Von und mit Menschen, die Geschichte schreiben
16.08.24
Interview mit Mihai Dragomir, Vorsitzender des Festivals für Film und Geschichten in Rosenau
Zwischen dem 9. und dem 25. August findet in Rosenau, Marienburg, Zeiden und Kronstadt die 16. Auflage des Internationalen Festivals für Film und Geschichten (FFIR) statt. 120 Veranstaltungen rund um das Thema „Leadership“ (Führerschaft) bringen einen Ansporn, die eigenen Entscheidungen zu wichtigen Themen zu durchdenken, insbesondere im Kontext der Wahlen, die diesen Herbst weltweit stattfinden werden – es ist der größte Wahlprozess seit 2004, bei dem die Hälfte der Weltbevölkerung bei den Urnen erwartet wird. Filme, Musik, Theater, Debatten, Buchvorstellungen, sowie eine Sommerschule für Studenten bringen Abertausende zusammen. Maia Sandu, Präsidentin der Republik Moldau, Adrian Cioroianu und Theodor Paleologu sind nur einige der Politiker, die beim FFIR mit dem Publikum ins Gespräch gekommen sind, ebenso wie die Regisseure Stere Gulea und Nae Caranfil, die Filmkritikerin Irina Margareta Nistor, Schriftsteller, Musiker, Wissenschaftler, Forscher, Anthropologen und Unternehmer. 2024 sind der französische Historiker Thierry Wolton und die rumänische Schriftstellerin Ana Blandiana die Ehrengäste des Fests. Mihai Dragomir leitet die Festspiele seit deren Gründung im Jahr 2009 und spricht in einem Interview mit KR-Redakteurin Laura Capatana Juller über das Konzept, die Entwicklung und Atmosphäre, aber auch über die Projekte, die der Verein Mioritics, dessen Leiter er ist, durchführt und die einen bedeutenden Beitrag dazu leisten, dass die Gemeinschaft das ganze Jahr über in Kulturveranstaltungen impliziert ist.
Als Anerkennung für den bedeutenden Beitrag des Vereins zur kulturellen Entwicklung des Landes und für die Hingabe bei der kulturellen Bildung des Publikums aller Altersgruppen, wurde Mioritics im Jahr 2021 vom Staatspräsidenten Klaus Johannis mit dem Orden für Kulturelle Verdienste im Rang eines Kavaliers (Kategorie Nationales Kulturerbe) ausgezeichnet. Die NGO baut eine implizierte und aktive Gemeinschaft auf und bietet im rumänischen öffentlichen den nötigen Rahmen für Diskussionen über bedeutende Themen zu sprechen, deren zeitliche Wirkung die Vergänglichkeit des Augenblicks übersteigt.
FFIR ist ein sehr beliebtes Festival, bei dem sowohl Künstler, wie auch Politiker, Wissenschaftler oder Unternehmer zusammenkommen. Wie hat alles angefangen?
Dieses Festival wurde von Nicolae Pepene, damaliger Leiter der Kulturdirektion Rosenau, heute Leiter des Kronstädter Geschichtsmuseums und dem damaligen Bürgermeister Rosenaus, Adrian Ve{tea, ins Leben gerufen. 2009 suchte der Verein Mioritics einen Standort für ein Infozentrum zum Kulturerbe in Kronstadt. Wir hatten, mit Unterstützung der UNESCO, bereits ein Zentrum in Hermannstadt und eines in Schäßburg eröffnen können, mit dem Ziel, die Dörfer, wo es Kirchenburgen gibt, zu fördern. Diese waren damals noch relativ unbekannt. Die Behörden boten uns an, das Infozentrum in Rosenau zu gründen und zeigten sehr viel Unterstützung. Es war das erste Mal, dass Behörden uns mit offenen Armen empfangen hatten, sodass wir im Sommer 2009 das Zentrum in Rosenau eröffneten. Im Herbst fand bereits die erste Auflage des Festivals für geschichtliche Filme „Nemuritorii“ (Die Unsterblichen) statt. Die beiden Gründer hatten verstanden, dass ein Nischen-Festival nötig ist, wo nicht die Anzahl der Zuschauer wichtig ist, sondern der Inhalt. Schon damals habe ich das Potential so eines Festivals gesehen und wir haben es Jahr für Jahr entwickelt, sodass ein sehr vielfältiges Angebot im Programm ist. Es gibt auch eine Sommerschule und mittlerweile auch ein FFIR Young für die junge Generation, die uns sehr wichtig ist.
Es hat sicher auch geholfen, dass Rosenau ein Kino hat. Nur wenig Städte haben diesen Luxus.
Ja, 2009 wurde das Kino frisch renoviert, sodass wir dort Filme zeigen konnten. Allerdings gab es zum Zeitpunkt, als wir das Festival organisierten, noch keine Stühle, sodass der Bürgermeister die Vertreter mehrerer politischer Parteien angerufen hat: in drei Stunden standen hunderte Stühle im Kino, sie waren blau, grau und schwarz. Das war der Moment, in dem ich verstanden habe, dass es in Rosenau möglich ist, Sachen zu bewegen, dass man sich nicht in kleinen, unnötigen Konflikten verliert.
FFIR ist ein Festival „ohne rotem Teppich, ohne Allüren, ohne Hysterie und ohne Breaking News“. Warum wollen Sie das so?
FFIR hat einen entspannten Geist und ist ein Festival mit und für Menschen. Und dabei wollen wir es behalten. Außerdem ist Rosenau eine kleine Stadt, ohne Infrastruktur für große Allüren. Die einzige Indoor-Location ist das „Amza Pellea“-Kino, die restlichen Events finden im Burghof, im Schubz-Garten oder in anderen Veranstaltungsorten unter freiem Himmel statt.
Seit einigen Jahren findet das Festival auch in anderen Ortschaften statt. Warum?
Wir haben uns für die Erweiterung der Veranstaltungen entschieden, um wichtigen historische Orte einzuschließen, wie die Weberbastei in Kronstadt, die Festung in Marienburg, die zentrale Fußgängerzone in Zeiden oder die Törzburg. Es wäre schade, so viel Inhalt zu haben und ihn nicht mit den umliegenden Gemeinschaften zu teilen, wie etwa jenen in Felmern, Honigberg, Krebsbach oder Wolkendorf, wo FFIR auch Veranstaltungen hatte.
Das Festival ist nur die Spitze des Eisbergs, also dessen, was der Verein Mioritics das ganze Jahr über organisiert.
Ja, denn es reicht nicht, nur ein Mal im Jahr einige Tage ein Festival zu organisieren. Man braucht das ganze Jahr über Veranstaltungen, bei denen die Gemeinde impliziert wird und die sie an Kulturveranstaltungen gewöhnt. Wenn man Änderungen bewirken will, wenn man Publikum im Saal will, wenn man den Verstand öffnen möchte, man muss einen viel umfassenderen und dauerhaften Ansatz verfolgen, als nur einige Tage Festival im Jahr. Man muss das ganze Jahr über in der Gemeinschaft präsent und aktiv sein. Und genau das machen wir in unserem Schubz-Umweltbildungszentrum, wo wir mit Jugendlichen und Lehrern aus der Gemeinschaft, der ganzen Region und sogar auf nationaler Ebene arbeiten. Ganzjährig implizieren wir uns auch im Kulturmanagement des Kinos in Rosenau, betreuen das Infozentrum in der Festung und haben eine Plattform für lokale Künstler geschaffen, wo sie ihre Produkte entwickeln können und Zugang zu einem Markt haben. Wir beteiligen uns auch an der Entwicklung der touristischen Infrastruktur, markieren Wege, führen Umweltpflege im Wald durch, bieten den Touristen wöchentliche Erlebnisse (eines mit Bezug zur Natur und eines zur Geschichte der Stadt). All diese Aspekte stehen in engem Zusammenhang und tragen dazu bei, dass das Festival ein Erfolg ist.
Das Publikum musst du selbst erziehen. Wir haben 2012 Jocmania, ein Festival für Kinder gegründet. Anfangs gaben wir den Kleinen ein Bonbon oder Schokolade, um zu Filmvorführungen zu kommen. Jetzt kommen so viele Kinder (ohne Süßigkeiten zu bekommen), dass wir die Filme zweimal zeigen müssen, damit alle Interessierten ihn sehen. Von den Kindern, die im Laufe der Zeit an unseren Aktivitäten teilgenommen haben, sind manche nun Volontäre im Verein. Drei von ihnen sind sogar Teil des bezahlten Teams von FFIR. Sie wachsen hier auf und setzen sich für die Gemeinde ein. Viele von ihnen sagen, sie wollen in Rosenau bleiben. Das ist vielversprechend.
Was bringt die Gäste zum FFIR?
Wir fragen unsere Gäste und das Publikum nach jeder Auflage, was wir vielleicht anders machen, vielleicht verbessern können und alle antworten, dass wir die Atmosphäre, die beim Festival herrscht, nicht ändern sollen. Sie wünschen sich, dass alles locker und gelassen bleibt und dass die Treffen im Schubz-Garten weiterhin so locker bleiben.
In einem Jahr waren der amerikanische und der israelische Botschafter zu Gast. Als sie im Schubz-Garten waren, standen vor dem Haus zehn Security-Wagen, am Eingang waren Wächter. Aber im Garten saßen die Botschafter an einem unserer Holztische und unterhielten sich miteinander und mit anderen Gästen. Wir hatten frisch gebackene Pizza aus unserem Ofen, frische Luft und grünes Gras. Es war alles sehr einfach und authentisch. Der Direktor einer großen Bank kam in den Hof und sagte begeistert, dass es nirgendwo so etwas gäbe.
Ich möchte hinzufügen, dass keiner unserer Gäste für seine Anwesenheit bezahlt wird, alle machen das pro bono. Und die meisten kehren zu den nächsten Auflagen wieder.
Beim Festival nehmen die Debatten einen wichtigen Platz ein. Warum?
Ich finde es sehr wichtig, über Ereignisse in der Geschichte und in der Gegenwart zu sprechen. Seit der Pandemie haben sich die Gewohnheiten der Konsumenten sehr stark geändert. Anfangs wollten alle an Events teilnehmen, aber danach sind sie müde geworden. Die Pandemie und der Krieg haben so viele negative Informationen gebracht, Ängste und Angstgefühle ausgelöst, dass die Leute, zumindest im Sommer, leichte Unterhaltung wünschen, nicht etwa Debatten zu dringenden Problemen. Es besteht eine gewisse Müdigkeit bei den Zuschauern, aber diese Müdigkeit tut nicht gut. Wenn wir alles an uns vorbeigehen lassen und wenn wir uns darauf verlassen, dass jemand anderes die Probleme löst, ist es nicht gut. Darum muss man weiterhin über dringende Probleme sprechen!
Die Debatten und Vorträge werden live übertragen.
Welches sind die Herausforderungen des FFIR?
Wir sind kein Festival, das Profit macht und müssen für jede Auflage Projekte schreiben und Gelder beantragen. Weil es ein Nischen-Festival ist und nicht hunderttausende Zuschauer anlockt, ist es für große Sponsoren nicht attraktiv. Ich wünsche mir, dass es nachhaltig wird und sich eine langzeitige Finanzierung dafür findet.
Welches ist Ihre schönste Erinnerung vom Festival?
Es gibt sehr viele schöne Erinnerungen. Eine, die mich besonders berührt hat, war 2012, als sich der Tag des Attentats palästinensischer Terroristen auf die israelische Mannschaft bei den Olympischen Spielen von 1972 in München zum 40. Mal jährte. Wir hatten Steven Spielbergs Film „Munich“ (2005) im Programm und haben bei der Israelischen Botschaft gefragt, ob es einen Dokumentarfilm zur Tragödie gibt. Sie boten uns an, einen Überlebenden zum Festival einzuladen: Henry Herscovici. Der rumänische Sportler, der bei Dinamo Sportschießen trainiert hatte, emigrierte 1965 nach Israel und vertrat 1972 seine neue Heimat bei den Olympischen Spielen, trug sogar die Flagge der Israelischen Delegation. Er erzählt, dass Ivan Patzaichin eine Stunde vor der Tragödie kurz in der Villa gewesen war, wo die israelische Delegation wohnte, um einem rumänischen Freund, der emigriert war, ein Geschenk zu übergeben. Herscovici schilderte, wie er in der Nacht Lärm in der Villa gehört hatte und das Geräusch eines Gewehrs das aufgeladen wird, ein Geräusch, das ihm vom Sport sehr vertraut war. Er ist vom Balkon gesprungen und hat überlebt. Seine Geschichte, die er mit uns bei FFIR geteilt hat, war sehr rührend. Und es war der Moment, in dem wir erkannt haben, dass wir unserem Publikum Treffen mit Leuten ermöglichen wollen, die Zeugen bedeutender Ereignisse waren, die Geschichte geschrieben haben. Und das versuchen wir bei jeder Auflage.
Welche Veranstaltungen sollten unsere Leser auf keinen Fall verpassen?
Es ist schwer zu sagen, weil wir alle gut finden. Aber im Rahmen des Projekts, „Dincolo de garduri“ (Jenseits der Zäune) werden ehemalige Canzonetta-Choristen bei Ingeborg Acker im Hof (Langgasse/Florilorstr. Nr. 48) am Donnerstag, den 22 August, um 18 Uhr, das Konzert „Tesserae - eine Reise durch die Musikepochen“ zu Ehren ihrer ehemaligen Chorleiterin geben. Das wird ein besonderes Event. Dieses Konzept wurde ins Leben gerufen, weil wir wenig Schauplätze in Rosenau haben, wo wir etwas organisieren können. Daher haben wir Rosenauer eingeladen, die Tore ihrer Häuser und Höfe für einige Stunden für eine Kulturveranstaltung zu öffnen.
Vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg beim Festival und bei Ihren Projekten!
Die 16. Auflage des FFIR wird vom Kreisrat Kronstadt, vom Nationalen Filmzentrum CNC und Sponsoren finanziell unterstützt. Karten zum Festival sind auf der Plattform eventbook.ro, das gesamte Programm auf der Internetseite ffir.ro oder auf dessen Facebook-Seite erhältlich.
Foto: Der in Medgidia, Kreis Konstanza geborene Mihai Dragomir, ist zwar sesshaft in Bukarest, verbringt seit 22 Jahren aber einen Großteil seiner Zeit in Siebenbürgen und speziell in Rosenau.
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
Redaktion: 500.030 Braşov, Str. GH. Baiulescu 2,
Fernruf und Telefax: 0040 -(0)268/475 841,
E-Mail:kronstadt@adz.ro
Schriftleiter: Elise Wilk.
Redaktuere:Ralf Sudrigian, Hans Butmaloiu, Christine Chiriac (Redakteurin, 2009-2014), Dieter Drotleff (Redaktionsleiter 1989 - 2007)
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