„Kronstadt“ in Ingolstadt
23.04.09
Gastwirtschaft mit traditionellen rumänischen Speisen
Kronstadt liegt in Siebenbürgen. Das wissen mittlerweile sogar viele Deutsche. „Kronstadt“ liegt im Augustinviertel in Ingolstadt. Das scheint noch immer ein Insidertipp zu sein, obwohl man von hie und da schon mal vernimmt: „Nicht schlecht.“ Das Werturteil deutet auf etwas hin, dass mit unseren Sinnen wahrgenommen und bewertet werden kann. Warum lange raten? Es ist keine Kunsthalle und kein Lesecafé, sondern eine Gastwirtschaft.
Hohe Wohnblocks umgeben sie, linker Hand fließt der dichte Verkehr über den Südring der weltweit bekannten Audi-Stadt, hinter dem einstöckigen Gebäude flitzen die schnellen Autos über den Autobahnzubringer auf die viel befahrene A9, die von der Bundeshauptstadt in die bayerische Landeshauptstadt führt. Bis in die Altstadt sind es zu Fuß aber kaum zehn Minuten und man kann dabei den Klenzepark durchschreiten und die Donau überqueren. Es ist März 2009. Erst am letzten Samstag des Monats scheint der unendliche Winter, der gefühlsmäßig mit der Wirtschaftskrise über das Land und den Kontinent gekommen ist, dem Frühling zumindest für ein paar Stunden eine Ankündigungschance zu geben. Sonne vor Mittag und in windgeschützten Ecken sogar so etwas wie Wärme, Sonnenwärme.
Es ist 11.30 Uhr. Vielleicht schon etwas spät für einen kurzen Plausch mit einem Gastwirt, der seine ersten Gäste zum Mittagsmahl empfangen könnte. Ich werfe erst mal einen flüchtigen Blick auf die Speisekarte am Informationskästchen beim Eingang: Platou haiducesc – Heiduckenplatte, Ciorb² de burt² – Kuttelnsuppe, S²rm²lu]e cu smântân² {i m²m²ligu]² - Krautwickeln mit Sauerrahm und Polenta und vieles mehr an Speisen und Getränken.
Zweisprachig. Mir geht nicht der Türke, Chinese, Grieche, Inder usw. durch den Kopf, die alle hier in dieser Stadt Restaurants betreiben, sondern die gestern erst hinter dem Autobahnzubringer (Manchninger Straße) in Dienst gestellte NATO-Einrichtung Military Engeneering Centre of Excellence. Wahrscheinlich werden dort auch rumänische Offiziere arbeiten. Sie könnten hier im „Kronstadt“ ein Stammlokal finden.
Dann stehe ich inmitten der Wirtschaft. Allein. An der Wand ein Flachbildschirmfernseher. Ion Dol²nescu & Carmen Blejan singen. Die Tische sind gedeckt, als wären alle reserviert. Nach einigen Minuten taucht eine untersetzte Frau aus der Küche auf. Ihr Ausländerdeutsch klingt unsicher, als ich deutlich mache, dass ich mehr als etwas zu essen oder trinken will, Worte nämlich, Informationen über das Wie und Warum von „Kronstadt“. Sie ruft nach ihrem Mann, wird aber sofort gesprächig und wartet dessen Kommen nicht mehr ab, als ich den ersten rumänischen Satz ausspreche.
„Das ist eine Gastwirtschaft mit traditionellen rumänischen Speisen. Wir haben 85 Plätze. Gebucht werden Veranstaltungen wie Kommunionfeiern, Geburtstage, Hochzeiten. Kommen Sie doch mal vorbei. Sie werden sich von unserem Angebot überzeugen. Erst kürzlich war Frau Graf, diese Banater Schwäbin, mit ihren Senioren da. Sie haben sich drüben im Raum sehr wohl gefühlt.“ ... Es ging noch weiter und klang nach PR-Sprüchen. Eine Vollblutwirtin, das war schon mal eindeutig.
Seit 40 Jahren ist Maria Maios im Geschäft. Gelernt und gearbeitet hat sie in Kronstadt/Bra{ov, seit 1988 in der bekannten Konditorei „Floare de col]“ („Edelweiß“), am Alten Marktplatz, nahe der Schwarzen Kirche. 1992 hat sie das Lokal übernommen und in ein Restaurant umgebaut. Den Namen hat sie beibehalten und viel investiert. Das Geschäft florierte und Maria war mit ihrem Leben zufrieden, bis familiäre Schicksalsschläge den Alltag eintrübten. So etwas überwindet man aber. Unüberwindbar wurden jedoch andere Hürden.
Und hier mündet diese Geschichte in die Erlebniswelt der rumänischen Transformation, ein spezifischer Gesellschaftstaumel balkanischen Zuschnitts, der Rumänien zwar in die EU stolpern ließ, aber unzählige Wunden schlug und viele Narben hinterließ. Die lebhafte Wirtin mit dem flinken Mundwerk klingt plötzlich verbittert. Sie erzählt von einer Welt, in der das Traditionelle, alles Urige, alles Heimische unter die Räder gerät. Und die evangelische Kirche kommt in dieser Geschichte nicht gut weg. Sie ist Besitzerin des Gebäudes, in dem über „Floare de col]“ auch eine Versicherungsfiliale Ion }iriacs residiert. Von heute auf morgen sollte die Pächterin des Restaurants eine exorbitante Mieterhöhung stemmen. Den Niederlassungsambitionen einer amerikanischen Schnellimbisskette konnte auch ihr Unternehmungsgeist trotz vieler Interventionen beim kirchlichen Eigentümer nichts entgegensetzen. Das war im Jahre 2004 und die rührige Wirtin Maria verließ das „Edelweiß“, Kronstadt und Rumänien.
„Ich muss das hier machen“, sagt sie. „Dieses Metier ist mein Leben.“ Und man glaubt es ihr gerne, wenn man sich umsieht. Wie in einer gutmütigen Berghütte sieht es in ihrem zweiräumigen Restaurant aus. Eben traditionell, urig, heimisch. Rumänisches Ambiente, wie nostalgische Aussiedler es kennen und ab und zu suchen oder wie es neugierige Einheimische kennenlernen wollen. Doch wir leben in Krisenzeiten und sowohl die Einen als auch die Anderen machen sich rar.
Erst im März 2007 hat die umtriebige Maria Maios mit ihrem zweiten Gatten Gabi hier angefangen. Und sie musste nicht lange über den Namen ihres Lokals nachdenken: „Kronstadt“. Er passt eigentlich zu einer Stadt mit so vielen ausgestreckten Fühlern in die ganze Welt. Man denke nur an einen Weltkonzern wie Audi, auch den Flugzeugbauer EADS und nicht zuletzt an die erwähnte NATO-Einrichtung, gleich in der Nähe von „Kronstadt“. In dieser Donaustadt tummeln sich mittlerweile Menschen aus allen Herren Ländern und die können natürlich auch ein internationales kulinarisches Angebot schätzen. Auch eine Wirtschaft mit rumänischen Spezialitäten gehört zu diesem Flair.
Wenn nur diese Wirtschaftskrise nicht über die Menschen gekommen wäre. Maria Maios’ Sorgenfalten passen in diese Zeit. Aber nach jeder Flaute kommt ein Aufschwung. Ein Gast tritt ein. Setzt sich an einen Tisch. Gabi Maios bedient ihn sofort. Die Wirtin wirkt plötzlich unruhig. Es zieht sie in die Küche. Ich bedanke mich für die Informationen und verspreche, mit meiner Frau vorbeizukommen. Die schwärmt heute noch von einer „m²m²ligu]² cu brânz²“ (Polenta mit Käse), die sie vor einer Ewigkeit während eines Schulausflugs nach Siebenbürgen gegessen hatte.
(Internet: restaurantkronstadt.info/)
Foto 1
„Kronstadt“ - eine Gaststätte wo man in Ingolstadt rumänische Kost bekommt.
Foto 2
Maria Maios kann einen erfolgreichen Neuanfang in Deutschland vorweisen.
Fotos: der Verfasser
Mark Jahr
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
Redaktion: 500.030 Braşov, Str. GH. Baiulescu 2,
Fernruf und Telefax: 0040 -(0)268/475 841,
E-Mail:kronstadt@adz.ro
Schriftleiter: Elise Wilk.
Redaktuere:Ralf Sudrigian, Hans Butmaloiu, Christine Chiriac (Redakteurin, 2009-2014), Dieter Drotleff (Redaktionsleiter 1989 - 2007)
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