„Man spürt die Hoffnung auf ein Wiedersehen…“
23.12.21
Wer war der Autor des während der Russland-Deportation geschriebenen Gedichtes „Mutter – Weihnachten“?/Von Wolfgang Wittstock
Vielleicht erinnern sich die Leserinnen und Leser dieses Beitrags noch an das Gedicht „Mutter – Weihnachten“ von Dolf Galter, das am 20. Dezember 2020 in der “Neuen Kronstädter Zeitung“ (NKZ) und fast gleichzeitig, am 23. Dezember 2020, in der „Karpatenrundschau“ (KR) veröffentlicht wurde. Dieses Gedicht war uns von Univ.-Prof. Dr. Matthias Perl (Leipzig) per E-Mail zugeschickt worden, mit dem Vermerk, es sei 1948 in einem sowjetischen Arbeitslager entstanden. Im Jahr 1974 hatte Herr Perl an einem Sommerkurs der Universität Bukarest, der in Kronstadt abgehalten wurde, teilgenommen. Bei dieser Gelegenheit lernte er zufällig ein Kronstädter deutsches Ehepaar, Familie Galter, kennen. Zum Weihnachtsfest 1974 schickte dann Familie Galter Herrn Perl das erwähnte Gedicht. Das Typoskript, dessen fotografische Reproduktion Prof. Dr. Perl uns zur Verfügung stellte, trägt den obengenannten Titel „Mutter – Weihnachten“ und darunter den Namen des Verfassers (Dolf Galter), den Namen dessen, der das Gedicht vertonte (Dr. Peter Schütz) sowie den Vermerk „Russland - 1948“. Das Blatt ist datiert (Kronstadt, Weihnachten 1974) und vom Verfasser eigenhändig signiert.
Der Veröffentlichung des Gedichtes „Mutter – Weihnachten“ in der NKZ und KR hatten wir einige Anmerkungen darüber, wie dieses dem Deutschen Forum Kronstadt zur Kenntnis gebracht worden war, hinzugefügt. Wir stellten fest, dass unsere Bemühungen, Genaueres über den Autor des Gedichtes in Erfahrung zu bringen, vorerst erfolglos verlaufen waren, während über den als Tondichter genannten Banater Schwaben Dr. Peter Schütz (1899-1977), Arzt, Sänger und Komponist, der die Jahre 1944-1951 in sowjetischer Kriegsgefangenschaft verbracht hat, im Internet ein biographischer Text des bekannten Organisten und Musikhistorikers Dr. Franz Metz zu finden ist. Unseren Beitrag beendeten wir mit der Bitte an die Leserinnen und Leser, die gegebenenfalls den Verfasser des Gedichtes Dolf Galter gekannt haben, mit uns in Verbindung zu treten und uns Genaueres über dessen Lebensumstände mitzuteilen.
Mehrere Zuschriften, die uns erreichten, zeigten, dass die Veröffentlichung des Gedichtes „Mutter – Weihnachten“ Beachtung gefunden hat. Beispielsweise meldete sich ein in Köln beheimateter Leser mit einer Korrespondenz, aus der wir folgenden Satz zitieren: „Das Gedicht ist sehr eindrücklich, man spürt die Leiden der Betroffenen im Arbeitslager, die Sehnsucht nach daheim, aber auch die Hoffnung auf ein Wiedersehen.“ Desgleichen erreichte uns ziemlich bald nach der Veröffentlichung ein Hinweis zur Identität des Verfassers, der sich aber nach genauerer Prüfung als falsch erwies. Vermutet wurde als Autor Adolf Kuno Galter (1891-1977), geboren 1891 in Neustadt (Burzenland), langjährig (1939-1967) evangelischer Pfarrer in Großschenk, der seinen Lebensabend in Kronstadt verbracht hat, hier 1977 verstorben ist und in seinem Geburtsort Neustadt beerdigt wurde. Bekannt war in der Verwandtschaft und Bekanntschaft, dass Adolf Kuno Galter (sein Rufname war Kuno) gern gedichtet hat und dass einer seiner Enkel, Hannes Galter (Graz), eine Buchausgabe seiner Verse vorbereitet. Dieser Band mit Gedichten von Kuno Galter ist kürzlich unter dem Titel „Im stillen Träumen Deiner dunklen Augen“ veröffentlicht worden.
Dem Großschenker Pfarrer Adolf Kuno Galter selbst ist die Russland-Deportation erspart geblieben, da er, als im Januar 1945 die Aushebungen stattfanden, das Alter von 45 Jahren - dies war das obere Limit für die zu deportierenden Männer - bereits überschritten hatte. Ausgehoben und deportiert wurde aber einer seiner Söhne, Heinz Galter (1926-2019), später Pfarrer in Neppendorf. Angenommen wurde nun -wie schon gesagt: fälschlicherweise -, dass Adolf Kuno Galter sich in Gedanken in die Situation seines deportierten Sohnes hineinversetzt und das Gedicht „Mutter – Weihnachten“ geschrieben hat, obwohl er gar nicht in die Sowjetunion deportiert worden war. Diese These klang plausibel, doch stimmten etliche Details, die uns Prof. Dr. Matthias Perl über den Verfasser des uns zugeschickten Deportationsgedichtes mitgeteilt hatte, nicht mit den uns von anderer Seite zugetragenen Angaben über Adolf Kuno Galter überein: Dolf Galter war 1975 (nicht 1977) gestorben, sein letzter Wohnsitz befand sich in Kronstadt in der Hintergasse/Avram-Iancu-Straße, während verbürgt ist, dass Adolf Kuno Galter zuletzt in einem Wohnblock in der Aleea Petuniei, in der Gegend des früheren Kronstädter Hauptbahnhofes an der Honigberger Straße, gewohnt hatte.
Ein reelles Hindernis beim Versuch, Genaueres über den Verfasser des Gedichtes „Mutter – Weihnachten“ zu erfahren, stellten die strengen gesetzlichen Bestimmungen zum Personendatenschutz dar. Trotzdem gelang es uns schließlich, zweifelsfrei etliche Angaben zu dessen Identität zu ermitteln. Das geschah dank zuverlässiger Gewährspersonen, deren Namen hier nicht genannt werden, um ihnen etwaige Schwierigkeiten zu ersparen. Was wir letztendlich über Dolf Galter erfahren konnten – wenig, aber doch mehr als nichts -, ist Folgendes:
Der Verfasser des Gedichtes „Mutter – Weihnachten“, Adolf (Dolf) Galter, erblickte das Licht der Welt am 7. August 1911 in Rothbach (Burzenland) als Sohn des Adolf Galter und dessen Frau Rosa Galter geb. Kirr. Im Jahr 1936 heiratete er Adele (Adelheid) Maria Lorenz (1911-1995). Adolf Galter hat den Beruf eines Drogisten ausgeübt. Zeitweilig hat er in Bukarest gelebt. Er verstarb am 28. März 1975 in Kronstadt, wo er auch beerdigt wurde.
Der aus Rothbach gebürtige Adolf Galter gehörte zu den rund 70.000 Rumäniendeutschen, die im Januar 1945 zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion deportiert wurden. Dort muss er dem aus dem Banat stammenden Arzt Dr. Peter Schütz begegnet sein, der sein Gedicht „Mutter – Weihnachten“ vertont hat. Von Dr. Franz Metz wissen wir, dass Dr. Peter Schütz am Tag seiner Befreiung aus der Kriegsgefangenschaft sämtliche bei ihm befindliche Schriftstücke abgegeben musste. Nach seiner Heimkehr ins Banat hat er die in Russland komponierten Lieder aus dem Gedächtnis wieder niedergeschrieben, darunter auch, in zwei unterschiedlichen Versionen, Vertonungen des Gedichtes „Mutter – Weihnachten“, beide unter dem Titel „Weihnacht“. Dr. Franz Metz hat uns fotografische Reproduktionen beider Partituren freundlicherweise zukommen lassen. Am Ende einer dieser Versionen hat der Komponist handschriftlich Folgendes vermerkt: „Diese Melodie habe ich am 13. Sept. 1947 in Russland gemacht – mit dem Text ‚Heute kam die erste Nachricht, nach so langer, langer Zeit‘ -, als ich noch in Kramatorks war, von wo ich am 20. Sept., also 7 Tage nachher, in das Kriegsgefangenen-Lager in Kramatorsk überführt wurde.“ Zum besseren Verständnis dieses Satzes hilft vielleicht der Hinweis weiter, dass es auf dem Gebiet der ostukrainischen Stadt Kramatorsk außer zwei Arbeitslagern für zivile Deportierte auch ein Kriegsgefangenenlager für deutsche Kriegsgefangene des Zweiten Weltkriegs gegeben hat (siehe Ilie Schipor: Deportarea în fosta URSS a etnicilor germani din România, Hermannstadt 2019, S. 122 u. 124, und den deutschsprachigen Wikipedia-Artikel über Kramatorsk).
Von der Heimatortsgemeinschaft Rothbach in Deutschland (Vorsitzender: Otmar Schall) erhielten wir die Nachricht, dass in Kronstadt noch Nachkommen von Adolf Galter leben. Der Versuch, diese zu kontaktieren, war erfolglos. Tor und Tür blieben verschlossen, auf einen Brief erfolgte keine Reaktion. Interessiert hätte uns Zusätzliches zur Biographie, aber auch eine Antwort auf die Frage, ob sich im Nachlass von Adolf Galter noch weitere von ihm geschriebene Gedichte befinden.
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
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