Unverwechselbares Kulturerbe
20.09.24
Schatzkammer im Siebenbürgischen Museum eröffnet
Am 21. Juni 2024 wurde die Schatzkammer des Siebenbürgischen Museums der Öffentlichkeit als neue Dauerausstellung übergeben. In der ehemaligen Kapelle des Heimathauses Siebenbürgen auf Schloss Horneck werden als Standessymbole neben ungarischem Magnatenschmuck Prunkobjekte des sächsischen Patriziats in Kleidung, Habitat und Stiftertradition ausgestellt. Darunter bedeutende Zeugnisse der hochspezialisierten Goldschmiedekunst aus ihrer Blütezeit vom 14. bis 16. Jahrhundert. Die ausgestellten Pretiosen repräsentieren ein unverwechselbares und zeitenüberdauerndes Kulturerbe zwischen Ost und West.
Nach der Gemäldegalerie wurde mit der Schatzkammer der zweite thematisch neue Bereich der Dauerausstellung des Siebenbürgischen Museums eröffnet. Siebenbürgische-sächsische Goldschmiedearbeiten befinden sich neben den Sammlungen im Brukenthalmuseum in Hermannstadt und dem Nationalmuseum in Budapest, beispielsweise in den ehemaligen Sammlungen der Fürsten Schwarzenberg in London und Prag, im Metropolitan Museum in New York sowie im Smithsonian Museum in Washington. Neben dem Landeskirchlichen Museum in Hermannstadt, das einen beachtlichen Teil der vasa sacra aus dem beeindruckenden Kirchenschatz der evangelischen Kirchen in Siebenbürgen behütet und zeigt und dem Brukenthalmuseum ist die Sammlung am Siebenbürgische Museum die dritte Sammlung an Goldschmiedekunst, die auf sächsische Initiative hin entstanden ist und bis heute in sächsischer Trägerschaft gepflegt wird.
Familie Moefert und der langjährige Museumsleiter und Kustos Rolf Schuller bauten als erste ein Netzwerk auf, dessen Schenkungen dem Museum zu gute kamen. Letzterer schuf ein bis heute gültiges Kompendium siebenbürgischer Goldschmiedemeister. Ein Prunkstück der neuen Ausstellung ist der Abendmahlskelch aus Draas aus der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts, der aus 675 Gramm vergoldetem Silber besteht. Hierbei handelt es sich um eine Dauerleihgabe der Kirchengemeinde. Die im Herbst 1944 evakuierten und geflüchteten Gemeinden nahmen als Schicksalsgemeinschaft auf ihren ungewissen Weg gen Westen ihre vasa sacra mit, so dass sich heute Dauerleihgaben im Siebenbürgischen Museum und im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg befinden.
Entsprechend wies der Theologe Dr. Rolf Binder in seinem Vortrag auf den Stellenwert siebenbürgisch kirchlicher Kunst in theologischer, geschichtlicher und kunstgeschichtlicher Sicht hin. Der Kelch, der „goldene Becher“ ist das wichtigste Abendmahlsgerät und ein heiliges Zeichen christlicher Gemeinschaft. Vielerlei ist an einem Kelch zu einem Ganzen verbunden, so wie in der christlichen Gemeinde viele Gemeindemitglieder als Gemeinschaft des Leibes Christi zusammen gehören. Seien es beispielsweise die aus Silber gegossenen oder getriebenen Blumen und Ranken oder die Perlenketten ähnliche Drahtschnüre – sie alle haben ihren symbolischen Wert. Im Laufe der Jahrhunderte tranken die Gemeindemitglieder aus ihrem Kelch und feierten Schicksalsgemeinschaft im Zeichen des neuen Bundes. Der goldene Becher ist Zeichen, dass wir im Lichte der Ewigkeit leben und selber als Gemeinschaft der Heiligen in Gottes Schatzkammer leben sollen. Entsprechend stellen die Exponate der vasa sacra ein memento pro memoria dar.
Ebenso sollen weitere Prunkobjekte und Geschmeide in der Ausstellung sowie die einmalig wertvollen Textilien aus längst vergangenen Zeiten den Weg in eine vielschichtige und bewegte siebenbürgische Vergangenheit öffnen. Der rege Handel, der seit dem Mittelalter nach Westeuropa und bis in die italienischen Städte führte, zur Levante und über die Krim und Russland bis tief in das Osmanische Reich hinein sowie die kulturellen (u. a. familiären) Verbindungen in die süddeutschen freien Reichsstädte, nach Polen und im Rahmen des Habsburgerreiches in dessen gesamten Herrschafts- und Einflussbereich ließen im Karpatenbogen und in den sächsischen Städten ein vielschichtiges Handwerk entstehen. Darunter nahm die Goldschmiedekunst in Bistritz, Hermannstadt, Kronstadt und Schäßburg eine herausragende Stellung ein. Die Verbindung von wirtschaftlicher Prosperität und kulturelle Blüte ließ in den Städten ein Patriziat entstehen, das in Goldschmiedearbeiten wie Geschirr, Pretiosen, Gold und Silber sowie Edelsteine als wichtige Repräsentationsobjekte als auch als sichere Anlage investierte und bis heute das kulturelle Selbstverständnis des städtischen Bürgertums prägt.
Anhand des allgemeinen hochmittelalterlichen Formengutes entwickelten sich im Laufe der Jahrhunderte mit den Ausdrucksformen der jeweiligen Epoche: Gotik, Renaissance, Barock, Rokoko und Zopfstil spezifisch formale und stilistische Ausdruckskonfigurationen zu Symbolen des eigenen kulturellen Ausdrucks. Dazu zählen das auf mittelalterliche Chormantelschließen verweisende Heftel der Frauentracht, der Spangengürtel, die Schleiernadeln, Armbänder und Patzel.
Als ein weiteres Prunkobjekt des sächsischen Patriziats ist ein Frauendolman ausgestellt, der ursprünglich um 1720 für Justina Seuler v. Seulern in Kronstadt als Teil eines kompletten Standesgewandes hergestellt worden war. Der ihm zugehörige Seggel befindet sich heute im Wiener Museum für Angewandte Kunst. Mit Hilfe der Familie v. Hannenheim und insbesondere von Herrn Florian Kimm, der die Recherche zu diesem Objekt intensiv unterstützte, kann nun als Leihgabe das Original des im Gemälde „Die Bockelung“ von Robert Wellmann verewigten Dolmans betrachtet werden. In nuce lassen sich an diesem Artefakt, das rund 170 Jahre nach seiner Entstehung als pars pro toto zu einer sächsischen Ikone stilisiert wurde, Fragen zur Kunst-, Kultur- und Modegeschichte, zum Politik- und Selbstverständnis des Sächsischen sowie zur Anthropologie ablesen.
Zu weiteren wertvollen textilen Pretiosen der Ausstellung zählen neben einem anatolischen Teppich eine sehr wahrscheinlich aus Bistritz stammende Kasel aus der Zeit um 1400. An ihr lässt sich eindrucksvoll die materiell-funktionale Umwidmung im Zeichen konfessioneller und ästhetischer Überlegungen ablesen. In der Funktion eines Antependiums schmückte sie bis ins 20. Jahrhundert den Altar der evangelischen Kirche in Deutschbudak.
Tief ließ die Vorsitzende des Trägervereins des Siebenbürgischen Museums, Dr. Irmgard Sedler, die Anwesenden in den Kosmos siebenbürgischer Städte eintauchen. Aber erst die ethnisch-kulturelle Symbolbehaftung sächsischer Materialkultur führte dazu, dass vieles von den ursprünglich zeitmodisch behafteten Gegenständen „als Herzstücke einen zeitlosen Platz im sächsischen Echoraum des Ländlichen gefunden haben und im dörflichen Kirchengewand, in stilistisch eingefrorenen Formen oft über die Jahrhunderte hinweg überdauert haben“ (Sedler).
Der elitäre Schmuck und die wertvollen Kirchenschätze sind ein bedeutendes Element im Zeichensystem der sächsischen Identität und wurden insbesondere bei gesellschaftlichen und politischen Umbrüchen entsprechend ihrer Symbolhaftigkeit als Garanten des Weiterbestehens angesehen. Als 2012 auf dem Friedhof in Setterich die 30 kg schwere Glocke der evangelischen Schule in Tschippendorf, die 1944 von den sächsischen Bewohnern bei ihrer Flucht mitgenommen worden war, gestohlen wurde, war der emotionale Verlust weit größer als der materielle „weil sie ein Stück Erinnerung […], ein Stück Vergangenheit, ja man könnte sagen ein Stück aus unserem Leben war.“ (SBZ 30. Juli 2013) Symbolisch war durch den Diebstahl die Existenz der Gemeinschaft erneut in Frage gestellt worden.
„Die Bewahrung des Formenkanons alter Schmuckstücke und ihre Einbindung in kirchliche Zeremonien, in Rituale der rites de passage und somit ihrer rituellen Weitergabe über die Generationen hinweg ist eine Möglichkeit, Kultur am Leben zu halten. Und manchmal geschieht das auch durch den kulturellen Transfer an andere Ethnien“, wobei Sedler auf die Goldschmiede-Becher verwies, die bereits vor Jahrhunderten den Weg zu den Roma gefunden hatten und dort in einem anderen kulturellen Kontext einen wichtigen Platz einnehmen.
Ziel der Museumswissenschaftler und Kuratoren ist es, mit der Schatzkammer als neuer Dauerausstellung ein Fenster in die Vergangenheit zu öffnen und das unverwechselbare und zeitenüberdauernde Kulturerbe siebenbürgischer Goldschmiedekunst im Rahmen eines vielschichtigen ideen- und traditionsgeschichtlichen Austausches zwischen Ost und West mit ihrer spezifisch formalen wie stilistischen Ausdrucksformen in einer Zeit zu bewahren, in der sächsisches Erbe gefährdet und wie seit Jahrhunderten in aller Welt verstreut von vielen in Anspruch genommen wird - ohne dass Herkunft und kulturelle Wurzeln offen gelegt wurden oder werden.
Der leitende Kurator des Siebenbürgischen Museums, Dr. Markus Lörz, stellte in seiner Einführung die Einrichtung und das museumsdidaktische Konzept vor. Dank der Förderung der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien konnte die Schatzkammer mit modernster Museumsausstattung versehen werden. Dazu zählen staubdichte Großvitrinen mit dimmbarer LED-Beleuchtung und Vitrinen für Einzelobjekte sowie modernste funkgesteuerte Klima- und digitale Sicherheitstechnik. Die Kulturstiftung der Kreissparkasse Heilbronn finanzierte die Restaurierung vieler Ausstellungsstücke und der Förderverein des Siebenbürgischen Museums stellte einen großzügigen Beitrag zur Verfügung. Zu den Ehrengästen des Abends zählte Dr. Christoph Seeger, Aufsichtsrat der Wüstenrot&Württembergischen AG und großzügiger Förderer des Siebenbürgischen Museums. Bei den ausgestellten Objekten handelt es sich um Schenkungen oder Dauerleihgaben. Manche Objekte konnten mit Geldern des Innenministeriums und später der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien sowie durch den Förderverein des Siebenbürgischen Museums erworben werden.
Lörz bot eine kunsthistorische Einordnung der Goldschmiedearbeiten aus Siebenbürgen, wobei er auf Werke von Dr. Daniela Dâmboiu, Rolf Schuller, Dr. Evelin Wetter und Dr. Volker Wollmann zurückgriff. Entsprechend standen die Goldschmiedearbeiten aus Hermannstadt und Kronstadt im Vordergrund seiner Darstellung. Lörz wies auf massive Forschungsdesiderate und die fehlende Dekonstruktion gängiger Narrative im Bereich der Kunstgeschichte Siebenbürgens hin, während sie im Bereich der vergleichenden Geschichtswissenschaft, Kulturgeschichte und Volkskunde längst aufgearbeitet sind. Als wesentliche Grundlagen fehlten etwa Überblick gebende Typologien auf Basis belastbarer Datenbestände, Materialanalysen in großen Versuchsreihen oder die vergleichende motivisch stilistische Einordnung eines breiten, aussagekräftigen Bestandes siebenbürgischer Exponate im Kontext der europäischen Goldschmiedekunst der jeweiligen Epoche selbst. Ebenso fehlten bis heute großangelegte Forschungsarbeiten zu den Wanderstationen siebenbürgischer Gesellen auf der Basis verlässlicher Quellen. Angesichts schwindender Forschungsmittel wären in diesem Kontext neue Methoden hilfreich wie kollaborative Datenbanksysteme und der Einsatz von Künstlicher Intelligenz.
Die Angesichts der hochkarätigen Objekte an diesem Abend aufgeworfenen weit aufgefächerten themen- und fachübergreifenden, transnationalen und pluriethnischen Fragestellungen lassen die Hoffnung aufkeimen, dass die Schatzkammer als thematisch neuer Bereich der Dauerausstellung nicht nur das Publikum, sondern auch Wissenschaft, Lehre und Forschung anregen und am Siebenbürgischen Museum künftig auch in diesem Bereich federführende Forschung betrieben werden wird. Begleitet wurde die feierliche Eröffnung musikalisch von Herrn Nepomuk Golding, einem der besten klassischen Akkordeonisten der Gegenwart.
Dr. Ingrid Schiel
Bei der Eröffnung der neuen Schatzkammer auf Schloss Horneck: Margot v. Hannenheim, Dr. Florian Kimm und Dr. Irmgard Sedler (von links nach rechts) vor dem Frauendolman der Justina Seuler v. Seulern, Kronstadt um 1720. Foto: Werner Sedler
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