Landschaften, Stillleben, Bildnisse
06.06.25
Erinnerungsblatt für die vor 100 Jahren verstorbene Malerin Lotte Goldschmidt
Anlässlich ihres 100. Todestages soll mit diesen Zeilen an eine Malerin erinnert werden, die in ihrer Geburtsstadt Kronstadt nahezu komplett in Vergessenheit geraten ist. Das Kunstmuseum Kronstadt besitzt offenbar keines der von ihr gemalten Bilder. In der Ausstellung „Deutsche Kunst aus Siebenbürgen im Bestand des Kunstmuseums Kronstadt“ (2011) bzw. in deren Katalog kam/kommt sie nicht vor. Anders verhält es sich mit Hermannstadt, wo sie mehr als ein Vierteljahrhundert als Zeichenlehrerin wirkte. Das Brukenthalmuseum besitzt etliche Gemälde, die sie schuf, und in neuerer Zeit haben zwei Hermannstädter Kunsthistorikerinnen (Doina Udrescu, Gudrun-Liane Ittu) in ihren Veröffentlichungen auch ihr Beachtung geschenkt.
Gemeint ist die Malerin Lotte Goldschmidt, die am 30. Juli 1871 in Kronstadt auf die Namen Charlotte Marie getauft wurde (das genaue Geburtsdatum kennen wir nicht). Sie war eine Tochter des Kronstädter Gold- und Silberarbeiters Ludwig Goldschmidt (1843-1916) und der Julie Marie geb. Schiel, einer Tochter des nachmaligen Kronstädter Stadtpfarrers Samuel Traugott Schiel. Aufgrund einer verwandtschaftlichen Beziehung zum Zahnarzt Heinrich Gust übte Ludwig Goldschmidt auch den Beruf eines Zahntechnikers aus. Zwei Schwestern von Lotte Goldschmidt wurden ebenfalls Zahntechnikerinnen. Eine der beiden, Helene, heiratete in zweiter Ehe den Hermannstädter Zeichenlehrer und Maler Michael Albrich (1871-1913).
Auch für seine Tochter Lotte hatte Ludwig Goldschmidt eine kunstgewerbliche Ausbildung vorgesehen. Im Alter von 15 Jahren begann sie, in seiner Werkstatt mitzuarbeiten. Drei Jahre später zog sie nach Wien und besuchte die Kunstgewerbeschule des dortigen Frauenerwerbsvereins. Da sie aber Malerin werden wollte, folgten Ausbildungsstadien an der „Damenakademie“ des Künstlerinnen-Vereins in München und an der Académie Colarossi in Paris, beim namhaften Porträt-, Genre- und Historienmaler Gustave Courtois. In Budapest ließ sie sich zur Zeichenlehrerin ausbilden. Nachher kehrte sie nach Kronstadt zurück und arbeitete zunächst wieder in der Werkstatt ihres Vaters. 1896 bewarb sie sich erfolgreich um die vakant gewordene Stelle einer Zeichenlehrerin an der Hermannstädter evangelischen Mädchenschule. Hier hat sie nahezu ein Vierteljahrhundert lang unterrichtet. Während des Ersten Weltkriegs, als mehrere ihrer Berufskollegen zum Wehrdienst einberufen wurden, übernahm sie den Zeichenunterricht an vier Lehranstalten. Nach Kriegsende musste Lotte Goldschmidt den Lehrerberuf wegen eines Herzleidens aufgeben. Sie eröffnete eine Werkstatt für Kunstgewerbe, in der sie Schmuck herstellte. Der Tod ereilte sie am 5. Mai 1925, in ihrem 54. Lebensjahr. (Bei den Angaben zu Leben und Wirken von Lotte Goldschmidt stützten wir uns in erster Linie auf Gudrun-Liane Ittus Beitrag „Siebenbürgische bildende Künstler und Künstlerinnen im Ersten Weltkrieg“, erschienen in „Forschungen zur Volks- und Landeskunde“, Bd. 61/2018.)
Lotte Goldschmidts Gemälde können der akademischen Malweise subsummiert werden. Gelegentlich macht sich auch die Nähe zum Expressionismus bemerkbar. Ihr Werk umfasst vor allem Landschaften, aber auch Stillleben und Bildnisse. In der ersten Ausstellung von Arbeiten siebenbürgischer Künstler, die in der Organisation des Sebastian-Hann-Vereins für heimische Kunstbestrebungen im Sommer 1905 in der evangelischen Mädchenschule in Hermannstadt zu sehen war, wurden auch drei Arbeiten von Lotte Goldschmidt gezeigt: ein Ölgemälde („Die Kirche von Notre Dame in Paris“), eine Ölstudie („Porträtskizze“) und eine Zeichnung („Porträtstudie“). Doina Udrescus Buch „Deutsche Kunst aus Siebenbürgen in den Sammlungen des Brukenthalmuseums Hermannstadt (1800-1950)“, I. Band: Malerei, Plastik (Hermannstadt 2003), zeigt an, dass sich in den Beständen der genannten Kunstsammlung drei Gemälde von Lotte Goldschmidt befinden: Bildnisse des Kronstädter Predigers Gustav Schiel (ein Bruder ihrer Mutter) und der Friederike Filtsch sowie ein in Öl auf Karton gemaltes Stillleben. Die umfangreiche Bildersammlung der Kronstädter Malerin und Bildhauerin Margarete Depner (1885-1970), aus der ein privates Museum siebenbürgisch-sächsischer Kunst entstehen sollte, was aber von den ungünstigen Zeitumständen verhindert wurde, umfasste u.a. auch eine von Lotte Goldschmidt gemalte Gebirgslandschaft („Negoi“).
Lotte Goldschmidts Name ist in der heimatkundlichen Literatur gelegentlich im Zusammenhang mit den in Sgrafitto-Technik gearbeiteten allegorischen Frauengestalten genannt worden, die die Fassade der in den Jahren 1881-1884 Ecke Klostergasse/Rudolfsring errichteten Kronstädter Pensionsanstalt (heute Rektorat der Transilvania-Universität) in der Höhe des zweiten Stockwerks zieren. Vor einigen Jahren wurde dieses Gebäude aufwendig restauriert. Für das Projekt zeichnete Dipl.-Architekt Edmund G. Olsefsky verantwortlich. Dokumentiert wird diese Restaurierung in dem umfangreichen, zweisprachig (rumänisch/englisch) erschienenen Buch „Cl?direa Rectoratului. Context istoric ?i repere ale restaur?rii/The Rectorat Building. Historical Overview and Restauration Works” (Kronstadt 2020). Architekt Olsefsky weist in dieser Veröffentlichung zu Recht darauf hin, dass Lotte Goldschmidt altersbedingt unmöglich die Urheberin der erwähnten Sgrafitti sein kann. Möglicherweise sind sie ein Werk ihres Vaters, des Goldschmieds Ludwig Goldschmidt, oder gar des Architekten Peter Bartesch (1842-1914), dem wir diesen im Stil der Neurenaissance errichteten Prachtbau verdanken.
Wolfgang Wittstock
Lotte Goldschmidt: Negoi (Gemälde, Öl/Lw., signiert rechts unten: LG, nicht datiert, 31 x 48 cm, Privatbesitz Kronstadt)
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