„Vermittler zwischen Ost und West“
19.08.10
Zu Besuch im Deutschen Kulturforum östlichen Europa
Das Deutsche Kulturforum östliches Europa in Potsdam feiert heuer zehn Jahre seines Bestehens. Es wurde auf Initiative des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien gegründet und engagiert sich „für eine kritische und zukunftsorientierte Auseinandersetzung mit der Geschichte jener Gebiete im östlichen Europa, in denen früher Deutsche gelebt haben bzw. heute noch leben“, so die Webseite www.kulturforum.info. Weiterhin heißt es: „Das Kulturforum versteht sich als Vermittler zwischen Ost und West, zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit, zwischen Institutionen und Einzelinitiativen. Mit seiner Arbeit leistet es einen aktiven Beitrag zu internationaler Verständigung und Versöhnung in einem zusammenwachsenden Europa.“
Das Kulturforum organisiert Veranstaltungen, Ausstellungen, Buchvorstellungen, Vorträge, Podiumsdiskussionen und Tagungen. Ebenfalls veröffentlicht es in seinem Verlag unterschiedliche Publikationen wie Sachbücher, Bildbände und Belletristik und übermittelt online Informationen und Hinweise. In den Fachbereichen Kulturpolitik, Kulturgeschichte, Kunst und Denkmalpflege, Literatur, Film und Musik arbeitet die Institution mit Partnern aus Mittel-, Ost- und Südosteuropa zusammen, um die „Kulturtraditionen dieser Regionen als verbindendes Erbe der Deutschen und ihrer östlichen Nachbarn“ zu entdecken und dem Publikum zu vermitteln. Selbst im Urlaubs-Monat August gab es keine Ferien: auf dem Programm standen eine Buchpräsentation zum „schlesischen Elysium“, eine Lesung, eine Ausstellung, sowie die Sommerakademie für Übersetzer deutscher Literatur.
KR-Redakteurin CHRISTINE CHIRIAC diskutierte in Potsdam mit Dr. Doris Lemmermeier, Direktorin des Kulturforums seit 2008, und Dr. Harald Roth, Historiker und Referent für Südosteuropa.
In welchem Kontext wurde das Deutsche Kulturforum östliches Europa vor zehn Jahren gegründet?
Dr. Doris Lemmermeier: Nach dem Zweiten Weltkrieg musste Deutschland vierzehn Millionen Vertriebene und Flüchtlinge integrieren, vier Millionen in der ehemaligen DDR und zehn Millionen im Westen. Da sind natürlich sehr unterschiedliche Interessenlagen entstanden. 1953 wurde das Gesetz über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge erlassen. Der Paragraph 96 besagt, dass die Bundesrepublik, die Länder und die Bundesregierung dafür verantwortlich sind, das Kulturgut der Vertreibungsgebiete in dem Bewusstsein der Vertriebenen, der Flüchtlinge und des gesamten deutschen Volkes zu erhalten und es im Ausland zu vermitteln. Nach so vielen Jahren ist es erstaunlich, wie viel Öffnung dieser Paragraph hat – bis dato musste er nicht verändert werden. Im Laufe der Jahrzehnte haben sich sehr viele Institutionen entwickelt, eine riesige Bandbreite, die in unterschiedlichen Fachbereichen gearbeitet haben. Das Kulturforum wurde im Rahmen einer Umstrukturierung im Jahre 2000 neu gegründet, und zwar mit der klaren Maßgabe, dieses Thema zukunftsorientiert, im Dialog mit den Ländern und kritisch zu bearbeiten, und auch dafür zu sorgen, dass die Diskussion an die größere Öffentlichkeit gebracht wird. Dieser Ansatz war wirklich neu. Denn, und das muss man sagen, dieser Teil der Geschichte ist in der Bundesrepublik nicht sehr präsent, vor allem unter den jungen Leuten, den Schülern oder sogar den Studenten.
Gibt es ein Stammpublikum der Veranstaltungen?
D.L.: Es ist noch immer so, dass der überwiegende Teil des Publikums die Erlebnisgeneration ist, bzw. die Kinder, die schon hier geboren sind, aber bei denen diese Erfahrungen noch eine enorme Rolle gespielt haben. Es kommen auch die zweite, dritte, vierte Generation. Wir versuchen natürlich in unserer Arbeit gezielt, die junge Generation anzusprechen.
Das Kulturforum arbeitet auf drei Ebenen: Veranstaltungen, Verlag, Internetplattform. Was läuft am besten, wo besteht noch Verbesserungsbedarf?
D.L.: Das kann man so pauschal nicht sagen. Die Veranstaltungen, die Publikationen und das Internet sind sehr feste Pfeiler unserer Arbeit, wobei ich Verbesserungspotential am ehesten im Bereich des Internets sehe. Wir sind dabei, eine neue Internetseite vorzubereiten, die im Frühjahr nächsten Jahres hoffentlich an den Start gehen wird. Die jetzige Seite bietet sehr viel, aber sie ist ziemlich unübersichtlich, und das wollen wir verbessern.
Werden Musik-, Film- und Literaturveranstaltungen von Künstlern und Autoren aus Osteuropa gestaltet?
D.L.: Das ist ganz unterschiedlich. Wenn Sie jetzt Musik ansprechen: wir organisieren zum Beispiel Konzerte oder veröffentlichen CDs mit Musik von deutschen Komponisten, die in Osteuropa gewirkt haben. Dieser Bezug zur deutschen Geschichte, zur deutschen Kultur im östlichen Europa muss immer da sein.
Welches sind die Institutionen mit denen Sie zusammenarbeiten, sowohl hier in Deutschland, als auch im Osten?
D.L.: Die Liste ist sehr lang, eben weil die gezielte und bewusste Zusammenarbeit mit sehr vielen Leuten das Markenzeichen oder eines der Kennzeichen des Kulturforums ist. Dadurch wird das Thema noch breiter in die Gesellschaft getragen. Im Internet gibt es eine Liste der Kooperationspartner, es sind mindestens 50-60 pro Jahr.
Gibt es Veranstaltungen auch in Osteuropa oder findet das meiste in Deutschland statt?
D.L.: Wir sind insgesamt dreizehn, mit mir zusammen, und sechs Referenten. Da kann man natürlich nicht alles gleichmäßig bespielen. Der Schwerpunkt unserer Arbeit liegt natürlich im Berlin-Potsdamer Raum, wir machen aber auch etliche Veranstaltungen – dieses Jahr sehr viele - im gesamten Bundesgebiet.
Wie wird das zehnjährige Jubiläum gefeiert?
D.L.: Wir haben uns ein Motto gegeben, „Erinnern und Entdecken“, zu dem es zehn Veranstaltungen zu zehn unterschiedlichen Jahrestagen gibt, die jeweils an mehreren Orten stattfinden.
Wie kommt das Thema Südosteuropa in Deutschland an?
Dr. Harald Roth: Unterschiedlich. Was beim deutschen Publikum gut ankommt,ist zum Beispiel das Thema Siebenbürgen, während die diesjährige europäische Kulturhauptstadt Fünfkirchen/Pécs in Ungarn nicht die gleiche Resonanz hat. Die Region Siebenbürgen ist bekannter, was auch mit der Publizität der letzten Jahrzehnte zu tun hat. Die Schwäbische Türkei oder die Donauschwaben wurden bis vor Kurzem nahezu gar nicht bis sehr wenig bekannt gemacht, während über Siebenbürgen sehr viel veröffentlicht wurde. Es war eine langfristige Entwicklung.
Also hatte die Kulturhauptstadt Hermannstadt mehr Resonanz als die Kulturhauptstadt Pécs hat?
H.R.: Ja, das kann man nicht vergleichen.
D.L.: Auf jeden Fall. Zwei Bücher, die sich zum Beispiel sehr gut verkaufen, sind „Das Wehrhafte Sachsenland“ und die „Städte im südlichen Siebenbürgen“ (von Arne Franke, mit historischen Einführungen von Harald Roth, Anm. d. Red.) Diese haben ein enormes Publikum in Deutschland. Selbstverständlich hängt es auch an der Werbung, die man sich macht. Wir haben beispielsweise ein Stadtschreiberprojekt im vorigen Jahr gestartet: eine junge deutsche Schriftstellerin war fünf Monate in Danzig und hat dort als Stadtschreiberin einerseits an ihrem Roman gearbeitet, andererseits aber auch ein Blog über Stadt und Geschichte für uns geführt. Dieses Jahr wird eine junge Schriftstellerin fünf Monate in Pécs arbeiten.
Wird auch das Banat als Thema behandelt, oder geht es hauptsächlich um Siebenbürgen?
H.R.: Das Banat haben wir bislang wenig behandelt. Darüber wird im Donauschwäbischen Zentralmuseum sehr viel gemacht. In den letzten Jahren haben wir uns viel auf Bukowina konzentriert, im vorigen Jahr haben wir jemanden aus Sathmar eingeladen – also ist nicht nur Siebenbürgen als Thema präsent. Wir haben versucht, mit der Buchvorstellung zu „Städte im südlichen Siebenbürgen“ in diesem Jahr nach Bukarest zu gehen, aber es hat leider nicht funktioniert.
Haben Sie beispielsweise auch mit den Nachwuchswissenschaftlern von „Studium Transylvanicum“ zusammengearbeitet?
H.R.: Mit ihnen haben wir vor wenigen Jahren einen Workshop in Deutsch-Weißkirch gestaltet, aus dem der kleine Kunstführer (Timo Hagen: „Deutsch-Weißkirch/Viscri. UNESCO-Kulturerbe, Dorf und Kirchenburg“, Anm. d. Red.) hervorgegangen ist. Die Zusammenarbeit ist eher punktuell. Sie arbeiten vor allem in Richtung Wissenschaft, während wir sozusagen Breitenarbeit machen.
Wer arbeitet im Team des Kulturforums?
D.L. Wir haben einen Literaturwissenschaftler, einen Musikwissenschaftler, Historiker, eine Kunsthistorikerin, zwei Verlagsmitarbeiterinnen, die Referenten, ich bin von Haus aus Slavistin... So entspricht es unserer Arbeit. Wissenschaftliche Organisationen gibt es viele, aber das ist eben ganz dezidiert nicht unser Spielfeld.
Wie kam es zum Ort Potsdam?
D.L.: Im Westen hat sich eine differenzierte Verbandsstruktur herausgebildet, weil man sich dort mit dem Thema Flucht und Vertreibung beschäftigen durfte. Das durfte man in der DDR nicht. Von daher sind die allermeisten Strukturen und Institutionen im Westen verankert. Das war auch, glaube ich, ein Grund, die neue Institution in einem neuen Bundesland anzusiedeln, um dieses Thema auch vor Ort publik zu machen und sich damit zu beschäftigen.
Welches wären die Hauptschwierigkeiten in der Arbeit des Kulturforums?
D.L.: Eigentlich muss ich sagen, dass die Möglichkeiten bei weitem die Schwierigkeiten überwiegen. Geld hat man nie genug. Eine Schwierigkeit, der man sich stellen muss, ist, die junge Generation zu erreichen. Zudem ist die Öffentlichkeitsarbeit nicht so einfach. Aber Probleme sind erstmal da, um gelöst zu werden.
Hat das Forum Schwerpunktregionen in Mittel-, Ost- und Südosteuropa?
D.L.: Polen, Schlesien, Pommern sind ein Schwerpunkt in fast jedem Jahresprogramm. Ostpreußen ist ein enormer Renner beim Publikum. Siebenbürgen, wie Herr Roth schon gesagt hat, kommt sehr gut an, und ich denke, das Interesse am Thema wird auch noch zunehmen. Das wären die Highlights. Dann gibt es auch andere Regionen, die eine gewisse Faszination ausstrahlen; wir haben zum Beispiel ein Buch über Bessarabien veröffentlicht, das sich ziemlich gut verkauft.
Und, zum Schluss, Zukunftspläne des Kulturforums?
D.L.: Neben dem Programm für das Jubiläumsjahr gibt es ein sehr umfangreiches Jahresprogramm. Für uns ist es sehr wichtig, dass wir im nächsten Jahr unsere neue Internetseite an den Start bekommen, dass wir uns im Bereich Öffentlichkeitsarbeit verfeinern, sowie im Hinblick auf die Jugend. Für 2011 lautet unser Jahresthema „Biografien“.
Foto 1
Dr. Harald Roth und Dr. Doris Lemmermeier
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Das Kabinetthaus am Neuen Markt in Potsdam ist der Sitz des Deutschen Kulturforums östliches Europa.
Fotos: die Verfasserin
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