Noch manche Seiten
19.08.10
Gespräch mit Dr. Horst Schuller Anger aus Anlass seines 70. Geburtstages
Prof. Dr. Horst Schuller Anger feierte am 13. August seinen 70. Geburtstag. Nach dem Hochschulstudium (Deutsch und Rumänisch) zwischen 1957 und 1962 in Klausenburg war Horst Schuller zunächst (von Oktober 1962 bis März 1968) als Deutschlehrer in Marienburg/Feldioara tätig. 1968 wechselte er aus dem Lehramt in die Publizistik und war bis 1996 verantwortlicher Kulturredakteur (ab 1990 auch Chef vom Dienst) der in Kronstadt erscheinenden „Karpatenrundschau“. Er leitete nach Richard Adleff und Hannes Schuster den Literaturkreis der „Karpatenrundschau“ und machte sich u .a. um die Treffen siebenbürgischer Mundartautoren verdient. Mehrere Jahre hindurch war er ehrenamtlich für die Kulturkommission des Siebenbürgen-Forums tätig, wobei er die Moderation der Birthälmer Sachsentreffen, der Treffen von Russlanddeportierten (in Kronstadt und Neustadt) sowie die inhaltliche Gestaltung einer originellen Pilgerfahrt Stefan Ludwig Roth zum Gedenken organisierte. Der seit 2003 in Heidelberg lebende Journalist und Germanist, der nach der politischen Wende Einladungen zu zahlreichen internationalen Tagungen wahrnehmen konnte, kann neben seiner publizistischen Tätigkeit literaturwissenschaftliche Forschungen und Veröffentlichungen vorweisen wie auch eine verdienstvolle Tätigkeit als Hochschullehrer und Betreuer von Doktoranden an der Hermannstädter Universität, wo er ab 1990 bis zu seiner Auswanderung am Germanistik-Lehrstuhl wirkte. Für seine Veröffentlichungen („Kontakt und Wirkung. Literarische Tendenzen der siebenbürgischen Kulturzeitschrift 'Klingsor'“, 1994, und „Viele…file“, 2000, (eine zweisprachige Anthologie mit übersetzen Texten rumäniendeutscher und rumänischer Autoren) wurde er mit Preisen der Kronstädter Zweigstelle des Rumänischen Schriftstellerverbandes ausgezeichnet.
Sie haben als langjähriger Kulturredakteur der „Karpatenrundschau“, aber nach der Wende auch als Hochschulprofessor am Germanistiklehrstuhl der Hermannstädter Lucian-Blaga-Universität die rumäniendeutsche Literaturszene beobachtet, begleitet und reflektiert. Durch die Vergabe des Literatur-Nobelpreises an Herta Müller erhielt eine Autorin, deren prägende Lebenserfahrung an Rumänien gebunden ist, höchste internationale Anerkennung. Hierzulande erhoffte man sich, in Deutschland werde dadurch mehr Interesse an Rumänien und für die rumäniendeutsche Literatur geweckt. Ist das tatsächlich geschehen?
Aller Skepsis und Kleingläubigkeit zum Trotz, die aus dieser Frage sprechen mag, muss man feststellen: Ja, das Interesse ist gewachsen. Vor allem in Deutschland, aber notabene nicht nur in Deutschland. Freilich ein klärendes und kein verklärendes Interesse.
Die zum Teil auch widersprüchlichen Reaktionen in den deutschen Medien (zum Beispiel DIE ZEIT), die Auflagen und Neuauflagen, CD-Aufnahmen, Lizenzvergaben an viele ausländische Verlage, die ausgebuchten Vortragstermine von Herta Müller, ihre floskelfreien Gespräche mit Moderatoren, die Fernsehbilder aus Stockholm, das von Freunden in Berlin ausgerichtete „Fest für Herta“, die Veröffentlichung ihrer unnachgiebigen Stellungnahmen zu Bespitzelungskampagnen und ungebremsten Altsecuristen-Karrieren zeugen für das gesteigerte Interesse an Vita und Werk der Autorin. Freilich ein Interesse wie die meisten in kurzlebigen Zeiten: ohne Garantie auf rostfreie Nachhaltigkeit oder die Gnade einer Leibrente.
Wichtiger und ehrlicher als der in Ihrer Frage angepeilte Wunsch nach mitwärmenden Nebeneffekten und impliziter Stärkung eines dauernd labilen Selbstbewusstseins durch diesen Autorenerfolg scheint mir, dass durch diesen Preis die rumänische Publizistik und Literaturszene zur klaren Scheidung der Geister und zu Rezeptionsakten herausgefordert wurden, die in der öffentlichen Wirkung über das hinausgehen, was die rumänische Germanistik bis dahin schon an Vorlesungen, Dissertationen, Übersetzungen, Analysen und Aufsätzen über Herta Müller (aber auch über Oskar Pastior, Eginald Schlattner, Dieter Schlesak u. a. ) geleistet hat.
Und das bleibt wohl auch der Sinn und die Funktion der erwähnten hohen Auszeichnung und zahlreicher anderer Preise: Es geht normal und primär um die Verfasserin dieser Literatur, der Anerkennung, Ermutigung und ein gewisser Schutz der Öffentlichkeit zuteil wurden. Sie repräsentiert und exponiert durch ihre Texte zu allererst sich selbst. Wer von ihrem Nobel-Glanz nun Kohlen auf den eigenen klein- oder großpatriotischen Haufen ziehen will, setzt sich dem Verdacht aus, Trittbrettfahrer des Erfolgs werden zu wollen und muss sich der Frage stellen: Wo warst du vor dem Nobelpreis? Aus ihrem Herkunftsland und ihrer Heimatregion haben sie, wie man weiß, bis auf den heutigen Tag nicht nur freundliche Worte erreicht.
Gibt es bestimmte Vorurteile deutscher Germanisten bezüglich der deutschen/deutschsprachigen Literatur aus Rumänien?
Voreingenommenheit und ihre Verbreiter sind das Produkt bestimmter geistiger Horizontlagen. Sie sind in allen Ländern zu finden. Begriffe wie Provinz, Region, Rand, Grenze, Minderheit, Nationalität, Heimat, mehrfache Zugehörigkeit, Tradition verlieren unter Umständen ihren neutralen Sinn und werden in ihrer Verbindung mit den Proportionen, dem Systemcharakter, dem Entfaltungsfeld und den Trägern dieser Literatur abschätzig und abwertend gebraucht.
Schon die einfache, von innen wie von außen versuchte Selbst- wie Fremd-Bezeichnung des Objekts bereitet Schwierigkeiten: Wie soll es nun richtig und vorurteilsfrei heißen? Deutsche Literatur aus/in Rumänien, deutschsprachige Literatur auf dem Boden des heutigen Rumänien, deutschsprachige Literatur im rumänischen Sprachraum, rumänische Literatur deutscher Sprache, deutsch-rumänische Literatur, Literatur der Deutsch-Rumänen, rumäniendeutsche Literatur? Der Computer sperrt sich merkwürdigerweise gegen diese letzte Zusammensetzung, dennoch scheint gerade sie die sprachlich griffigste Formel für einen an sich komplizierten Sachverhalt zu sein.
In den 1920er Jahren fühlte O. W. Cisek sich als „ostdeutscher“ Autor, der mit ihm befreundete Sperber sprach von „unserem Literatürchen“. K. K. Klein verwendete (1939) den Begriff „rumäniendeutsch“ in pressegeschichtlichem Zusammenhang. Er setzte sich damit von den Einebnungstendenzen „reichsdeutscher“ Ideologie ab. Günther Deicke schrieb 1958 in der „Neuen Deutschen Literatur“ (DDR) über die „deutsche Literatur in der Volksrepublik Rumänien“.
Der heute allgemein gebräuchliche, anfangs eher beiläufig verwendete Begriff „rumäniendeutsche Literatur “ tauchte im gleichen Jahr 1958 (und nicht erst 1966, wie mancherorts zu lesen ist) in ergänzenden Notizen zu Deickes Aufsatz bei Heinz Stanescu auf und wurde dann von der literatursoziologischen Essayistik in den 1970er Jahren in vorherrschenden Umlauf und zum relativen Konsens gebracht. Nicht als gefügige Anpassung an kulturpolitische Vorschriften und offizielle Sprachregelungen (wie manche meinen), sondern eher (in der Kombination von spezifischem Bestimmungswort — als Bekenntnis zu „Realität und Chance“ — mit unmissverständlicher Betonung des Grundwortes) als Reaktion auf rumänisierend empfundene Bezeichnungen (wie „literatura româna de expresie germana“), in denen die Zugehörigkeit zur deutschen Literatur tendenziell nur noch zweitrangig gewertet werden sollte. 1974, Ceausescus kleine Kulturrevolution war ins Rollen gekommen, lieferte Alfred Kittner in einem in der Zeitschrift „Sinn und Form“ (DDR) erschienenen Interview ein Beispiel für das offiziell Genehme: Er sprach von „rumänisch-deutscher Dichtung“ bzw. „rumänischer deutschsprachiger Dichtung“. Im Vergleich zu dieser vereinnahmenden Holz-Sprache wirkte das Attribut „rumäniendeutsch“ jetzt fast schon dissidentisch elegant.
Wichtig war und ist schließlich, dass sich die deutsch schreibenden Autoren und Autorinnen in Rumänien von definitorischer Kümmelspalterei und ideologischen Spitzfindigkeiten die Lust am Schreiben nicht haben nehmen lassen.
Es gibt zur Zeit in Deutschland und anderswo mehrere durchaus sachkundige, verständnisvolle Germanisten und Feuilletonisten, die sich mit deutsch schreibenden Autoren in und aus Rumänien vorurteilsfrei beschäftigen, und es gibt freilich auch weniger skrupulöse Publizisten und Multiplikatoren, die zum Beispiel — vereinfachungssüchtig und unbekümmert um die tatsächlichen Kleinräumigkeiten und Details — Herta Müller schon mal nach ihrer Göttinger Lesung als „Banater Autorin aus Siebenbürgen“ feiern.
Wie schätzen Sie die sprachliche Qualität der Übersetzungen rumänischer literarischer Werke ein?
Auch hier muss man konkret nach Perioden und Personen unterscheiden. Es fehlt zur Zeit in Rumänien ein Verlagshaus wie der ehemalige Kriterion-Verlag, der zum Beispiel über Jahre ein festes und anspruchsvolles Übersetzungs- und Exportprogramm in Kooperation mit deutschen Partnern durchsetzen konnte.
Es fehlt auch Weiteres. Wenn es vor fünfundzwanzig Jahren in Bukarest noch möglich war, regelmäßig sechs oder gar zwölf Hefte der Zeitschrift „Rumänische Rundschau“ herauszubringen, in denen immer wieder Übersetzungen von Qualität zu finden waren, so ist durch das natürliche Ausscheiden der älteren Generation und durch die Auswanderung der jüngeren Übersetzer eine Weiterführung der Zeitschrift so nicht mehr möglich.
Die positive Seite dieser Lage: Noch nie gab es durch diese Aus- und Einwanderung im deutschen Sprachraum so viele potentielle, des Rumänischen kundige Übersetzer. Diese müssten, will man die einmalige Chance nutzen, durch interessante Texte und lukrative Arbeitsbedingungen gewonnen werden.
Deshalb hat das Rumänische Kulturinstitut in Bukarest statt eines Zeitschriftenprojektes andere und neue literaturpropagandistische Lösungen finden müssen. Das Institut übernimmt nach Prüfen der vorgelegten Anträge einen Teil der Druckkosten für Bücher, die in Deutschland übersetzt wurden und für die ein ausgewiesenes deutsches Verlagslektorat die Gütekontrolle garantiert.
Andere operative Einfälle: Mehrere rumänische Printmedien stellen in ihrer elektronischen Fassung auch übersetzte Texte vor.
Reale Übersetzer in diesen Ressorts sind zum Teil bekannte rumäniendeutsche Namen (Csejka, Aescht, Wichner, Hodjak, Söllner, Schlesak, Bergel), zum Teil in Österreich, Deutschland oder in der Schweiz zweisprachig aufgewachsene Migranten. Zu den am meisten geschätzten Mittlern rumänischer Gegenwartsliteratur zählt zur Zeit Gerhardt Csejka, der sich vor allem um die Übertragung von Mircea Cartarescus Prosa mit Erfolg bemüht. Dafür ist er von deutscher Seite mit einem bedeutenden Übersetzerpreis ausgezeichnet worden.
Gibt es eine „siebenbürgisch-sächsische“ oder eine „banat-schwäbische“ Gegenwartsliteratur in Deutschland?
Es gibt Autoren und vor allem Autorinnen, die aus Siebenbürgen oder aus dem Banat stammen und in Deutschland deutsch schreiben. Oft nur über ihre eigene Biographie. Familiengeschichten. Erinnerungen. Dabei können sie sich schlecht ihres rumänischen Gesamthintergrundes, also ihrer rumäniendeutschen, überregionalen Identität und damit bestimmter Gemeinsamkeiten mit dem Anderen entäußern. Wenn das Leserinteresse über die jeweilige Verbandszeitung gelenkt wird, werden diese Bücher wahrscheinlich nur vom engeren Kreis wahrgenommen. Ich kenne die Verbandszeitung der Banater Schwaben nicht, ich lese die „Siebenbürgische Zeitung“ (München), und dort ist die Tendenz bemerkbar, in der Besprechung solcher Gelegenheitsliteratur überregionale Identitätskomponenten und vor allem Momente der Integration nicht zu vernachlässigen. Ich denke, dass jeder Autor mit Anspruch nicht Einschränkung, sondern eher Weite und Vielfalt anstrebt.
Mit welchen Forschungsprojekten, Arbeiten und Mitarbeiten sind Sie zur Zeit beschäftigt?
Da ich immer wieder an germanistischen Tagungen teilnehme, muss ich Referate und Aufsätze liefern. Angespornt durch manche Entdeckerfreude habe ich mich mit unbekannten Briefen aus dem Nachlass des Vormärz-Autors Josef Marlin beschäftigt. Abgegeben wurden zuletzt Arbeiten über Paul Celan und die rumänische Literatur; über die Erfahrungen der Übersetzerin Hermine Pilder-Klein mit Pseudonymen und Anonymisierungen; über den literarischen Ort Hermannstadt und seine Übersetzer. Im Herbst dieses Jahres will ich in Tübingen über die unveröffentlichten Tagebücher von Otto Folberth aus dem Ersten Weltkrieg und an der Universität in Hermannstadt über Dokumente aus meiner von der Securitate angelegten Akte referieren. Als Dauerprojekt beschäftigt mich ein Lexikon der literarischen Übersetzer aus dem Rumänischen ins Deutsche.
Sie haben die „Karpatenrundschau“ mitgestaltet und geprägt. Was meinen Sie über die KR von heute? Wie sollte die KR von morgen sein?
Ich kann die KR-Beilage in der ADZ nur noch gelegentlich lesen. Und es wäre vermessen von mir, besserwisserisch Ratschläge zu erteilen. Ich habe mir bloß erlaubt, in letzter Zeit Lektürevorschläge mit Texten von Gerhard Roth, Rudolf Wagner-Régeny, Lucian Blaga und Otto Folberth einzuschicken und freue mich, wenn diese auf Interesse stoßen. Ich denke, dass es in diesen sehr bewegten Zeiten an Themen nicht mangelt und dass mit den gespitzten Federn Ihrer festen und freien Mitarbeiter noch manche spannende Seite einer engagierten Chronik geschrieben werden kann.
Die Fragen stellte Ralf Sudrigian
Prof. Dr. Horst Schuller Anger
Foto: Hans Butmaloiu
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
Redaktion: 500.030 Braşov, Str. GH. Baiulescu 2,
Fernruf und Telefax: 0040 -(0)268/475 841,
E-Mail:kronstadt@adz.ro
Schriftleiter: Elise Wilk.
Redaktuere:Ralf Sudrigian, Hans Butmaloiu, Christine Chiriac (Redakteurin, 2009-2014), Dieter Drotleff (Redaktionsleiter 1989 - 2007)
Aktuell
Karpatenrundschau
14.06.24
20-jähriges Jubiläum des Deutschen Kulturzentrums Kronstadt
[mehr...]
14.06.24
Erinnerungen an den Theologen und Sozialdemokraten Alfred Herrmann (1888 – 1962) erschienen
[mehr...]