Minderheitenpolitik vor 1939
26.11.09
“Das Schlagwort der Gleichberechtigung” - zwei Briefe von Emil Neugeboren (I)
Vor genau 70 Jahren, am 28. November 1939, schrieb Emil Neugeboren (1870-1950), der vor dem 1. Weltkrieg im Budapester Reichstag Hermannstädter Abgeodneter gewesen war, einen Brief an Alexandru Vaida-Voevod (1872-1950), der vor 1918 als siebenbürgischer Rumäne ebenfalls Abgeodneter im Budapester Parlament gewesen war. Vaida-Voevod wurde nach 1919 einer der bedeutenden Politiker im bürgerlichen Großrumänien. Er war dreimal Ministerpräsident und 1935 Vorsitzender des “Frontul Românesc”. Von ihrer gemeinsamen Zeit im Budapester Perlament waren Neugeboren und Vaida-Voevod bekannt und offernsichtlich auch befreundet.
Neugeborens Ausführungen stellen eine Zusammenfassung der Kritik an der Minderheitenpolitik Großrumäniens dar, wie sie in den 20 Jahren nach der “großen Vereinigung” stattgefunden hatte, bevor im Staate die Legionäre, bzw. General Antonescu, in der deutschen Minderheit aber die Nationalsozialisten mit Andreas Schmidt “die Macht übernommen” hatten. Es scheint uns wichtig, an die Situation zu erinnern, wie sie sich bei Beginn des Zweiten Weltkriegs in den Augen eines konservativen Siebenbürger Sachsen darstellte. Der Brief ist in einem nicht immer gut leserlichen Durchschlag in einem Berliner Archiv gefunden worden. Eine kritische Edition des Textes samt einer Übersetzung auch ins Rumänische bleibt einer wissenschaftlichen Bearbeitung vorbehalten. (Paul Philippi)
Hermannstadt, 28.11.1939
Brukenthalgasse 16
Lieber Vaida!
Du hast am 12. November in Klausenburg eine Rede gehalten, in der Du auch der Minderheiten, insbesondere der Deutschen des Landes in freundlicher Weise gedachtest. Sogar Verse aus unserem Siebenbürgenlied hast Du in deutscher Sprache zitiert. Das war nett von Dir, und wenn ich den Zweck verfolgte, mich bei Dir beliebt zu machen, würde ich Dir hier in schönen Worten meinen Dank ausdrücken. Ich habe aber die Absicht, Dir einige aufrichtige Bemerkungen zu machen, und da muss ich Dir sagen, dass Deine Rede, so gut sie gemeint war, auf uns Deutsche keinen Eindruck gemacht hat; falls Dir ein anderer Deutscher etwas anderes gesagt hat, hat er geheuchelt. Ich kann dies auch begründen. Wenn Du Deinen Worten hinzugefügt hättest, es sei das Ziel der Front, die wahre Gleichberechtigung der Bürger Rumäniens zu verwirklichen, die bisher nur auf dem Papier existiert hat, die bisher nur in zahllosen schönen Reden immer und immer wieder betont worden ist, ohne dass sie in der Praxis durchgeführt worden ist; wenn Du, wie einstens vor 60 Jahren der edle Mocsàry Lajos, Deinen Volksgenossen scharf ins Gewissen geredet hättest, mit der vernünftigen Minderheitenpolitik endlich Ernst zu machen – ja, dann würde ich Dir herzlich die Hand drücken und würde mit Dir mich der frohen Hoffnung hingeben, dass die Schlussverse unseres Liedes, das Wort von dem Band der Eintracht, das sich um alle Söhne, nicht nur Siebenbürgens, sondern des ganzen rumänischen Landes schlingen soll, über kurz oder lang schöne Wirklichkeit werden wird. So aber war Deine Rede eine von den vielen, allzuvielen, die wir alle Jahre zahllosemale, bei jeder festlichen Gelegenheit zu hören bekommen und die wirkungslos verhallen – wirkungslos bei Euch Rumänen und eindruckslos bei uns Minderheiten! Denn es sind nur Worte, wortleere Worte, hinter denen kein ernster, fester Willen steht!
Die bei solchen Gelegenheiten übliche Behauptung, dass die nationalen Minderheiten dieselben Rechte haben und ausüben dürfen wie die Blutsrumänen, erkläre ich mit aller Entschiedenheit für unrichtig und werde meine Thesen beweisen.
Bevor ich aber zu dieser Beweisführung übergehe, schicke ich folgende Bemerkungen voran:
I. Ich bestreite nicht, dass die nationalen Minderheiten in Rumänien, insbesondere die Deutschen, verhältnismäßig besser behandelt werden als die Minderheiten in manchem anderen Land. Als es z.B. in Polen und in der Tschechoslowakei seligen Angedenkens der Fall war. Aber eben nur verhältnismäßig!!
II. Der Begriff der „Gleichberechtigung“ schließt für meine Auffassung nicht aus, dass die rumänische Sprache als Amtssprache des Staates dort, wo es sachliche und praktische Rücksichten unbedingt erfordern, den Vorrang haben muss. Überhaupt, dass das Rumänentum vor den nationalen Minderheiten das Recht hat, dem Staat in allen sachlich und praktisch wichtigen Belangen sein Gepräge aufzudrücken.
III. Ich gebe zu, dass manches, was Angehörigen einer nationalen Minderheit als besondere Schikane und Vexation erscheint, dieses nicht ist, sondern nur gewissen Eigenheiten und Gewohnheiten entspringt, die z.B. vom Siebenbürger Rumänen fast ebenso lästig und als Unrecht empfunden wird wie vom Minderheitler, somit nicht unter den Begriff der verfehlten Minderheitenpolitik fällt.
*
Ich glaube, durch diese Vormerkungen gezeigt zu haben, dass ich dem Thema der Minderheitenbeschwerden in Rumänien mit ruhiger Kritik gegenüberstehe und imstande bin, die Frage objektiv zu beurteilen. Man kann mir, wie ich glaube, nicht den Vorwurf machen, die Dinge einseitig nur unter dem Gesichtspunkt der uneingeschränkten Interessen meines eigenen Volkstums zu sehen; ich beschäftige mich seit so vielen Jahrzehnten mit der Minderheitenfrage, dass ich imstande bin, auch die berechtigten Ansprüche des Mehrheitsvolkes zu verstehen.
Bei alledem halte ich eine Reihe von Beschwerden meiner Volksgruppe gegen die Behandlung, die ihr vonseiten des rumänischen Staates zuteil wird, für vollberechtigt. Ich greife einige Fälle daraus heraus.
1. Das Schulwesen der nationalen Minderheiten. Eine wirkliche Gleichberechtigung, deren Vorhandensein von rumänischer Seite behauptet wird, würde es erfordern, dass der Staat materiell wie geistig der deutschen Schule dieselbe Sorge zuwendet wie der rumänischen, selbstverständlich das erstere im Verhältnis zur Zahl der Schulkinder und zu der Steuerleistung der Deutschen. Davon ist aber nicht annährend die Rede! Zehntausende deutscher Kinder haben in der Bukowina, in Bessarabien und im Banat die rumänische Schule besuchen müssen, weil ihnen keine deutschen Schulen zur Verfügung standen. Und zwar in vielen Fällen, obwohl ihre Gemeinden bereit waren, eine deutsche Volksschule zu errichten; sie hatten aber die Genehmigung der Regierung hiezu nicht bekommen! Oder es waren – in Bessarabien – Schulgebäude, die von Deutschen aus eigenen Mitteln in der Vergangenheit erbaut worden waren, unter einem formalistisch ausgeklugelten Titel den Gemeinden weggenommen worden! In allerletzter Zeit sind die Schulgründungen endlich genehmigt worden. Und den bessarabischen Deutschen ist ein Teil ihrer Schulen zurückgegeben worden – als „Geschenk“! Wenn sie sich aber nicht „loyal“ verhalten, werden sie ihnen wieder weggenommen! (Der Rumäne, der sich illoyal benimmt, wird ad personam bestraft, man lässt aber nicht seine ganze Gemeinde und deren Schulkinder mitbüßen!) Die vorhandenen deutschen Volks- und Mittelschulen müssen aber die Deutschen zum größeren Teil selbst erhalten, während die Rumänen außer den Staatssteuern, die in demselben Verhältnis auch die Deutschen zahlen, sich nicht noch einer zweiten freiwilligen Steuer unterziehen müssen! Die evangelische Landeskirche der Deutschen hat viele Jahre hindurch keinen Ban Unterstützung vom Staat erhalten. Seit dem gegenwärtigen Budgetjahr bekommt sie eine Bagatelle. Und das berühmte Gesetz über die 14 % [?] des Budgets der Dorfgemeinden, die dann im rechten Verhältnis zu der Zahl der in dem betreffenden Dorf lebenden Nationalitäten aufgeteilt werden sollen? Seit es bestehet, wohl etwa 14-16 Jahre, zieht sich eine ununterbrochene Kette von Beschwerden darüber durch Presse und Ministerien, dass es uns Minderheiten gegenüber nicht eingehalten wird. Es ist in dieser langen Zeit nicht möglich gewesen oder nicht ernstlich versucht worden, die Einhaltung zu erzwingen! In den allermeisten Fällen sind die gesamten Beträge der rumänischen Schule überwiesen worden, auch dort, wo die Nichtrumänen in der Mehrheit und ihre Steuern weit größer waren als die der Rumänen!
(Fortsetzung folgt)
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
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