dem Boot lese. Ich erinnere mich dabei an die Wut, die ich immer empfinde, wenn deutsche Zeitungsartikel über Rumänien mit einem Pferdewagen illustriert sind. Es ist natürlich nicht dasselbe, aber man kann das Problem anhand dieses Vergleichs besser verstehen.
Denn genau diese unvollständige Darstellungen eines Landes bieten eine fruchtbare Basis für Vorurteile bieten. Wir alle handeln aus Unwissenheit und eigentlich wünschen wir uns nur, zu helfen. Weißes Privileg geht oft Hand in Hand mit weißer Überlegenheit: wir sind weiß und reich und gebildet und müssen den Armen helfen-dadurch entsteht noch mehr Ungleichheit. Wir kaufen Souvenirs ein, spenden für die Schule, fotografieren uns mit den Kindern. Und dann setzen wir uns in ein Jeep, das uns zum Luxus-Resort fährt, wo wir den Sonnenuntergang mit einem Cocktail in der Hand verbringen und dabei seufzen: „Welch eine Armut!“ Und dann fühlen wir uns gut, weil wir den „armen Leuten“ geholfen haben. Doch dabei versuchen wir nicht, uns in sie hineinzuversetzen. Was macht es mit dir als Mensch, wenn du als rettungsbedürftige Seele abgestempelt wirst? Wenn Fremde, die deine Kultur überhaupt nicht kennen, in dein Dorf spazieren und dir sagen, wie du dein Leben leben sollst? Wirst du dann noch ermutigt, für eine bessere Zukunft zu kämpfen?
Es geht hier nicht nur um Armut, Hunger und Not. Denn es gibt so viele Sachen, die in Kenia viel schöner sind als anderswo auf der Welt. Viele von ihnen werden wir immer in Erinnerung behalten. Der Geruch der Blumen in der Savanne. Der Löwe, der uns bei Tagesanbruch über den Weg läuft. Das Lied, das eine Souvenirverkäuferin am Strand singt. Am Tag vor unserer Heimreise musste ich an die Worte von Ernest Hemmingway denken: „Ich wollte nur zurück nach Afrika. Wir hatten es noch nicht verlassen, aber wenn ich in der Nacht aufwachte, lag ich da und lauschte und hatte bereits Heimweh danach.“
Zum letzten Mal sahen wir den Sonnenuntergang. Alles ist in orangefarbenes Licht getaucht und glitzert. Der Name „Kenia“ bedeutet „Ort des Glanzes“. Die Sonne strahlt hier viel schöner.
Elise Wilk
Zu empfehlen, bevor man nach Kenia reist
• Der Instagram-Account „Barbie Savior“ kritisiert den Auftritt vieler weißer Europäer und Amerikaner in Entwicklungsländern sowie die dahintersteckenden Stereotype– und das auf satirische Art und Weise.
• Der TED-Talk der Schriftstellerin Chiamamanda Adichie (auf Google suchen, es gibt auch deutsche Untertitel), die von der „Gefahr einer einzigen Geschichte“ spricht, wenn nur ein einseitiges Bild von Afrika vermitelt wird
• Paradies: Liebe ist ein Film des österreichischen Regisseurs Ulrich Seidl aus dem Jahr 2012. Er erzählt die Geschichte einer 50-jährigen Wienerin, die als Sextouristin nach Kenia reist. Im „Urlaubsparadies“ angekommen, sucht sie den Kontakt zu den Beach Boys, die am Strand auf Europäerinnen warten, um ihre Dienste anzubieten. Am Ende einer Reihe von Enttäuschungen muss sie erkennen, dass sie am Strand von Kenia nur sexuelle Handlungen, nicht aber Liebe und Zuneigung kaufen kann.
• Afrika – kreuz und quer durch einen bunten Kontinent von Kim Chakanetsa und Mayowa Alabi ist ein Kinderbuch, das aber auch für Erwachsene zu empfehlen ist. Beim Lesen erfährt man von der pulsierenden Musikszene Nordafrikas über die „Wiege der Menschheit“ im Osten, von Modetrends im Westen bis zu den „Big Five“ der Tierwelt im südlichen Afrika. Man begegnet berühmten Personen aus Kultur, Sport und Politik, erlebt lebendige Traditionen und entdeckt beeindruckende Landschaften.
Massai am Strand. Foto: die Verfasserin
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
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