Meeburg – das Dorf mit dem spitzen, weißen Kirchturm
30.09.10
Ein Streichen des Turmdaches wäre notwendig
Vor Ende des 2. Weltkriegs fanden bekanntlich die Massendeportationen in Osteuropa statt. Darunter auch jene der Siebenbürger Sachsen, Sathmarer – und Banater Schwaben im Januar 1945 zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion. Nach ihrer Ankunft in den Lagern folgte als erstes die Bekanntschaft der Neuankömmlinge untereinander, damit die Landsleute aus der gleichen Heimatregion möglichst zusammenbleiben, um sich leichter zu verständigen, und sich so eventuell gegenseitig zu helfen. Die Meeburger waren erstaunt, dass sogar viele Banater aus dem äußersten Westen Rumäniens wussten, von wo sie herkamen: „Aus dem Dorf mit dem spitzen, weißen Kirchturm, den man sieht, wenn man mit dem Zug von Bukarest über Kronstadt nach Arad fährt?“ war immer wieder die Frage. Weiß symbolisiert Reinheit und gibt Vertrauen auch heute.
Tatsächlich - fährt man mit der Eisenbahn durch Siebenbürgen von Kronstadt/Brasov in Richtung Schäßburg/Sighisoara, so kommt man nach dem Bahnhof Reps-Hamruden/Rupea-Homorod bald in das Gebiet des Großen und Kleinen Hommorods, Nebenflüsse des Alts. Nach Katzendorf/Cata und Königsdorf/Palos fährt der Zug schließlich an Meeburg/Beia vorbei, hinein in den nördlichsten Tunnel im Kreis Kronstadt. Der mächtige Berg über dem Tunnel ist zugleich der Punkt, wo die Kreise Kronstadt, Mieresch/Mures und Harghita zusammentreffen, im ehemaligen österreich-ungarischen Fürstentum Siebenbürgen, auch als Transsylvanien bekannt. In der Nähe, im Tal des Großen Hommorods im Repser Ländchen, befindet sich die Ortschaft Draas/Drauseni, ehemals die östlichste deutsche Siedlung des früheren Sachsenlandes auf „Königsboden". Etwas weiter weg erheben sich die Ostkarpaten. Nach dem Tunnel fährt der Zug in den Kreis Mieresch und schließlich in die mittelalterlich geprägte Touristenstadt Schäßburg ein. Doch bevor man in den Tunnel einfährt, sieht man ihn - den spitzen, weißen Kirchturm von Meeburg.
Erstmals wurde Meeburg im Juni 1442 vom siebenbürgischen Fürsten Iancu de Hunedoara (ung. Hunyadi Janos), in einem Brief erwähnt, den er anscheinend da in der Meeburger Kirchenburg an die Bürger von Streitfort/Mercheasa im nahen Hommorodtal verfasste.
Der spitze Glockenturm der Kirchenburg in Meeburg ist relativ jung im Vergleich zu den Kirchenburgen Siebenbürgens. Er wurde erst 1892 gebaut, und heutige Meeburger erinnern sich, wie ihre Urgroßeltern damals auf der Baustelle in der Ortsmitte in den Messingkesseln, die heute die Kuppel bilden, Verstecken spielten. Der heutige Kirchturm steht anstelle des alten, den Martin Schlichting auf seinen Reisen durch Siebenbürgen im 19. Jahrhundert auf einer Zeichnung für die Nachwelt festgehalten hat, und der Ende des 19. Jahrhunderts abgetragen wurde. Den alten Kirchturm hatte man vor Jahrhunderten im selben Stil gebaut, wie er heute in den Nachbarortschaften Radeln/Roades und Arkeden/Archita zu sehen ist, also mit einem offenen Wehrgang in der unteren Hälfte des Turmdaches, sowie einem zweiten darunter unter dem Dach. Den Baustil des neuen Meeburger Kirchturms kann man mit seinen spitzen Fenster- und Türarkaden, sowie seiner spitzen „in den Himmel stechenden“ Form allgemein als gotisch bezeichnen. Beim genauen Betrachten entdeckt so mancher auch Stilelemente der rumänischen und seklerischen Kirchtürme aus der Umgebung, ähnlich wie jene, die von Touristen in Westungarn und im Burgenland bewundert werden.
Im Laufe der Jahrzehnte wurden immer wieder Renovierungsarbeiten am neuen Meeburger Kirchturm durchgeführt, wie etwa das Streichen des Zinndachs, oder das Verputzen der witterungsexponierten Außenwände. Die letzte größere Renovierungsarbeit war jedoch in den letzten 80-er Jahren, so dass beispielsweise ein Streichen des spitzen Daches wieder nötig wäre. Allerdings ist das eine besondere Facharbeit, die leider nicht einfach von einem Laien durchgeführt werden kann. Sie wäre eventuell eine Herausforderung für einen bewährten und auch besinnlich orientierten Bergsteiger – der letzte Facharbeiter schwebte nämlich an einem Seil in luftiger Höhe.
Das Zinndach hat der Kirchturm erst im 1. Weltkrieg erhalten, als die Meeburger das Kupferdach bei den Militärbehörden abgeben mussten. Zu Munitionszwecken mussten die Meeburger auch die alten Glocken aus der vorreformatorischen Zeit und jene aus dem 15. Jahrhundert abgeben (vgl. Fr. Müller: „Zur älteren siebenbürgischen Glockenkunde“ und die Monographie Meeburg). So trägt die älteste Meeburger Glocke heute die Jahreszahl 1902. Es ist die „kleine“ Glocke. Die große Meeburger Glocke, die auch heute immer wieder erklingt, wenn Mitglieder der Meeburger evangelischen Gemeinschaft im In- und Ausland beerdigt werden, und deren Klang am meisten bewundert wird, stammt aus der Zwischenkriegszeit. In der ersten Nachkriegszeit, während der ersten Amtszeit des geschätzten Pfarrers Kurt Fabritius, wurde sie nach einer Sprungbeschädigung in einer Bukarester Werkstatt neu gegossen. Zugleich ließen die Meeburger auch die heutige mittlere Glocke gießen. Nach alter Tradition läutet die Glocke auf dem Kirchturm „Am rumänischen Berg“, um bei einem nahenden Gewitter die dunklen Wolken zu zerstreuen.
Ansonsten ragt der Kirchturm der Meeburger Kirchenburg zwar spitz in den Himmel, ähnlich wie das höchste sakrale Bauwerk der Welt in Ulm, jedoch ist er „bloß“ 48 Meter hoch. Das reicht allerdings da, in der nordöstlichen Region des Repser Ländchens am Rande des Seklerlands, um auf sich aufmerksam zu machen. Es ist erfreulich, dass die Leitung des Kirchenbezirks Kronstadt, das Demokratische Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt (DFDKK) und der „Mihai-Eminescu-Trust Romania“ sich auch für die Erhaltung der Baudenkmäler im Repser Ländchen einsetzen (siehe KR vom 22.07.2010). So dürfen vor allem die wenigen Siebenbürger Deutschen in Meeburg hoffen, dass ihr Kirchturm in nächster Zukunft wieder in seinem strahlend-weißen Kleid von vielen Reisenden gesehen wird, die mit dem Zug von Bukarest über Kronstadt nach Arad oder Oradea fahren wie vor rund 70 Jahren.
Michael Schuller
Foto 1
Kirchenburg Meeburg 2007
Foto: Friedrich Meburger
Foto 2
Kirchenburg Meeburg um 1860
Zeichnung: Arch. Hermann Fabini nach Martin Schlichting
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