Verpasstes Potenzial
23.06.22
Warum es sich in Kronstadt so schwer mit dem Kulturtourismus tut
„Es tut mir leid. Ich bin jedes Jahr speziell aus Temeswar angereist, um am Festival teilzunehmen”. So lautet das Facebook-Kommentar eines jungen Mannes als Reaktion auf die Bekanntgabe, dass das Amural-Festival für zeitgenössische bildende Kunst nicht mehr stattfinden wird. Dieses Kommentar sagt vieles über eine traurige Situation aus: das größte Potenzial Kronstadts ist, Kultur-Tourismus zu generieren. Doch die vielen Chancen, dieses Potenzial zu verwirklichen, verpasst die Stadt unter der Zinne mit jeder Gelegenheit. Wie ein Fußballer, der fünf Meter entfernt von einem leeren Tor steht und es trotzdem nie schafft, den Ball ins Netz zu schießen.
An das eher armselige Kulturleben der Stadt haben sich Kronstädter und Touristen gewöhnt. Kulturschaffende, die versucht haben, etwas Leben in die verstaubte Szene zu bringen, sind einer nach dem anderen gescheitert und versuchen nun ihr Glück in anderen Städten. Außer der Musikszene, die dank einer langjährigen Tradition weiterhin aufblüht, gibt es leider nichts Spannendes zu erleben. Ein Glück, dass sich die Stadt Sfantu Gheorghe, die viel mehr in dieser Hinsicht zu bieten hat, nur 30 Kilometer entfernt befindet. Und dass es noch kleine Kulturinseln gibt, wie das Cafe Tipografia, wo regelmäßig interessante Ausstellungen und Literatur- Veranstaltungsreihen organisiert werden.
Ein wahrer Lichtblick war das Amural-Festival, eines der wenigen innovativen Projekte, die in Kronstadt durchgeführt wurden. Am ersten Septemberwochenende war in Kronstadt plötzlich alles möglich. Der Weiße Turm erstrahlte in rosa Licht und bunte Sterne liefen auf ihm auf und ab, am Rosenanger wurden Filme an die Hauswände projiziert und im Wald neben der Graft-Promenade konnte man mitten am Tag auf kleine Orchester stoßen. Während des Festivals war die Stadt ein riesiges Open-Air Kulturzentrum, Touristen aus dem ganzen Land bewunderten die Projektionen auf den Mauern. Paralell zu Amural gelang es dem Kulturverein Visssual, die Halle einer alten Schuhfabrik in einen Veranstaltungsraum umzuwandeln. Bei Visssual gab es wöchentlich Theatergastspiele der freien Szene Bukarest, Filmvorstellungen und Konzerte. Und für eine kurze Zeit lang auch einen Sommergarten. Beide wurden im letzten Jahr geschlossen.
Und dann kam vor einem Monat eine andere traurige Nachricht: die Initiatoren von Amural gaben bekannt, dass die Veranstaltung nicht mehr stattfinden wird und dass sie in Zukunft keine Kulturevents mehr in Kronstadt organisieren werden. Der Grund sei, dass sie von der lokalen Politikszene keine Unterstützung mehr haben.
Diese Nachricht kam einen Tag nachdem der Verein bei den Preisen der Verwaltung des Nationalen Kulturfonds (AFCN) eine Auszeichnung für das Projekt BUM (Brasov Underground Museum) erhalten haben. Das Museum wurde im Juni 2021 in den Katakomben an der Graft eröffnet und erfreute sich großer Beliebtheit. Doch trotz des Erfolgs wurde im September im Stadtrat entschieden, die Kunstgalerie für New Media zu schließen, nachdem von mehreren PSD- und PNL-Lokalräten Druck in dieser Hinsicht ausgeübt wurde. Es scheint so, als ob alle guten Initiativen, die Kulturszene zu beleben, an der Ignoranz der Lokalbehörden scheitern. Und das scheint typisch für Kronstadt zu sein - in Neumarkt am Mieresch zum Beispiel befinden sich in allen Türmen und Basteien freie Theater oder Kulturvereine – dank der Unterstützung der Lokalbehörden. Dass so etwas in Kronstadt je der Fall sein wird, ist unwahrscheinlich.
Man hat gehofft, dass sich mit der neuen Stadtleitung die Dinge zum Guten wenden, aber leider scheint es noch schlimmer zu sein als zuvor. Das Popular-Kino in der Klostergasse, das in den letzten Jahren renoviert wurde, ist noch immer nicht offen. Man fragt sich, warum.
In seiner Wahlkampagne 2020 hat Bürgermeister Allen Coliban damit geworben, dass in der Stadt unter der Zinne in Zukunft verschiedene Versionen von bekannten Elektromusikfestivals stattfinden werden. Er sprach dabei von „Kronstädter Versionen von Electric Castle und Untold”. Der große Flop folgte dann Anfang 2022, als die erste Auflage des Festivals für elekronische Musik MASSIF, die für März angekündigt war - so wie man es erwartet hatte-wegen Corona abgesagt wurde. Es hat schon manchen Kronstädter gewundert, als Ende Dezember 2021, als es klar war, dass Mitte Februar die fünfte Corona-Welle ihren Höhepunkt erreichen wird, Coliban Werbung für das Fest machte. Es scheint, dass die Phantasie dazu fehlt, ein neues Festival zu organisieren, das typisch für Kronstadt und keine blasse Kopie anderer Veranstaltungen ist. Man fragt sich, warum.
Vor kurzer Zeit gaben auch die Organisatoren des Festivals „CartFest”, das jedes Jahr im Juli in Neustadt stattfand und mit Konzerten, Theateraufführungen, Workshops und Literatur-Lesungen im Programm, bekannt, dass die beliebte Veranstaltung nicht mehr stattfindet, da sie keine Finanzierung von den Lokalbehörden erhalten hat. Sie sei „nicht relevant”. Man fragt sich, warum.
RMN, der letzte Film von Cristian Mungiu, der im diesjährigen Cannes-Wettbewerb teilgenommen hat, befindet sich zurzeit auf Rumänien-Tournee. Nach jeder Ausstrahlung steht ein Teil des Teams (oft auch der Regisseur) dem Publikum für Fragen und Antworten zur Verfügung. Auf der langen Liste mit Ortschaften, an denen diese Veranstaltungen stattfinden, sind Städte wie Bârlad, Focșani, die Ortschaft Ditrău (wo sich die Begebenheit ereignet hat, von der das Drehbuch ausgeht), aber nicht Kronstadt. Man fragt sich, warum.
Elise Wilk
„Amural” ist jetzt nur eine Erinnerung. Foto: Verein „Visssual”
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
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