Schülerin von Hermann Kirchner und Rudolf Lassel
26.09.25
Kronstädter Musikerinnen (XXI): Klavierlehrerin Elvine Liehn (1888-1960)
In Folge 21 der Artikelserie über Kronstädter Musikerinnen, einer Dokumentation aus dem Jahr 1943, wird die Klavierlehrerin Elvine Liehn vorgestellt. Es handelt sich um einen autobiographischen Text, dessen Typoskript schlicht „Elvine Liehn geb. Hügel“ betitelt ist. Die Angaben zur Biographie können wie folgt ergänzt werden: Elvine Josefine Hügel heiratete im Jahr 1920 in Kronstadt Alfred Michael Liehn (1884-1947), dessen Beruf sowohl im „Neuen Kronstädter Adressbuch“ (1927) als auch in der online verfügbaren Genealogie der Siebenbürger Sachsen als Kassier angegeben wird. Elvine Liehn verstarb im Alter von 72 Jahren am 26. November 1960 in Kronstadt.
Geboren in Hermannstadt am 5. August 1888 als das 10. Kind meiner Eltern, des Finanzbeamten und Musiklehrers Josef Hügel und dessen Gattin Josefine geb. Letz, erhielt ich meine allgemeine Ausbildung in der Volks- und Bürgerschule in Diemrich, damals, in der ungarischen Zeit, Déva genannt, wo ich meine Kinderjahre im Elternhaus verbrachte.
Den ersten Klavierunterricht erhielt ich von meinem Vater, der im Klavier-, Orgel-, Flöten- und Kunstharmonika-Spiel ausgebildeter Musiker war und nebenberuflich als Privatlehrer zuerst in Hermannstadt und später in Déva Musikunterricht – hauptsächlich jedoch Klavierunterricht – erteilte.
Unsere Familie gehörte zu jenen musikalischen Familien, die in Mühlhausen – der berühmten Orgel- und Weberstadt (1) – ihre alte Heimat besaßen. Fast alle Glieder der Familie Hügel waren geschickte Leinenkunstweber und Organisten, auch in der neuen siebenbürgischen Heimat. Der Großvater Josef Hügel war als außerordentlich tüchtiger Kunstweber - sowie als begabter Organist in Broos - im ganzen Unterwald bekannt. Ein Bruder meines Vaters, Julius Hügel, war in Wien akademischer Musikprofessor, die Schwester des Vaters, Bertha verehelichte Thiess, eine geschätzte Klavierlehrerin, ebenso ihre Tochter.
Nach Beendigung der Mädchenbürgerschule schickte mich mein Vater zur musikalischen Ausbildung nach Hermannstadt, wo ich auf dem Konservatorium des Musikdirektors Hermann Kirchner (2) ein Jahr lang in Klavier, Gesang und Theorie unterrichtet wurde. Anschließend nahm ich in Kronstadt von Musikdirektor Rudolf Lassel (3) ein weiteres Jahr lang Klavierstunden.
In den Jahren 1906-1909 besuchte ich in Budapest das Konservatorium des staatlichen Musikprofessors Somogyi Mór (4) und beendete dasselbe mit bestem Erfolg. Während meiner musikalischen Ausbildung an dem soeben genannten Konservatorium hatte ich Gelegenheit gefunden, Klavierunterricht selbst zu erteilen, indem ich von meinem Direktor mit dem Privatunterricht im Hause einiger Schüler und Schülerinnen betraut wurde.
Für meinen späteren Beruf als Klavierlehrerin war dies von besonderer Bedeutung, denn als ich in Kronstadt im Jahre 1909 meine Tätigkeit als Klavierlehrerin begann, konnte ich diesen Beruf gleich anfangs, zu meiner Freude, mit der größten Leichtigkeit ausüben. Mein Arbeitskreis erweiterte sich sichtlich. Bald konnte ich mich einer größeren Schülerschar erfreuen und mit ihr am Ende des Schuljahres in den damals üblichen öffentlichen Vortragsübungen die besten Leistungen und Erfolge aufweisen und wurde eine gesuchte Klavierlehrerin.
Dies dauerte bis zu Beginn des Weltkrieges. Dann kam die Flucht vor dem damaligen Feinde (5). In Großwardein, wohin ich mit meinen Allernächsten flüchtete, gelang es mir, an einem Privat-Konservatorium als Klavierlehrerin für die Dauer eines Jahres angestellt zu werden. In diesem Jahre hatte ich auch einige Privatschüler.
Im Sommer 1917 setzte ich meine Tätigkeit als Klavierlehrerin in Kronstadt fort und übe meinen Beruf bis heute noch aus. Meine größte Freude war es immer, wenn es mir gelang, begabte Schüler so weit zu bringen, dass sie ihre weitere höhere Ausbildung an irgendeinem auswärtigen Konservatorium fortsetzen und mit bestem Erfolg beenden konnten und wenn Dank aussprechende Briefe gewesener Schüler einlangten! Dies gab mir immer wieder neue Kraft und Freude in meinem Beruf, welchen ich über alles gerne ausübe.
(Vorspann, redaktionelle Bearbeitung und Anmerkungen:
Wolfgang Wittstock)
Anmerkungen:
(1) Die Freie Reichsstadt Mühlhausen in Thüringen war in den Jahren 1707-1708 die Wirkungsstätte von Johann Sebastian Bach.
(2) Zu den Wirkungsstätten des Dirigenten, Sängers, Organisten und Komponisten Hermann Kirchner (geb. 1861 in Wölfis/Thüringen, gest. 1928 in Breslau) gehörten u.a. Berlin (1889-1893), Mediasch (1893-1900), Hermannstadt (1900-1906) und Bukarest (1906-1910). In Siebenbürgen schuf er u.a. das bekannte Lied „Äm Hontertstroch“ (Im Holderstrauch) auf Worte von Karl Römer und die aus dem siebenbürgisch-sächsischen Volksleben inspirierte Oper zu einem eigenen Libretto „Der Herr der Hann“ (Uraufführung 1899 in Mediasch).
(3) Rudolf Lassel – siehe Folge I, Anmerkung 1, der Artikelserie „Kronstädter Musikerinnen“ (KR 1/11.01.2025).
(4) Der Pianist und Komponist Mór Somogyi (1857-1942) gründete 1894 mit ministerieller Erlaubnis in Budapest ein privates Musikkonservatorium.
(5) Am 27. August 1916 erklärte das bis dahin neutrale Rumänien Österreich-Ungarn den Krieg und griff damit auf der Seite der Entente in den Ersten Weltkrieg ein. Bereits am 29. August wurde Kronstadt von rumänischen Soldaten besetzt. Die ungarische Regierung hatte die Räumung der östlichen und südöstlichen Komitate Siebenbürgens angeordnet. 20.000 Personen, mehr als 70 Prozent der nichtrumänischen Bevölkerung (Sachsen und Magyaren), verließen damals Kronstadt. Nachdem im Herbst 1916 deutsche und k. u. k. Militärverbände die rumänischen Truppen über die Karpaten zurückgedrängt hatten, konnten die Flüchtlinge nach Kronstadt zurückkehren.
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
Redaktion: 500.030 Braşov, Str. GH. Baiulescu 2,
Fernruf und Telefax: 0040 -(0)268/475 841,
E-Mail:kronstadt@adz.ro
Schriftleiter: Elise Wilk.
Redaktuere:Ralf Sudrigian, Hans Butmaloiu, Christine Chiriac (Redakteurin, 2009-2014), Dieter Drotleff (Redaktionsleiter 1989 - 2007)
Aktuell
Karpatenrundschau
26.09.25
Tanztheaterstück „Gleis 3” und Diskussion zum Kronstädter Schriftstellerprozess
[mehr...]
26.09.25
Lexikograph, Historiker und bedeutender Beamter der Stadt Kronstadt
[mehr...]
26.09.25
Kronstädter Musikerinnen (XXI): Klavierlehrerin Elvine Liehn (1888-1960)
[mehr...]