„Unseren einzigen wertvollen Besitz veräußern, um die Lebenden zu retten“
11.06.09
In Zeiten der Krise denkt man unwillkürlich daran, wie unsere Vorfahren ähnliche Situationen überstanden haben. Wir müssen dafür nicht zu weit in die Vergangenheit zurück gehen. Hier ein Beispiel aus der großen Wirtschaftskrise der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts. Durch Zufall habe ich die Kopien einiger Schriftstücke über einen versuchten Verkauf von Teppichen der evangelischen Kirchengemeinde in Bistritz einsehen können.
Die Geschichte beginnt im Jahre 1930 als Emil Schmutzler die Vorbereitungen zu seinem Buch über die orientalischen Teppiche in Siebenbürgen durchführt. Dazu musste er die Teppiche aus den verschiedenen Ortschaften nach Kronstadt bringen um sie hier für das Fotografieren vorzubereiten (Reinigen und eventuell Fehlstellen ausbessern). Die fotografischen Arbeiten führte eine Gruppe von Spezialisten aus Wien aus, die innerhalb von 14 Tagen das ganze Material bearbeiten mussten.
In einem Brief an das Presbyterium von Bistritz, teilt Schmutzler mit, dass er die Teppiche aus Hermannstadt, Mediasch, Birthälm, Reichesdorf und Schäßburg selbst mit dem Auto abgeholt habe, dass er aber aus Zeitgründen nicht auch nach Bistritz kommen könne. Er bevollmächtigte den Maler Fritz Kimm, den er als seinen Mitarbeiter bezeichnet, 11 Teppiche aus Bistritz mit der Bahn nach Kronstadt zu bringen. Fritz Kimm hat neben einer von Schmutzler unterschriebenen Empfangsbestätigung auch eine Versicherungspolice mit, durch die die Teppiche gegen alle Fährlichkeiten des Transportes und des Aufenthaltes in Kronstadt abgesichert wurden. Dieses und der Schriftverkehr mit dem Presbyterium von Bistritz zeigen, dass die Verantwortlichen in Bistritz über den Wert dieser Teppiche vollkommen informiert waren.
Heute gibt es in Bistritz keine Teppiche mehr, sie wurden im Sommer 1944 mit auf die Flucht genommen und kamen in die Obhut des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg, wo sich die erhaltenen Exemplare auch heute noch befinden, sie wurden aber nie ausgestellt.
Damals 1930 - 1932 besaß die Kirchengemeinde Bistritz 42 Stück ganze Teppiche und nach einer Quelle 15 Teppichfragmente, nach einer andern 15 stark beschädigte Teppiche.
Die finanzielle Lage spitze sich in der Kirchengemeinde Bistritz, durch die weltweite Krise immer mehr zu, so dass das Presbyterium als letzten Ausweg aus der Finanzmisere nur den Verkauf der Teppichsammlung sah.
Es wurden an verschiedene mögliche Interessenten appelliert, so an das Teppichhaus Orendi in Wien, Dr. Hans Wühr in Berlin, Dr. Egon Hajek in Wien, das Deutsche Museum in München und anscheinend auch an das deutsche Konsulat in Kronstadt.
Diese Anfragen haben in den Gremien der Kirchengemeinde aber nicht nur Zustimmung gefunden, aus einigen Anfragen geht hervor, dass der Problemkreis Verkauf der Teppiche Kontroversen hervorgerufen hat.
Halten wir uns aber an die Fakten.
In einem Brief an Oskar von Miller, dem Gründer und Leiter des deutschen Museums in München, kommt die ganze Dramatik der Situation zum Ausdruck. Deshalb soll der Brief hier im vollen Wortlaut wiedergegeben werden:
"Eure Excellenz
Eure Exzellenz werden sich vielleicht noch des Bauamtsleiter der Stadt Bistritz erinnern, der zu den verschiedensten Malen die Ehre hatte, mit Eurer Exzellenz über Bauangelegenheiten der Stadt Bistritz in Siebenbürgen zu verhandeln.
Ich bin jetzt im Ruhestand und Kirchenmeister unserer evangelischen Kirche und erlaube mir als solcher, Eure Exzellenz mit einer Bitte zu belästigen.
Die evangelische Kirchengemeinde Bistritz befindet sich in der größten Not. Die vollkommen unzulängliche Umwertung der gesetzmäßig zustehenden staatlichen Unterstützung, die unregelmäßige Auszahlung und schließlich das Ausbleiben auch dieser geringen Bezüge, das Unvermögen der Kirchenmitglieder, bei der trostlosen wirtschaftlichen Lage die zur Deckung des kirchlichen Haushaltes notwendigen Taxen aufzubringen, die Aufnahme von Schulden, die bei dem hohen Zinsfuß und der Unmöglichkeit, dieselben zu bezahlen, ins Ungemessene zu steigen drohen, schließlich die Zwangslage der evang. Landeskirche in Siebenbürgen, aus den selben Gründen jede Gemeinde ihrem Schicksal überlassen zu müssen, haben unsere Kirchengemeinde vor den wirtschaftlichen Zusammenbruch gebracht.
Es handelt sich um verhältnismäßig geringe Summen. Unsere Schulden betragen rund 2.400.000,- Lei (60.000,-Mark), da aber die Hermannstädter Allgemeine Sparkasse, bei der wir die Schulden haben, ebenfalls in bedenklichen Zahlungsschwierigkeiten steht und dringend baren Geldes bedarf um über diese trostlose Wirtschaftskrise hinüber zu kommen, drängt sie auf Zahlung der Schuldbeträge und würde ein Zusammenbruch nicht nur unsere ohnehin schon stark gefährdete Stellung unter den Mitnationen auf das Äußerste erschüttern, sondern was noch viel böser ist, den festen Zusammenhang der Gemeindeglieder untereinander in bedrohlichster Weise lockern. Ohnehin ist ja der Krieg in dieser Beziehung nicht spurlos an uns vorübergegangen.
Falls die Kirchengemeinde das wenige unbewegliche Vermögen - außer Schule und Kirche - zur Bezahlung dieser Schulden opfern muss, so fehlt wieder das bisherige Einkommen aus demselben. Um diesem Schrecken ohne Ende zu entkommen, sind wir nach vielem Beraten zu dem Schluss gekommen, unsern einzigen wertvollen Besitz den wir noch haben, unsere Kirchenteppiche, zu veräußern, um die Lebenden zu retten. Diese Teppiche stammen aus dem 16. - 18. Jh. und wurden von Fachleuten sehr hoch bewertet.
Wir erlauben uns deshalb an Eure Exzellenz - die uns schon aus so mancher Not durch Ihren klugen Rat geholfen - die höfliche Anfrage zu stellen, ob es nicht möglich wäre, jetzt in Deutschland von diesen Teppichen einen Teil abzustoßen, um den Betrag von 20.000,- bis 30.000,- Mark, das wären 1.000.000,- bis 1.200.000,- Lei. Diesen Betrag in bar würde die Bank im Vergleichsweg gerne für unsere Schuld übernehmen. Wir wären unsere Schulden los, der Bank wäre geholfen und die Teppiche, die bei uns doch nicht gebührend gewertet werden, würden im Besitz von Kennern zur richtigen Wertschätzung kommen.
Wir haben im Ganzen 42 Stück ganze Teppiche und 15 Stück Teppichreste. Anbei übersenden wir Lichtbilder dieser Teppiche und eine Beschreibung.
Sollten Eure Exzellenz einen Liebhaber für diese wirklich schönen Teppiche finden, - sie würden einer verzweifelten Kirchengemeinde helfen und einem Kenner eine besondere Freude bereiten.
Wir bitten uns deshalb unsere etwas sonderbare Bitte nicht verübeln zu wollen. Wir haben sie gestellt, weil wir unter den gegebenen Umständen Eure Exzellenz für den einzigen Mann halten, der hier einer arg bedrängten Gemeinde helfen kann.
In diesem Sinne habe ich mir erlaubt für meine Kirchengemeinde Eure Exzellenz mit dieser Bitte zu belästigen. Sollten die Verhältnisse auch in Deutschland einen Verkauf nicht möglich machen, so haben wir das Letzte versucht und bitte ich, mir meine Freiheit zugute halten zu wollen.
In alter Ergebenheit
Ihr dankbarer
Bistritz, am 16.VII.1932
(es folgt die Unterschrift Oskar Kelp)"
Wenn man den Brief aufmerksam liest, ist die tiefe Verzweiflung nicht zu verkennen, die damals in Bistritz geherrscht haben muss.
Oskar von Miller, zu der Zeit Direktor des Deutschen Museums in München, dessen Schöpfer er war, hat in Siebenbürgen das Wasserkraftwerk am Zood entworfen und sich zu der Zeit auch in Siebenbürgen aufgehalten, versucht seinerseits einen Käufer für die Teppiche zu finden. Er wendet sich an einen ihm bekannten Kunst- und Antiquitätenhändler, der auch Vorstandsmitglied des Deutschen Museums war. Doch dieser kann ihm nur wenig Hoffnung machen, wie aus der im Anschluss wiedergegebenen Antwort von Millers hervorgeht:
"Hochwohlgeboren
Herrn Oskar Kelp
Chefingenieur 1. Kl. i. R.
Bistritz
Siebebürgen
Sehr geehrter Herr Kelp
Ihre Zeilen vom 16. Juli, die mir die Erinnerung an die schöne Zeit, die ich in Siebenbürgen verlebt habe, wieder lebhaft ins Gedächtnis gerufen haben, habe ich erhalten und zu meinem großen Bedauern daraus ersehen, in welch schwierigen Lage sich Ihre Kirchengemeinde befindet.
Ich habe mich daraufhin sofort an Herrn Kommerzienrat Otto Bernheimer, der dem Ausschuss unseres Museums angehört und Inhaber des berühmtesten und bedeutendsten Antiquitätengeschäftes ist, gewandt und erhalte von dort das in Abschrift beiliegende Schreiben. Ehe ich darauf antworten möchte, wäre ich Ihnen für eine Nachricht dankbar, ob Sie damit einverstanden sind, dass die mir freundlichst überlassenen Fotografien an den in England lebenden Kunsthistoriker weitergeleitet werden. Ich glaube, dass diese der einzige Weg sein dürfte, einen Verkauf vielleicht zustande zu bringen, da die Wirtschaftsverhältnisse in Deutschland z. Zt. so sind, dass sich hier schwer ein Käufer für die zweifellos sehr wertvollen Teppiche finden würde.
Ich sehe Ihren weiteren Nachrichten gern entgegen und verbleibe
Mit verbindlichen Grüßen
Ihr Ergebener
(Unterschrift)"
Der in dem Brief erwähnte Kunsthistoriker aus England wurde von Bernheimer ins Gespräch gebracht, da nach seinem Kenntnisstand keinerlei Chance bestand in Deutschland die Teppichsammlung zu verkaufen und er deshalb anregte, über ihn die Verbindung zu dem Engländer aufzunehmen.
Aber auch das hat zu keinem Resultat geführt, wie aus einem Brief an das Deutsche Konsulat in Kronstadt hervorgeht.
In diesem wird kurz die finanzielle Lage der Kirchengemeinde geschildert und die Stellen angeführt, an die man sich in Sachen Verkauf der Teppich, ohne Erfolg, gewendet hatte.
Dabei werden auch zwei Namen erwähnt, ein Bankier Oskar Kaufmann aus Bukarest und Baron Ressel aus Wien, die sich aber nicht gemeldet hätten.
Dafür taucht aber ein bekannter Namen auf: D. Tuduc aus Bukarest, ein bis in die Nachkriegszeit tätiger, bekannter und eifriger Sammler, Händler und Fälscher alter Teppiche. Die Bistritzer haben anscheinend nicht viel von ihm gehalten (mit Recht) denn sie waren im Zweifel, ob sie ihm die erbetenen Fotografien der Teppiche überlassen sollten.
Es ist ein düsteres Bild aus der Zeit, die allgemein als die „gute alte Zeit" bezeichnet wird, da die Welt noch in Ordnung war (so glaubt man es wenigstens). Was da geschildert wurde, sind die existentiellen Nöte einer Kirchengemeinde, die sich nur noch durch den Verkauf der ihnen lieben und wertvollen Gegenstände zu helfen weiß.
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
Redaktion: 500.030 Braşov, Str. GH. Baiulescu 2,
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Schriftleiter: Elise Wilk.
Redaktuere:Ralf Sudrigian, Hans Butmaloiu, Christine Chiriac (Redakteurin, 2009-2014), Dieter Drotleff (Redaktionsleiter 1989 - 2007)
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