Kronstadt und die Cholera
13.01.11
Die ersten Fälle werden im August 1831 gemeldet
Durch die Nachrichten über das Wüten der Cholera auf Haiti neugierig gemacht, suchte ich, ob, wie und wann Kronstadt von dieser Seuche heimgesucht wurde. Ich wurde bei unserm alten Bekannten, der Kronstädter Stadtarzt und Medizinhistoriker Dr. Eduard Gusbeth, fündig.
Im Gegensatz zu der Pest und den Blattern, die seit dem Altertum immer wieder in Europa, und also auch bei uns wüteten, ist das Erscheinen der Cholera in Europa recht neuen Datums. Im Gangesdelta ist sie heimisch, von hier hat sie sich immer wieder in Ost- und Südostasien ausgebreitet, aber nach Westen hat sie sich erst im 19. Jh. gewendet: 1823 tritt die Cholera in Astrachan im Delta der Wolga auf. Von hier verbreitet sie sich nach Norden, sie bricht 1829 in Orenburg, 1830 in Moskau und Odessa aus. 1831 ist Skt. Peterburg an der Reihe und, durch den Krieg gegen Polen, wird im selben Jahr Warschau verseucht, hier sterben 2.600 Menschen. Trotz aller Anstrengungen des preußischen Staates bricht die Seuche 1831 in Königsberg und Danzig aus und erreicht im selben Jahr Berlin, wo es 1.462 Opfer gibt. Auch Wien wird 1831, trotz drakonischen Vorsichtsmaßnahmen, nicht verschont und hat 2.188 Tote zu beklagen.
In Kronstadt bricht die Cholera im August 1831 mit 21 Tote aus, im September sind es 10.
1832 wütet die Cholera in London, hier bleibt aber die Zahl der Opfer relativ gering, während in Paris im selben Jahr 18.402 Tote zu beklagen sind.
1836 wird die Seuche aus Italien nach München eingeschleppt, im selben Jahr bricht sie auch in Kronstadt wieder aus mit 11 Toten im September, 53 im Oktober und 2 im November.
1848 ist die Cholera wieder in Kronstadt: 3 Tote im Juni, im Juli 92, im August 159 und im September 14 ist die Bilanz.
1866 ist in Kronstadt wieder Cholerajahr mit 10 Toten im Juli, 113 im August, 149 im September, 19 im Oktober und 3 im November bleiben die Opfer in Grenzen.
1873 wird Kronstadt wieder heimgesucht mit im Juli einem Toten, im August 2, im September 30 und im Oktober 13 Toten.
1883 findet Robert Koch den Erreger der Krankheit, aber trotz den neuen Erkenntnissen bricht im Jahre 1892 in Hamburg eine katastrophale Epidemie aus, die 8.605 Opfer fordert. Hier wurden die elementaren Hygienemaßnahmen missachtet, große Teile der Bevölkerung erhielt ihr verseuchtes Trinkwasser direkt aus der Elbe.
Kronstadt blieb in diesem Jahr von der Cholera verschont. Ob das auf die sehr strengen Vorsichtmaßnahmen zurückzuführen ist, ist nicht schlüssig.
Diese Maßnahmen sahen vor, dass alle Reisende aus Rumänien am Predeal ärztlich untersucht wurden. Dann gab es eine städtische Kommission, die mit Militärdelegierten wöchentlich zusammentrat, die Lage besprach und notwendige Vorkehrungen in Gang brachte. Es wurden vorsorglich mehrere Choleraspitäler eingerichtet, die Stadt wurde in vier Bezirke eingeteilt mit je zwei Choleraärzten. Medikamente sollten den Armen gratis zur Verfügung gestellt werden. Vom 15 Oktober wurden die Aborte in den Hotels, Gast- und Wirtshäusern, am Bahnhof und in den Privathäusern wo sie über den öffentlichen Kanälen lagen (Schwarzgasse!) mit 20 %- er Kalkmilch desinfiziert. Ab dem 15. Oktober wurden die Wirtschafts- und Hausabfälle täglich aus der oberen Vorstadt entsorgt, in die Kanäle wurde einige Zeit lang täglich ungelöschter Kalk geworfen. Vom 15. Oktober bis zum 15, November wurden die Kanäle der oberen Vorstadt gründlich gereinigt. Vom 7. Oktober bis zum 19. November wurden am Bahnhof alle aus Budapest kommenden Reisenden untersucht. Der Herbstjahrmarkt der vom 20. – 22. November abgehalten werden sollte, wurde zuerst verschoben und später ganz verboten.
In Russland wurde die Cholera 1892 über Baku eingeschleppt und erfasste das ganze riesige Reich. Bis November 1892 starben 366.200 Menschen an der Seuche, die bis 1909 endemisch auftrat, bis sie dann ganz erlosch.
1893 erfasste die Cholera erneut ganz Europa außer Griechenland. In Kronstadt war der erste Fall am 22. August 1893 gemeldet, bis zum 15 November gab es noch vereinzelte Erkrankungen. Von 18 Erkrankten starben 12. Auch in diesem Jahr gab es Maßnahmen zur Vorbeuge. Am Predeal wurde wieder die ärztliche Kontrolle der Einreisenden durchgeführt, es wurde empfohlen das Wasser vor dem Trinken abzukochen. Der Verkauf von Gurken, Pflaumen und gekochtem „Kukurutz“ wurde ab dem 25. August verboten.
Nach 1893 blieb Europa und auch Siebenbürgen von der Seuche verschont, aber in den Ländern der dritten Welt tritt die Cholera immer wieder epidemisch auf, so erklärt es sich, dass auch nach Europa immer wieder Cholera eingeschleppt wird. Aber durch die gesundheitliche Vorsorge konnte es nicht mehr zu einer Epidemie kommen.
In Haiti trafen viele Umstände zusammen um die Katastrophe in dem Maße zu ermöglichen: Die durch den Vulkanausbruch in unmöglichen sanitären Verhältnissen Überlebenden, ohne genügende Trinkwasserversorgung, ohne Abwasserreinigung und ohne ein umfassendes Gesundheitswesen waren eine Kombination von Umständen, die den Ausbruch und die Verbreitung nur zu einem Problem das „Wann“ und nicht des „Ob“ machten.
Es ist für einen Menschen der in Europa lebt, nicht vorstellbar, wie viel Leid diese Seuche mit sich bringt und das herrschende Elend noch vertieft.
Erwin Hellmann
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
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