Pest, Glaube, Reformation in der siebenbürgisch-sächsischen Geschichte (I) /Von Thomas Sindilariu
19.11.20
Vortrag im Gottesdienst zum Reformationsfest in sächsischer Sprache, Michelsberg 31.10.2020
„Aser Herrgot faint is Sin an schäkt is de päszt af den halts“. Formvollendeter hätte ich das nur aussprechen können, wenn mein Ur-Ur-Großvater, Eduard Morres, der 15 Jahre lang den Schul- und Kirchenboten vor dem Ersten Weltkrieg redigiert hat, nicht derart an pädagogischem Übereifer als junger Vater gelitten hätte. Unsere Mundart sollte, wie ich seinen Memoiren entnommen habe, bei der Erziehung der eigenen Kinder nicht zum Zuge kommen, damit sie ein gutes Deutsch lernen können. Soweit der Vater des für seine sächsischen, ländlichen wie bäuerlichen, Motive bekannten Malers Eduard Morres – „unde dai si unde crap?“, möchte man da fast ausrufen!
Für das Eingangszitat musste ich also zum Siebenbürgisch-Sächsischen Wörterbuch greifen. In freier Übersetzung lautet die Beispielredewendung unter dem Stichwort „Pest“: „Unser Herrgott bemerkt unsere Sünden und schickt uns die Pest auf den Hals“. Hier wird eine alte Verbindung zwischen glaubenskonformem Verhalten und Seuche als Gottesstrafe als Deutungsmuster in Zeiten der Not sichtbar.
In vorreformatorischer Zeit, bei uns, und freilich bei den nicht-protestantischen Konfessionen auch heute noch, wurden bzw. werden Heiligen besondere Schutzfunktionen beigemessen, obwohl dafür keinerlei Belege in der Heiligen Schrift zu finden sind. Die Folge dieses Mangels ist bei uns bekannt: Abschaffung der Heiligenverehrung durch die Reformation bis auf wenige Relikte, die sich in unserer ausgeprägten Namenstagkultur noch feststellen lassen.
Den Heiligen wird im nicht-protestantischen Glaubensempfinden entsprechend ihrer Attribute bzw. „Zuständigkeiten“ die Rolle des Vermittlers zu Gott beigemessen, die durch ihren Einsatz eine Gottesstrafe, oft auch in Gestalt einer Seuche, abwenden können. Aktuell war dies jüngst bei der Wallfahrt zu den Gebeinen der Heiligen Parascheva in Iasi (14. Oktober) oder jener zu den Gebeinen des Heiligen Dimitrie cel Nou in Bukarest (27. Oktober) zu beobachten, dessen Reliquien 1815 gegen die Pest oder 1831 gegen die Cholera durch Prozessionen zum Einsatz gebracht wurden.
Die Heiligen-Ironie der Gegenwart ist aber eine andere: die unter dem Mikroskop sichtbar werdende Kronenform des für die aktuelle Pandemie verantwortlichen Virus hat zu seinem Corona-Namen geführt. Nun gibt es aber auch eine Corona-Heilige. Sie ist Namensgeberin etwa von Kronstadt und erste Kirchenpatronin der heutigen Schwarzen Kirche. Da im abendländischen Kulturkreis, im Unterschied zum Morgenland, die Krone eine zentrale Rolle unter den königlichen Herrschaftsinsignien spielte, wurde die Kronen-Etymologie auch hier bei uns dominant, was sich u.a. im Stadtwappen von Kronstadt auch heute noch erkennen lässt. Die zweite Etymologie des Namens der Corona-Heiligen bedeutet „Märtyrerin“ und entspricht der griechischen Namenstradition mit „Stephana“, die für Festigkeit im Glauben steht. Griechisch heißt Kronstadt folglich auch Stephanopolis. Das ironische Moment, von dem ich sprechen wollte, hängt mit den Schutzfunktionen der Heiligen Corona zusammen. 16 Jahre bevor Johannes Honterus 1520 sein Studium in Wien aufnahm, entstand im nahen St. Corona am Wechsel, und nicht nur dort, ein neuer Corona-Kult, der neben Schutz in Geldangelegenheiten aber auch für Schatzgräber jenen vor Seuchen enthielt. Corona schützt also vor Corona!
Da eine derartige Glaubenswelt uns seit der Reformation zunehmend fremd erscheint, ist nach anderen Hinweisen mit Blick auf die siebenbürgisch-sächsische Geschichte Ausschau zu halten.
Die erste Pestepidemie, die mit ganz ähnlichen Methoden wie die jetzige Corona-Pandemie monitorisiert und bekämpft wurde, ist die Pest in Kronstadt von 1717-1719 gewesen. Der Arzt Johann Albrich hatte zu Beginn des 18. Jahrhunderts in Halle, Leiden und Uetrecht studiert und wandte das Gelernte nun an: Verfolgung der Infektionsketten, Isolierung der Erkrankten – damals mit Hilfe des Militärs und von Sperrzäunen – und statistische Dokumentation des Seuchenverlaufs kamen zum Einsatz. Im Vergleich zu heute fehlt nur die Maske, die damals sicher gerne jeder getragen hätte, sofern ihre Schutzfunktion bekannt gewesen wäre. Der Altersdurchschnitt der Bevölkerung dürfte weit jünger als heute gewesen sein, jedoch waren die Menschen nach den Jahren der Kurutzenunruhen und die von diesen verursachten Versorgungsmängeln sicherlich nicht in der besten körperlichen Verfassung.
Auf eine augenscheinlich noch relativ gut kontrollierte erste Pestwelle in der Zeitspanne Oktober 1718 bis Februar 1719 folgte eine von überschwänglicher Freude über die zurückgegangenen Fallzahlen ausgelöste zweite Welle mit exponentiellem Anstieg der Todeszahlen ab April 1719. Ihren Höhepunkt erreichte sie im Juli, um steil bis Oktober 1719 wieder zu fallen. 4.034 Opfer waren in der Stadt und ihren Vorstädten zu beklagen, rund 24% der Stadtbevölkerung, praktisch jeder Vierte!
Das Motiv der Gottesstrafe tauchte vor gut 300 Jahren in Kronstadt ebenfalls auf, teils mit einer klaren Spitze gegen die Obrigkeit: Am Weihnachtstag des Jahres 1718 hält Thomas Tartler in seinem Tagebuch fest: „schmiss ein entsetzlicher Sturmwind das mittlere Kreuz von dem Kirchendach mit einem greulichen Krachen herunter. Viele judicierten, Gott strafe deswegen, weilen man nicht erlaubte, in die Kirche zu gehen und keinen Gottesdienst halten wollte.“ Dies war bereits seit dem 1. Oktober aufgrund des Befehls des habsburgischen Stadtkommandanten, Baron de Tige, der Fall. Hier machte sich der Volkszorn bemerkbar über die kurz vor Schließung der Stadt am 1. Oktober erfolgte weitgehende Flucht der städtischen Führungsschicht auf ihre Landsitze. Daran änderte auch die Installierung eines Pestdirektoriums, zu dem auch Dr. Albrich gehörte, nichts und ebenso wenig, dass Andreas Bogner eilig und unter notgedrungener Umgehung des Superintendenten (Bischofs) zum Pestprediger ordiniert wurde. Am 15. August vermerkt Tartler in seinem Tagebuch, dass „sich in der Weberbastei ein Gespenst [habe] sehen lassen, so die Leute vermahnet, dass sie in die Kirche gehen sollten“, die freilich aus Gründen des Seuchenschutzes immer noch geschlossen war.
Auf der einen Seite der rationale Ansatz des medizinischen Kampfes zur Unterbrechung der Infektionsketten, auf der anderen Angst und Verzweiflung, gar von Hungersnot und Hungerstod ist in den Quellen angesichts unbezahlbarer Lebensmittelpreise die Rede, aber auch, und kennzeichnend für das evangelische Identitätsmuster, vom Gottesdienst. Vom Dienst am heiligen Wort erhofften sich die Menschen vor 300 Jahren Trost und Schutz. Auf die Kirche als heiligen Ort kam es dabei aber offensichtlich auch immer noch an. Das lässt sich daran ablesen, dass das Heilige Abendmahl an die Erkrankten gemäß Pestvorschriften von der Straße aus vom Pestprediger an Seilen in die Krankenzimmer hinaufzuziehen war, was aber von den Betroffenen als nicht vollwertig empfunden wurde, so dass sich mithilfe von Bestechungsgeldern sich gewisse Ausnahmen zutrugen und der Geistliche doch ans Krankenlager trat, wie Tartler weiter vermerkt. Das Glaubensleben sollte trotz Seuche wie immer sein, da es andernfalls seine volle Wirkung nicht entfalten könne, so offensichtlich die im Volk vorherrschende Vorstellung der frühneuzeitlichen Siebenbürger Sachsen.
Einen einzigen Gottesdienst gab es im Frühjahr 1719 übrigens doch und zwar an Palmsonntag, den 2. April, nach dem Abebben der ersten Seuchenwelle. Mit heutigen Augen betrachtet ein klares Superspreader Event, denn im Anschluss schnellte die Zahl der Toten in die Höhe, was leicht damit zu erklären ist, dass damals Abstand nur zu den Erkrankten gewahrt wurde, nicht auch unter den noch Gesunden! An ein Osterfest in der Kirche war nicht mehr zu denken.
Fortsetzung folgt
1. Pestdiagramm: Bild-Unterschrift (BU): Graphik zum Verlauf der Peststerblichkeit in Kronstadt, Oktober 1718 – Dezember 1719, 4034 Tote insgesamt (= 24% der Stadtbevölkerung); Sarah Hadry, Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde 28 (2005), S. 69.
2. Porträt Herrmann, BU: Der Organist, Drucker und Stadtrichter von Kronstadt, Michael Herrmann, starb 1660 an der Pest; Archiv der Honterusgemeinde Kronstadt, Bildarchiv.
3. Pestgebet zur Auswahl ganzes Gebet oder nur Anfang, BU: Pestgebet von 1633, 1647 u. 1660 aus dem Kronstädter Kantional I.F.78, Archiv der Honterusgemeinde.
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
Redaktion: 500.030 Braşov, Str. GH. Baiulescu 2,
Fernruf und Telefax: 0040 -(0)268/475 841,
E-Mail:kronstadt@adz.ro
Schriftleiter: Elise Wilk.
Redaktuere:Ralf Sudrigian, Hans Butmaloiu, Christine Chiriac (Redakteurin, 2009-2014), Dieter Drotleff (Redaktionsleiter 1989 - 2007)
Aktuell
Karpatenrundschau
18.04.25
Lehrer, Wissenschaftler und Honterusforscher
[mehr...]
11.04.25
Vortrag über den Nachlass von Luise Treiber-Netoliczka
[mehr...]
11.04.25
Vorstellung neuester Veröffentlichungen bei der Kronstädter Germanistiktagung
[mehr...]