Schoss ein Maschinengewehr vom Bartholomäer Kirchturm?
29.01.09
Fragwürdige Darstellung der kriegerischen Ereignisse vom 8. Oktober 1916 im Kronstädter Geschichtsmuseum/Von Wolfgang Wittstock
Das siebenbürgische Kronstadt, das politische, wirtschaftliche und kulturelle Zentrum des Burzenlandes, ist im Laufe der Geschichte wiederholt belagert und umkämpft worden. Die letzte große Schlacht um Kronstadt fand im Ersten Weltkrieg, am 7. und 8. Oktober 1916, statt. Davon zeugen auch heute noch die vielen Soldatengräber auf dem Gebiet der Stadt, z.B. auf der Schützenwiese am Fuße der Zinne, auf dem Innerstädtischen ev. Friedhof, beim Bahnübergang im Stadtviertel Bartholomae (zum großen Teil aufgelassen), auf dem ev. Friedhof Bartholomae oder in den Biengärten/Stupini. Hier haben Soldaten der österreichisch-ungarischen, der deutschen und der rumänischen Armee, die an diesen Kämpfen beteiligt waren, ihre letzte Ruhe gefunden.
Wie kam es zur Schlacht um Kronstadt am 7. und 8. Oktober 1916? Rumänien hatte sich bekanntlich in den ersten zwei Jahren des Ersten Weltkriegs neutral verhalten, erklärte aber am 27. August 1916 Österreich-Ungarn den Krieg und trat damit auf Seiten der Entente ins Kriegsgeschehen ein. Die rumänischen Truppen überschritten die Karpatenpässe, an denen, im Vertrauen auf die rumänische Neutralität, kaum Verteidigungsvorkehrungen getroffen worden waren. Bereits am 29. August zogen rumänische Soldaten in Kronstadt ein und besetzten den Bahnhof. Die ungarische Regierung hatte die Räumung der östlichen und südöstlichen Komitate Siebenbürgens angeordnet. Der damalige Kronstädter Bürgermeister, Dr. Karl Ernst Schnell, berichtet in seinen Erinnerungen, dass damals 20.000 Personen aus Kronstadt in 29 Flüchtlingszügen die Stadt verließen. Das waren mehr als 70 Prozent der nichtrumänischen Bevölkerung Kronstadts (insgesamt 28.000 Magyaren und Sachsen, während die Zahl der Kronstädter Rumänen rund 12.000 betrug).
Auf den Einzug rumänischer Militärverbände in Siebenbürgen erfolgte die schnelle Gegenoffensive der Mittelmächte. Die kriegserfahrenen und besser ausgerüsteten Truppen der 9. deutschen Armee unter General Erich von Falkenhayn und der 1. k. u. k. Armee unter General Artur Arz von Straussenburg (ein Siebenbürger Sachse) drängten die rumänischen Truppen, trotz zähen Widerstands, im Herbst 1916 über die Karpaten zurück.
Nach Kämpfen am 5. Oktober 1916 im Geisterwald bezogen die deutschen und österreichisch-ungarischen Truppen Position im Burzenland. Die Schlacht um Kronstadt beginnt am 7. Oktober zur Mittagsstunde und dauert bis zum Nachmittag des nächsten Tages. Besonders im Nordteil der Stadt finden heftige Straßen- und Häuserkämpfe statt. Die hier befindlichen Eisenbahnanlagen werden von den rumänischen Soldaten zäh verteidigt. Schließlich geben die Rumänen den Widerstand auf und ziehen sich gegen die südlich gelegenen Karpatenpässe zurück.
Einen schaurigen Höhepunkt der Schlacht um Kronstadt bildeten die kriegerischen Ereignisse, die sich am Vormittag des 8. Oktober im Stadtviertel Bartholomae zutrugen. Hier befand sich ein 360 Mann starkes rumänisches Bataillon entlang des Bahndammes in Verteidigungsstellung. Es wurde durch von der Flanke kommendes Maschinengewehrfeuer vollkommen aufgerieben. Ein Augenzeuge berichtet von 250 rumänischen Soldaten, die am Bahndamm tot liegen blieben, der Rest wurde gefangengenommen. Heinrich Wachner („Geschichte des Burzenlandes“) gibt die Zahl der Toten mit 168 an.
Veranlasst wurde unsere knappe Darstellung der Umstände, unter denen es zur Schlacht von Kronstadt kam, durch die Art und Weise, wie diese historischen Ereignisse im Kreisgeschichtsmuseum von Kronstadt/Bra{ov dargestellt werden. Im ersten Stock des alten Rathauses, wo das Museum untergebracht ist, gibt es in einem Raum einen gläsernen Schaukasten und eine Schauwand, die mehrere Dokumente und Gegenstände zeigen, die sich auf die Ereignisse des Ersten Weltkrieges beziehen. Darunter befindet sich eine Postkarte mit der Inschrift „Bei Bartholomä – Bertalannái – 8. Okt. 1916“. Die fotografische Aufnahme, die dieser Postkarte zugrunde liegt, entstand wohl am Tag nach der Schlacht. Sie zeigt die am Bahndamm in dichter Schützreihe liegenden toten rumänischen Soldaten, die von dem von der Flanke kommenden Maschinengewehrfeuer überrascht worden waren, und mehrere Personen, die die Folgen des grausigen Geschehens in Augenschein nehmen. Die Erläuterung zu diesem Bild, die das Museum bietet, lautet: „Tran{eea mor]ii – momentul când un batalion românesc a fost exterminat de o mitralier² du{man² amplasat² în turnul Bisericii Sf. Bartolomeu, sfidându-se regulile r²zboiului.” Zu deutsch: „Der Todesschützengraben – der Augenblick, als ein rumänisches Bataillon von einem feindlichen Maschinengewehr exterminiert wurde, das, unter Missachtung der Kriegsregeln, im Turm der Kirche des Hl. Bartholomäus aufgestellt war.“
Kann das stimmen? Die deutschen und die österreichisch-ungarischen Truppen hatten sich der Nordgrenze der Stadt von Heldsdorf/H²lchiu und Weidenbach/Ghimbav aus genähert. Es gibt Beschreibungen der Schlacht, die es als vollkommen unwahrscheinlich erscheinen lassen, dass die anrückenden k.u.k. und deutschen Truppen auf dem Kirchturm der Bartholomäuskirche ein Maschinengewehr aufstellen konnten. Eine genaue Schilderung der Ereignisse aus der Feder eines Beteiligten, des Leutnants G., Zugführer einer deutschen Maschinengewehr-Kompanie, ist in dem 1917 in Berlin erschienenen Buch „Die Kämpfe einer Preußischen Infanterie-Division zur Befreiung von Siebenbürgen“ von Franz Rarkowski, königlicher Divisionspfarrer, zu finden. Daraus geht hervor, dass ein deutsches und ein k.u.k. Maschinengewehr beim Bahnschuppen und dem Wärterhäuschen des Bartholomäer Bahnhofs Stellung bezogen und von hier den Bahndamm entlang schossen. Auch rumänische Quellen bestätigen, dass sich die tragischen Kriegsereignisse in Bartholomae auf diese Weise abgespielt haben. Im Juli- und im August-Heft 2008 der Zeitschrift „Magazin istoric“ veröffentlichte der Kronstädter Historiker Bogdan-Florin Popovici den gründlich dokumentierten Beitrag „Monumentul eroilor de la Bartolomeu, Bra{ov“ (Das Heldendenkmal von Bartholomae, Kronstadt), in dem u.a. ein Beitrag aus der „Gazeta Transilvaniei“ aus dem Jahr 1921 zitiert wird, in dem die Ereignisse vom 8. Oktober 1916 dargestellt werden und auch darüber berichtet wird, dass zwei feindliche Maschinengewehre aus dem Fenster des Bahnschuppens („depozitul de ma{ini de la Bartolomeu”) die rumänischen Soldaten, die entlang des Bahndammes postiert waren, unter Beschuss nahmen.
Die „Kronstädter Zeitung“ veröffentlichte im Herbst 1916 in Fortsetzungen den Beitrag „Bilder aus bewegter Zeit“. In der 30. Folge, erschienen am 18. Dezember 1916, wird ein Augenzeugenbericht vom 9. Oktober des gleichen Jahres wiedergegeben, in dem es heißt: „Um das Maschinenhaus des Bartholomäer Bahnhofes, aus dem ein ungarisches und ein deutsches Maschinengewehr in die im Straßengraben liegenden Rumänen die Todessaat gestreut hatten, sowie um das Bartholomäer Pfarrhaus, dessen verwüstete Räume den feindlichen Soldaten am ersten Schlachttage noch Unterkunft geboten zu haben scheinen, ratterten und pufften, rasselten und drohten, tuteten und schrillten unaufhörlich die verschiedenen Gefährte der verbündeten Armeen.“
Aufschlussreiche Dokumente zu den Ereignissen von 7./8. Oktober 1916 in Bartholomae befinden sich in Archiv-Beständen der Evangelischen Kirchengemeinde A.B. Bartholomae, die dem in Hermannstadt/Sibiu befindlichen Zentralarchiv der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien übergeben wurden. Von besonderem Interesse ist, im Kontext unseres Themas, das Protokoll einer Sitzung des Bartholomäer Presbyteriums vom 27. Dezember 1916, wo es u.a. heißt: „Das Kirchendach u. der Kirchturm, auf dem die Rumänen ein Maschinengewehr postiert hatten, ist schwer beschädigt worden.“ Im gleichen Aktenfonds befindet sich ein ungezeichnetes Schriftstück, datiert „Wolkendorf, den 7. Februar 1935“, aus dem hervorgeht, dass das k.u.k. Maschinengewehr im Heizhaus des Bartholomäer Bahnhofes von einem Siebenbürger Sachsen, dem aus Heldsdorf stammenden Michael Depner, bedient wurde, der noch am gleichen Tag, als er sich „einer am Schlossberg liegenden feindlichen Stellung“ näherte, „durch einen Herzschuss getötet wurde“. Auch in der bereits erwähnten Studie von Bogdan-Florin Popovici gibt es einen diesbezüglichen, allerdings weniger genauen Hinweis („...alte surse sus]in c² ar fi vorba de un sas din Vulcan, de lâng² Bra{ov”, in deutscher Übersetzung: „...andere Quellen behaupten, dass es sich um einen Sachsen aus Wolkendorf, neben Kronstadt, handelt”).
Als Schlussfolgerung ergibt sich unseres Erachtens aus den verfügbaren Angaben die zwingende Notwendigkeit, dass das Kronstädter Kreisgeschichtsmuseum seine Erläuterung zur ausgestellten Postkarte, die die tragischen Ereignisse in Bartholomae vom 8. Oktober 1916 zum Thema hat, revidieren muss, weil sie offensichtlich die historischen Tatsachen entstellt und außerdem Kirche und Kirchturm als weithin sichtbare Embleme der Bartholomäer ev. Kirchengemeinde und damit diese selbst in den Augen des Museumsbesuchers, dem die genaue Kenntnis der konkreten historischen Ereignisse abgeht, in unzulässiger Weise diskreditiert. Das Deutsche Forum Kronstadt wird in diesem Sinne die Leitung des Kronstädter Kreisgeschichtsmuseums anschreiben.
(Bildunterschriften:)
Foto 1:
Diese Erläuterung des Kronstädter Kreisgeschichtsmuseums müsste revidiert werden.
Foto 2:
Das Denkmal beim Bahnübergang in Bartholomae (Kronstadt) erinnert an die gefallenen rumänischen Soldaten
Foto 3:
Der Soldatenfriedhof in den Biengärten. Das große Steinkreuz an der Stirnseite trägt die zweisprachige Inschrift: „Aci odihnesc în Dumnezeu 43 eroi germani din IR 188 c?zu?i 8.10.1916/Hier ruhen in Gott 43 deutsche Helden vom IR 188, gefallen 8.10.1916”
Foto 4:
Tote rumänische Soldaten am Bahndamm in Bartholomae. Das Foto entstand am 9. Oktober 1916, dem Tag nach der Schlacht.
Fotos: der Verfasser (3), Internet (1)
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
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