„Siebenbürgen in Bildern erzählt“
01.08.19
Fünf Filmteams auf Spurensuche in Katzendorf
Es ist Mittagszeit in Katzendorf. Die Julisonne strahlt über den hohen Linden. Auf dem Pfarrhof hängen weiße Lampions an den Bäumen, vom Weiten sehen sie aus wie riesige, schwebende Kugeln. Aus der Küche dringt ein frischer Kaffeegeruch. An einem Tisch im Garten sitzen mehrere Leute und plaudern. Das Gespräch dreht sich um Dokumentarfilme , die vor längerer Zeit in Siebenbürgen gedreht wurden. „Wir können uns ja duzen“, meint Titus Faschina von der Beuth Hochschule für Technik Berlin. „In der Filmbranche duzt man sich immer“. Er erzählt uns über seinen Dokumentarfilm „Dem Himmel ganz nah“, in dem das Leben der letzten Hirten in den siebenbürgischen Karpaten gezeigt wird. Dann wird über Katzendorf gesprochen. Wer ins Dorf gelangt, das 9 Kilometer weit von Reps entfernt liegt, begibt sich in eine Zeitmaschine. Pferdewagen, Schaf- und Kuhherden, staubige Straßen, bröckelnde Häuser und eine Stille, die fast therapeutisch wirkt. Im Zentrum des Dorfes angelangt, öffnet man das Tor zum Pfarrhof und tritt in ein kleines Paradies: ein wunderschöner, grüner Garten, hohe Linden, ein Kirchturm aus dem Mittelalter. Man kann gut verstehen, was so viele ausländische und rumänische Gäste Jahr für Jahr hierher lockt. Der Schriftsteller und Filmemacher Frieder Schuller, der in Berlin und Katzendorf lebt, hat seinen evangelischen Pfarrhof zu einem wichtigen kulturellen Treffpunkt entwickelt. Nicht nur der „Dorfschreiberpreis“ wird hier verliehen. Während des Sommers gibt es dauernd Gäste auf dem Pfarrhof. Diesmal sind es 11 deutsche Filmstudierende aus Berlin und zwei filminteressierte Studierende aus Klausenburg, die im Rahmen der deutsch-rumänischen Sommerschule für ethnografischen Dokumentarfilm kurze Filme über das Dorf drehen. Diese wurden von vier Dozenten begleitet.
10 Tage in einem faszinierenden Dorf
Das Projekt entstand durch Kooperation zwischen dem Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der LMU München und der Beuth Hochschule für Technik Berlin und wurde von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien gefördert. 10 Tage lang wird in Katzendorf recherchiert, und eine dieser recherchierten Facetten soll filmisch in einem 15-minütigen Dokumentarfilm erzählt werden. Von den Studenten aus Berlin war niemand vorher in Rumänien. „Während der 10 Tage verlassen wir Katzendorf nur zwei Mal- einmal um nach Deutsch-Weißkirch zu fahren, ein anderes Mal fahren wir nach Streitfert zu den tausendjährigen Eichen. Ansonsten bleiben wir im Dorf und suchen unsere Protagonisten“, erklärt einer der Studenten.
Während der zehn Tage wird recherchiert, gefilmt, es finden Seminare zur Bildgestaltung statt. Jeden Abend berichten die Teams über den Stand ihrer Filme, die auftretenden Schwierigkeiten und die verzeichneten Erfolge. Auf den Rat und die Unterstützung der Dozenten können sie sich zu jeder Zeit verlassen. Abends schaut man zusammen Filme in der Scheune, mit anschließender Diskussion. Mit dabei ist immer auch der Gastgeber Frieder Schuller. Auch nach Streitfort zu den Jahrhunderte alten Eichen begleitet er die Filmteams.
„Die Themen liegen in Katzendorf buchstäblich auf der Straße“
Schuller selbst hat zahlreiche Filme über die Region gedreht. „Wir haben uns zusammen über das Dorfschreiber-Projekt unterhalten und dann kamen wir auf die Idee: wenn es in Katzendorf einen Dorfschreiber gibt, warum sollte es auch nicht einen Dorf-Dokumentarfilmer geben?“, erzählt Titus Faschina. Das Tor öffnet sich und langsam pendeln auch die Teilnehmer der Sommerschule ein. Eines der Teams ist etwas besorgt. Die jungen Leute haben vor, einen Film über die Kinder aus Katzendorf zu drehen. Bloß hat es sich als äußerst schwierig herausgestellt, Eltern zu finden, die ihren Kindern erlauben, in einem Film als Protagonisten aufzutreten. „Das ist das Risiko beim Dokumentarfilm. Der Interviewpartner überlegt es sich plötzlich anders und will nicht mehr gefilmt werden. Da muss man flexibel sein und schnell ein anderes Thema finden. Wir haben Plan B, Plan C und sogar Plan Y bereit“, scherzt Kristian Erdmann aus Berlin.
„Jetzt suchen wir die Waldfrau. Das ist eine alte Roma-Frau, die schon seit ihrer Kindheit Pilze sammelt“, erklärt sein Kollege Philip Deutenbacher.
Auch ein anderes Team kehrt in den Hof ein. Ihr Thema ist der Kiosk aus Katzendorf. Im Dorf gibt es keine einzige Gaststätte, keine Bar. Es gibt aber einen Kiosk, wo auch Bier verkauft wird. Und dieser Kiosk ist Treffpunkt für alle aus dem Dorf. Hier wird den ganzen Tag über Gott und die Welt diskutiert“, erzählt ein anderer Teilnehmer. „Die Themen liegen in Katzendorf buchstäblich auf der Straße“, meint auch Faschina. Wenn eins nicht funktioniert, findet man das nächste. Um 14 Uhr wird in der Scheune zu Mittag gegessen. Heute gibt es Kartoffelsuppe mit Estragon und Reis mit Hühnchen. Die Teilnehmer sind vom leckeren Essen begeistert.
Dann schwärmen die aus 2-4 Personen gebildeten Filmteams aus, um an ihren Drehorten zu recherchieren und ihre Protagonisten zu interviewen. Dabei werden die Teams beim Dolmetschen entweder von den rumänisch sprechenden Studierenden oder den Projektbegleitern des IKGS unterstützt. Wir schließen uns je einem Filmteam an. Eine von uns beschließt, die Waldfrau zu suchen, die andere begleitet das Filmteam zu einem Fußballspiel mit den Kindern aus dem Dorf.
Die Pilzefrau und der sächsische Ofen
Philip Deutenbacher, Kristian Erdmann und Sven Tabea machen sich auf den Weg zur Pilzesammlerin Rebi. Doch sie werden aufgehalten. Eine Sachsenfamilie hört die jungen Männer deutsch sprechen und bittet sie, ihnen zu helfen, einen Ofen ins Haus zu bringen. Danach wird in der Küche bei Bier und Schnaps geplaudert. Die Familie ist für den Sommer da, seit Anfang der 90er Jahre leben sie in Deutschland. Nur der Vater der Frau ist zurückgekehrt. Früher war er Förster. „Hier setze ich mich auf die Bank vor dem Haus und kenne alle, die an mir vorbeigehen. In Deutschland passiert das nie“, meint er. Das Filmteam verabschiedet sich von der Familie und verspricht, wieder auf Besuch zu kommen. Dann geht es bergauf zum türkisfarbenen Haus von Rebi. Vor der Kamera erzählt die 78jährige Romafrau, wie sie auf ihre Urenkelinnen aufpasst, die sie „Mama“ nennen, wie sie elternlos aufgewachsen ist und mit 15 Jahren heiraten musste. Und wie sie fast täglich in den Wald geht, um Pilze zu sammeln, obwohl sie nierenkrank ist und jede Woche zur Dialyse ins Kronstädter Kreiskrankenhaus gefahren wird. Und wie sie im Wald einen Bären getroffen hat, dem sie knapp entkommen ist. Nach dem Interview vereinbaren die jungen Männer einen Treffpunkt für den nächsten Tag. Sie wollen Rebi beim Pilzesammeln begleiten. Während des Interviews haben sich etwa 15 Kinder im Hof von Rebi versammelt. Es geht laut und lustig zu. „So schöne junge Männer und noch nicht verheiratet! Ich wünsche euch, schöne Ehefrauen zu finden“, sagt Rebis Tochter zum Abschied.
Aus der Perspektive der Kinder
Während ihre Kollegen die Pilzefrau gefilmt haben, sind die Protagonisten des Filmes von Hannah Aschenbrenner und Lisa Loriene Richter die Kinder aus dem Dorf. Es sind drei Brüder und ihre Freunde, die die Studentinnen durch den Alltag begleitet haben. Nach dem Dreh schauen sich die jungen Frauen das Material an und schwärmen weiterhin von ihren Protagonisten und vom Filmemachen. Was am Bildschirm zu sehen ist, ist eine Kindheit von der man nur träumen kann: Kinder verschiedenen Alters spielen, baden im Bach, spielen Fußball, singen, angeln, tanzen, wandern auf den benachbarten Hügeln, fahren einen Traktor, lachen. Sie sind fast immer untereinander, ohne Erwachsene, scheinen das Dorf und die Umgebung für sich alleine zu haben. Um die wundersame Welt der Kinder zu zeigen hat das Filmteam nur aus der Perspektive der Kinder, beziehungsweise auf deren Augenhöhe gefilmt, „wie in den Zeichentrickfilmen mit Mickey Mouse, wo nur die Beine der Erwachsenen zu sehen sind, nicht der ganze Körper” erklären Hannah und Lisa.
Ein sechsjähriger Knirps rennt auf dem modernen Fußballfeld dem Ball hinterher, die Kamerafrau läuft ihm mit der Kamera in der Hand nach. Die Linse der Videokamera wirkt wie das Auge des Zuschauers, der für und mit dem Jungen fiebert und sich wünscht, ein Tor zu schießen. Als sein Gegner den Ball zum Schuss ansetzt, legt sich Lisa ganz dicht am Ball auf das Fußballfeld und filmt den Turnschuh, wie er in den Ball trifft. Nach dem Dreh begleiten die jungen Frauen ihre Protagonisten fast bis nach Hause, sie erzählen noch lange, machen Pläne für den kommenden Tag, wann sie zusammen Grillen, in den Wald gehen und mit dem Traktor fahren wollen. Diese Zeit außerhalb des Filmens ist Teil der Arbeit eines Dokumentarfilmemachers, denn es stärkt das gegenseitige Vertrauen zwischen Team und Sujets erfahren die Teilnehmerinnen an der Sommerschule aus Katzendorf.
Katzendorf in fünf Doku-Filmen
Lisa und Hannah haben ihre beiden Studentenfilme bislang zusammen gemacht und sind schon eingearbeitet, kennen ihre Pflichten im Prozess des Filmemachens ganz genau: Hannah nimmt den Ton auf, Lisa filmt. Thema, Drehbuch und -plan, sowie den Schnitt bestimmen sie gemeinsam. Dass Filmemachen Teamarbeit ist, lernen die Studenten nicht nur von den Dozenten, sondern nun auch ganz konkret durch die Übung. „Wir haben noch nie einen Film in diesem Ausmaß gemacht“ erzählen die jungen Studentinnen. „Es ist ein Geschenk, dass wir diese Erfahrung hier machen dürfen” sagt Lisa. Sie hat keinen Augenblick gezögert, als das Angebot kam, eine Woche lang in einem rumänischen Dorf zu verbringen um einen ethnographisch orientierten Dokumentarfilm zu machen.
Von Anfang an konnten sie sich voll auf ihren Film konzentrieren. Die Entscheidung, den Alltag der Kinder zu zeigen, fiel von Anfang an und sie konnten sich auf deren Offenheit und Gastfreundschaft freuen, überall mit ihnen mitgehen und aufnehmen was sie für interessant fanden. Dass sich nicht alle Menschen gerne filmen lassen, oder, noch schlimmer, zusagen und es sich vor dem Dreh anders überlegen haben Hannah und Lisa von ihren Kollegen erfahren müssen. Nichtsdestotrotz konnte jedes Team Dank der Unterstützung der anderen Studenten und der Trainer Mut schöpfen, ein neues Thema und neue Protagonisten zu suchen und einen Film zu gestalten.
An den letzten zwei Tagen steht Sichten und Schneiden im Programm, am letzten Abend feiern die Dokumentarfilme Premiere in der Scheune. Natürlich sind alle Protagonisten und auch andere Leute aus dem Dorf dazu eingeladen. Während des Projektes sind fünf Filme entstanden. In „Nicu“ berichtet ein Bewohner des Dorfes über sein Leben. Im Film „Rebi“ geht um eine 78jährige Pilzesammlerin, die täglich mit ihren Enkelkindern in den Wald geht. Später werden die Pilze auf dem Markt verkauft. Sie sichern den Lebensunterhalt der Familie. „Zwei Schritte entfernt“ heißt der Film über die bekannte Ecke im Zentrum des Dorfes, wo sich Jung und Alt über das Leben und den Alltag austauschen. In „Umblarea“ sind die Filmemacherinnen einen Tag unterwegs mit der Herde des Dorfes. „Baieti ca brazii“ (Junge Männer wie Tannen) dokumentiert einen Tag aus dem Leben der Kinder, die gerade ihre Sommerferien verbringen. Sie wurden vom Filmteam beim Angeln, Baden und Fußballspielen begleitet. Am Ende der zehn Tage sind die Teilnehmer um viele Erfahrungen reicher. Und sie finden, dass es im Dorf unendlich Stoff für Filme gibt. „Eins ist sicher: Katzendorf ist ein lebendiges Dorf“, sagt Sven Tabea.
Alle Filme werden in Kürze hier zu sehen sein: www.filmschoolkatzendorf.de.
Elise Wilk und Laura Capatana-Juller
Einen Tag unterwegs mit der Herde. Foto: Elise Wilk
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
Redaktion: 500.030 Braşov, Str. GH. Baiulescu 2,
Fernruf und Telefax: 0040 -(0)268/475 841,
E-Mail:kronstadt@adz.ro
Schriftleiter: Elise Wilk.
Redaktuere:Ralf Sudrigian, Hans Butmaloiu, Christine Chiriac (Redakteurin, 2009-2014), Dieter Drotleff (Redaktionsleiter 1989 - 2007)
Aktuell
Karpatenrundschau
13.06.25
Die Konferenzreihe ArhiDebate in Kronstadt
[mehr...]
13.06.25
Kronstädter Musikerinnen (XIII): Klavierlehrerin Adele Honigberger (1887-1970)
[mehr...]