Rumänien und der ewige Dracula
15.10.09
Ein Stereotyp wird 550/ von Albert Weber
Die kürzlich stattgefundene 550-Jahresfeier Bukarests gibt Anlass zu historischem Rückblick: auf den 20. September 1459 datiert die erste Erwähnung der Stadt in einer walachischen Urkunde. Beim Unterzeichner, der somit als Gründer der rumänischen Hauptstadt gilt, handelt es sich um eine Lieblingsfigur der rumänischen Geschichtspolitik und westlicher Vampirmythologen: Fürst Vlad III. Draculea, genannt Tepes, „der Pfähler“.
Die Dracula-Mythen haben ihren Ursprung in einer Propagandaaktion des ungarischen Hofes. Matthias Corvinus, Sohn des berühmten Türkenbekämpfers und Reichsverwesers János Hunyadi, versuchte seinen umstrittenen Anspruch auf die Stephanskrone zu legitimieren. Nicht zufällig wurde sein Hof zu einem Zentrum des Humanismus: Besoldete Geschichtsschreiber und Dichter sollten die niedere Herkunft des Königs kaschieren und seine Herrschaft zum Goldenen Zeitalter stilisieren.
Der Vasall des ungarischen Reiches, der Fürst der Walachei Vlad Tepes, bedrohte mit seiner aggressiven Außenpolitik die fragile Stabilität der Region, die dem expansiven Osmanischen Reich gegenüberstand. 1456 auf den Thron gekommen, nachdem er jahrelang als Geisel am osmanischen Hof gelebt hatte, versuchte in kürzester Zeit seine autokratischen Ambitionen umzusetzen: in zwei Strafaktionen verwüstete er das südliche Burzenland und belagerte Kronstadt/Brasov, um die Siebenbürger Sachsen seinen neuen, restriktiven Handelsgesetzen zu unterwerfen. Die inländische Bojarenopposition – Vater und Bruder des Tepes waren mit ihrer Hilfe ermordet worden – ließ er aufspießen und verschonte dabei nicht einmal ihre Familien. Der Erfolg dieses gewalttätigen Vorgehens verleitete ihn zu dem Fehler, das mächtige Reich Mehmeds II., des Eroberers Konstantinopels, anzugreifen: 1462 verwüstete er das Gebiet südlich der Donau – in der falschen Hoffnung, das katholische Abendland werde ein Kreuzfahrerheer zu Hilfe schicken. Mehmed führte zur Vergeltung persönlich ein Heer in die Walachei und vertrieb Tepes ins ungarische Siebenbürgen. Matthias, damals politisch und militärisch zu schwach für einen Türkenkrieg, setzte den außer Kontrolle geratenen Vasallen fest: Tepes verbrachte lange Jahre in Festungshaft.
Um sein Vorgehen zu rechtfertigen, wurden auf Befehl des Königs Schauergeschichten über Vlad Tepes verbreitet. Er wird darin als ein sadistischer, unchristlicher Tyrann geschildert, der die ganze Region, darunter 1459 auch Kronstadt, mit Mord und Folter heimsucht – und schließlich von Matthias Corvinus gerechterweise gefangen genommen wird, der somit zum Beschützer des Katholizismus avanciert und sein Königtum in Europa legitimieren kann. Diese im Kern propagandistischen Erzählungen kursierten mithilfe des neuentwickelten Buchdrucks im gesamten deutschen Sprachraum. Der „thyran Dracole“ erlebte über ein halbes Jahrhundert immer neue Auflagen und wurde für Westeuropa zu einem Inbegriff des östlichen Tyrannentums.
Dieses negative Bild des orthodoxen Fürsten versuchten Gelehrte aus Russland zu korrigieren. In den 1480er Jahren entstand eine russische Version der Dracula-Geschichten. Aus dem Tyrannen wurde nun ein vorbildlicher Herrscher, der zwar durchaus hart und autokratisch regiert, jedoch orthodoxe Werte bewahrt und orthodoxe Christen beschützt. Die russischen Geschichten wurden im Kontext der sich formierenden Moskauer Autokratie verfasst, wobei sich die ideologische Diskussion in diesem durchaus lesenswerten literarischen Werk manifestierte.
Nach 1650 wurde ,Dracula’ in Europa fast völlig vergessen. Erst als sich Ende des 18. Jahrhunderts allmählich die rumänische Nationalbewegung formierte, wurde man wieder auf den ,Pfahlfürsten’ aufmerksam. Seine Rehabilitierung war der erste Schritt zur Mythifizierung. Eine ganze Tradition folkloristischer Überlieferung wurde von rumänischen Literaten erfunden: Der historische Vlad Tepes hatte fast keinerlei Spuren im rumänischen Bewusstsein hinterlassen. Die Nationalbewegung griff seine Geschichte jedoch anhand der deutschen und russischen Überlieferung auf und interpretierte sie in ihrem Sinne um: Tepes musste die natürlichen Feinde des Landes - Türken, Ungarn, Griechen, Katholiken, habsüchtige Reiche, Diebe, Lügner und Bettler - ausrotten, um die Existenz der Walachei zu sichern. Tepes gilt dabei keineswegs als idealer Herrscher, sondern als ein Heilmittel für unerträgliche Missstände. Der Fürst und sein Tötungswerkzeug, der Pfahl, wurden zum Symbol der inneren Ordnung und der außenpolitischen Unabhängigkeit. Nationalisten wie Kommunisten missbrauchten seinen Kult, was ihn zu einem Gradmesser autoritärer Tendenzen macht. Von liberal gesinnten Intellektuellen, die eine rationale und kritische Perspektive auf die rumänische Geschichte einforderten, wurde er zeitweise vehement bekämpft. Die politische Entwicklung Rumäniens, besonders während des Nationalkommunismus, lieferte dem Liberalismus jedoch eine Absage und etablierte Vlad Tepes als offiziellen Mythos: Ceausescu verglich sich gern mit dem autokratischen Walachenfürsten, um seinen autoritären Personenkult zu legitimieren. Nach 1989 versucht Corneliu Vadim Tudor, langjähriger Vorsitzender der Großrumänienpartei, ihn als Symbol gegen die Korruption zu instrumentalisieren und damit materiell benachteiligte Bevölkerungsschichten anzusprechen: Vadim Tudor/Vlad Tepes solle sie von den vaterlandslosen und korrupten Reichen erlösen.
Außerhalb Rumäniens ist Dracula seit Anfang des 20. Jahrhunderts zur unauslöschlichen Marke des Donau-Karpatenraums geworden. Seit Bram Stokers „Dracula“ (1897) zu einem der weitverbreitetsten Bücher der Weltliteratur avancierte, ist diese Region als mythische Heimat der Vampire stigmatisiert.
Der balkanische Totenglaube, der im ,vampir’ eine Art Plagegeist sieht, wanderte seit dem 18. Jahrhundert über die slawischen Völker in Richtung Westeuropa. Britische Literaten arbeiteten die Berichte über unverweste oder lebende Tote in das traditionsreiche Genre der „gothic novel“ ein. Balkanische wurde solcherweise zu westlicher Vampirmythologie transformiert. Bram Stokers Verdienst bestand darin, sie zu ihrer klassischen Form gebracht zu haben. Seinen Roman konzipierte er ohne Rücksicht auf historische Fakten. Am Namen Dracula faszinierte ihn, dass dieser auf rumänisch Teufel bedeutet, an Transsilvanien – ursprünglich war die Steiermark als Handlungsort vorgesehen – die Bedeutung „Land jenseits der Wälder“. Über Vlad Tepes hatte Stoker nur sehr wenige Informationen, er wusste nichts über die deutschen Pamphlete oder den rumänischen Nationalheldenmythos. Er übernahm lediglich den Namen „Dracula“ und dichtete seinem Vampirgrafen eine szeklerische Identität an - mit direkter Abstammung von Attila dem Hunnenkönig.
Aus den Dracula-Mythen kann das Selbstbild in Ost wie West herausgelesen werden – mit einer Kontinuität vom Spätmittelalter bis in die Gegenwart. Die Mythen des 15. und 16. Jahrhunderts ähneln jenen des 19. und 20.: Vlad Tepes wurde von ungarischen und deutschen Pamphletisten und Literaten als Tyrann stigmatisiert, der Osten somit zum barbarisch regierten Erdteil, der vom katholischen Westen missioniert und zivilisiert werden musste. Bram Stoker baute auf den gleichen Stereotypen auf: Der ,Teufel’ aus dem Osten versucht das Empire mit der Vampirseuche zu infiltrieren. Britische Helden nehmen den Kampf auf und vernichten den Grafen in seiner östlichen Heimat – und zivilisieren diese somit im Sinne der viktorianischen Kulturmission. Die Dracula-Mythen aus dem Osten aber nehmen dagegen eine defensive Position ein: Dracula ist sowohl im spätmittelalterlichen Russland als auch im neuzeitlichen Rumänien eine positive Identifikationsfigur, die autochthone orthodoxe Werte bewahrt – im Gegensatz zur negativen westlichen Projektionsfigur, welche den idealen europäischen Kulturwerten entgegen steht. Dracula dient somit dem Westen zur Selbststilisierung als zivilisatorisch überlegene Kultur. Eigene Tabus werden auf den Osten projiziert und somit exorziert. Dieser Mangel an kritischer Selbstbetrachtung ermöglicht die eigene expansive Ausbreitung. Der ,Osten’ hingegen offenbart in dieser Figur ein durchaus nuanciertes Selbstbild: Dracula ist gezwungen, die öffentliche Ordnung mit brutalsten Mitteln aufrecht zu erhalten; die eigene Kultur wird als defektiv und korrumpierbar angesehen. Der Diskurs um ,Dracula’ eröffnet somit mehr Perspektiven als nur jene des Vampirromans.
Albert Weber, M.A., geb. 1984, studierte in München Geschichte und Romanistik. Derzeit
Stipendiat beim Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der Ludwig-Maximilians-Universität München (IKGS). Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf Erinnerung und Geschichtspolitik in Rumänien.
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
Redaktion: 500.030 Braşov, Str. GH. Baiulescu 2,
Fernruf und Telefax: 0040 -(0)268/475 841,
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