„Von zu Hause nach Hause und umgekehrt“
03.06.10
Gespräch mit Helfried Götz, dem Neustädter Nachbarvater in Deutschland
Die Evangelische Kirchengemeinde A.B. in Neustadt/Cristian (Kreis Kronstadt) zählt rund 100 Gemeindemitglieder. Im Vergleich mit ihr ist die Heimatortsgemeinschaft (HOG) Neustadt in Deutschland zahlenmäßig viel stärker: sie zählt 891 Personen. Jedoch schrumpfen auch hier die Ziffern von Jahr zu Jahr.
Helfried Götz, ein gebürtiger Neustädter der schon seit 20 Jahren in Bayern wohnt, ist Vorsitzender der HOG. Er kommt oft auf Besuch nach Rumänien. In der KR stellt er sich vor und erzählt über seine Tätigkeit als Nachbarvater.
Wie ist Ihr Berufsleben in Rumänien vor der Ausreise verlaufen?
Ich habe die Volksschule in Neustadt und die Berufsschule in Sacele abgeschlossen. Das Gymnasium habe ich als Abendschule besucht. Ich war im Flugzeugbauwerk in Weidenbach tätig, wo ich bis 1987 arbeiten durfte. Ich sage „durfte“, denn 1987 wurde innerhalb eines Monats allen 70 Sachsen aus dem Werk gekündigt, da keiner die Ausreiseanträge für Deutschland zurücknehmen wollte. Jeder von uns musste als Notlösung eine minderwertige Arbeitsstelle suchen. Ich habe in Bartholomae LKW-Motoren repariert. Es war sehr unangenehm, immer im Motoröl bis zu den Ellenbogen zu arbeiten. Es dauerte so von 1987 bis zu unserer Ausreise 1990. Am 30. Mai vor genau zwanzig Jahren sind wir aus Rumänien losgefahren, am 1. Juni waren wir schon im überfüllten Aufnahmelager in Bayern.
Wie waren für Sie die zwei Jahrzehnte in Deutschland?
Wir wohnen in Bayern in Gars am Inn, bei Waldkraiburg, etwa 60 km östlich von München. In unserem Dorf sind wir die einzigen Siebenbürger, sind sehr gut integriert und werden keineswegs als Außenseiter betrachtet. Auch in Deutschland arbeite ich schon seit neunzehn Jahren im gleichen Betrieb, in der Abteilung für Qualitätskontrolle.
Wann wurde die HOG Neustadt in Deutschland gegründet?
Früher hat es in Neustadt neun Nachbarschaften gegeben, in Deutschland wurde im Jahre 1956 die zehnte gegründet. Diese wurde 1993 umbenannt und funktioniert auch heute als HOG Neustadt.
Gibt es Rücksiedler in Neustadt?
Nein, Rücksiedler gibt es noch keine, aber zurzeit haben einige Neustädter aus Deutschland die Absicht, zurück zu kehren, wenn sie in den Ruhestand treten. In der HOG in Deutschland sind sieben Personen eingeschrieben, die seit Kurzem auch Mitglieder in der Neustädter Kirchengemeinde in Sonderstatus geworden sind, neben ihrer Mitgliedschaft in der evangelischen Kirche in Deutschland. Früher wäre das unmöglich gewesen.
Wie kam es zu Ihrer Funktion in der HOG?
Ich habe mich in Deutschland gleich in die Nachbarschaft eingeschrieben und habe auf den Heimattreffen mitgemacht, die in Willingen oder jetzt auch in Friedrichroda stattfinden. Mein Schwager Dietmar Wagner war zehn Jahre lang Nachbarvater und seit 2006 bin ich sein Nachfolger im Amt. Bei den Wahlen 2009 wurde ich in dieser Funktion bestätigt.
Welche Aufgaben haben Sie als Vorsitzender der HOG?
Auf dem Heimattreffen muss ich einen Rechenschaftsbericht über die Aktivität der HOG ablegen. Anschließend finden immer die Wahlen für den neuen Vorstand statt, der Ablauf ähnelt mit den früheren Richttagen in der Heimatgemeinde.
Außerdem treffen sich jährlich die Burzenländer Nachbarväter. Heuer fand die Tagung im April statt und zwei Tage lang wurde über die HOG´en und die Heimatgemeinden intensiv debattiert. Zudem trifft sich zweimal im Jahr der Verband der Siebenbürger Heimatortsgemeinschaften (der etwas anderes ist als der Verband der Siebenbürger Sachsen).
Besuchen Sie oft die Heimatgemeinde? Hat sich Neustadt verändert?
Meine Frau und ich kommen 2-3 mal im Jahr nach Neustadt, wo wir unser Haus behalten haben. Wir kommen von zu Hause nach Hause und umgekehrt. Wir erfahren also jede Neuigkeit aus erster Hand und bemerken jede Veränderung.
Das Gemeindehaus (oder Gesellschaftshaus), die Schule und der Kindergarten in Neustadt wurden der Kirchengemeinde rückerstattet und dann an die politische Gemeinde verpachtet, unter der Bedingung, dass sie instand gehalten und nicht zweckentfremdet werden. Das Schulgebäude wurde neu gedeckt, die Küche und der Keller im Gemeindehaus neu gefliest. Letzteres Gebäude ist wunderschön, seine Architektur – vor allem das Wabendach, sind in Siebenbürgen einmalig.
Im Sommer soll zum zweiten Mal das Treffen der Neustädter in Neustadt organisiert werden. War die erste Auflage ein Erfolg?
Ja, die Veranstaltung kam sehr gut an. Obwohl die Idee des Treffens der Neustädter aus Deutschland und aus Rumänien in der Heimatgemeinde anfangs eher mit Zurückhaltung empfangen wurde. Letztendlich kamen aus Deutschland viel mehr als die hundert Besucher, die zu Beginn eingeschrieben waren. Wir hatten auch eine Frau dabei, die mit 85 für diese Veranstaltung zum ersten Mal mit dem Flugzeug gereist ist. Sie konnte mit ihrer Erfahrung in der Küche sehr viel helfen. Das nächste Treffen wird am 7. August 2010 in Neustadt veranstaltet. Dabei soll das hundertjährige Jubiläum seit dem pneumatischen Umbau der Kirchenorgel durch Karl Einschenk mit einem Orgelkonzert gefeiert werden.
Haben die jungen Menschen Interesse an den Aktivitäten der HOG?
Erfreulicherweise sind viele im Alter von 30-40 mit dabei. Sie wohnen meistens in Stuttgart und Umgebung und treffen sich gelegentlich. Die Jugendlichen haben leider weniger Interesse – wir sind im Vorstand am Rätseln, wie man sie der HOG näher bringen kann. Unsere HOG ist jedoch nicht die einzige, die damit kämpft. Es gibt aber auch gelungene Beispiele, wie die Rosenauer HOG, die einen Aufschwung erlebt hat und die Jugendlichen begeistern konnte.
Wie oft erscheint das Heimatblatt der HOG?
Die „Neustädter Nachrichten“ erscheinen zurzeit zweimal im Jahr, zu Pfingsten und zu Weihnachten, in einer Auflage von 630 Stück. Das Redaktionsteam besteht aus drei Personen, ich gebe ihnen Nachrichten vom Landeskonsistorium und vom Forum weiter, den Rest der Arbeit machen sie.
Vielen Dank für Ihre Antworten!
Die Fragen stellte
Christine Chiriac
HOG-Vorsitzender Helfried Götz und seine Ehegattin Renate Götz zu Besuch in der Redaktion der Karpatenrundschau.
Foto: die Verfasserin
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
Redaktion: 500.030 Braşov, Str. GH. Baiulescu 2,
Fernruf und Telefax: 0040 -(0)268/475 841,
E-Mail:kronstadt@adz.ro
Schriftleiter: Elise Wilk.
Redaktuere:Ralf Sudrigian, Hans Butmaloiu, Christine Chiriac (Redakteurin, 2009-2014), Dieter Drotleff (Redaktionsleiter 1989 - 2007)
Aktuell
Karpatenrundschau
25.04.25
Exponate des österreichischen Künstlers Michael Höpfner und Gedicht von Svetlana Cârstean dazu in Kronstadt zu sehen
[mehr...]
25.04.25
Oana Crîngasu und ihr Projekt „Somartin 65“ in Martinsberg
[mehr...]
25.04.25
Aus den Erinnerungen eines Kronstädter Hornisten/ von Diethard Knopp
[mehr...]