Wahre Kunst ist lebendig
11.11.10
Ein Gespräch mit Opernsängerin Cristina Radu
In der Kronstädter Oper singt seit einigen Jahren eine Sopranistin, die mit ihrer warmen, vollen Stimme, der stets aussagekräftigen, bis ins Detail durchdachten und zugleich frischen Interpretation, der vollkommenen Technik und dem eleganten Auftritt sofort auffällt. Cristina Radu hat an der Universität für Musik in ihrer Heimatstadt Bukarest bei Maria Slatinaru-Nistor und Bianca Manoleanu studiert, ist seit 2003 Solistin der Kronstädter Oper und schreibt nun ihre Promotionsarbeit. Meisterklassen mit Ionel Pantea, Virginia Zeani und Felicity Lott stehen in ihrem Lebenslauf, sowie Preise bei internationalen Gesangwettbewerben und Auftritte sowohl in Rumänien (in Zusammenarbeit mit der Bukarester Oper und mit rumänischen Orchestern), als auch im Ausland (von Czernowitz bis New York). Zu Titelrollen in Opern von Mozart, Donizetti, Rossini, Bellini, Leoncavallo, Bizet und Offenbach kommen die Uraufführung der spanischen Oper „La Casa de Bernarda Alba” von Miguel Ortega (2007), sowie Uraufführungen und CD-Einspielungen rumänischer zeitgenössischer Musik hinzu. Lieder und vokal-sinfonische Werke sowie Kammermusik im Ensemble „Remember Enescu” ergänzen Cristina Radus musikalische Welt.
Die Sopranistin, die früher Violin- und Klavierunterricht genommen hat und sich als Mitglied des Kinderchors des Rumänischen Rundfunks Bukarest mit den Auslandstourneen gewöhnen konnte, ist stets um Perfektionierung bemüht und schont sich kaum wenn es um das Üben und Lernen geht. Sie konzentriert sich zurzeit auf die Proben für die Premiere des „Faust“ von Gounod (27. November in Kronstadt) und auf die Erweiterung ihres Repertoires auf Puccini- und Verdi-Opern. Für Cristina Radu ist aber nicht nur die makellose Stimme und der sensible und selbstsichere Auftritt sehr wichtig, sondern gleichermaßen eine gründliche Allgemeinbildung, auf die sie großen Wert legt. Sie liest sehr gerne, schaut lieber ausgewählte Kunstfilme als gewöhnliche Fernseh-Sendungen, besucht Ausstellungen, fotografiert selber und lässt sich aus Kunst-Alben inspirieren – z.B. von ihrem Lieblingsarchitekten A. Gaudi. Sie präsentiert sich als „Kronstädterin“, weil sie sich hier – wie sie sagt - sehr wohl fühlt. Das Kronstädter Publikum kennt Cristina Radu auch von der Erstaufführung in Kronstadt des Requiems von Nicolae Bretan in der Schwarzen Kirche (2009), vom Abschlusskonzert des diesjährigen „Diletto musicale“ in Tartlau oder als Solistin in den Bach- und Vivaldi-Werken die vor Kurzem in der Schwarzen Kirche im Rahmen der „Musica Coronensis“ erklungen sind (mehr Infos sind auf ihrem Blog cristinaradus.wordpress.com einsehbar). In einem Interview mit KR-Redakteurin CHRISTINE CHIRIAC stellt sich Cristina Radu vor.
Wie hast du dich entschlossen, Sängerin zu werden?
Das hat sich im Laufe der Zeit entwickelt. In meiner Familie hat man immer gerne musiziert und als Kind sang ich überall, wo ich nur konnte.
Nach acht Jahren Violine merkte ich jedoch, dass es nicht einfach ist, so viele Stunden am Tag zu üben; das Instrument machte mir zwar Spaß, aber meine größte Leidenschaft blieb das Singen. Mit dem Kinderchor des Rundfunks bin ich durch die ganze Welt gereist, was mich nicht nur musikalisch bereichert hat. An ein Konzert kann ich mich noch sehr gut erinnern, es hat mich zutiefst geprägt: wir sangen Orffs „Carmina Burana“ unter der Leitung von Horia Andreescu in Bukarest. Beim Fortissimo hatte ich den Eindruck, dass die Bühne vibriert, es war atemberaubend! In dem Augenblick wusste ich, dass ich mein ganzes Leben lang Musik machen will.
Hast du einen Lieblingsmaler?
Ja, aber ich finde, dass diese Hierarchien nicht immer zutreffend sind. Mein „Lieblingsmaler“ ist der russische Porträtist Ilja Repin, für die Art und Weise, wie er die Psychologie seiner Figuren hervorhebt. Oft studiere ich ihn gezielt, um die Mimik für meine Opernrollen zu gestalten. Ich lerne diesbezüglich sehr viel von den bildenden Künstlern, selbstverständlich auch von den Schauspielern und nicht zuletzt von den Menschen auf der Straße. Der Kontakt zu der jeweiligen Epoche und zu inspirierenden Menschen ist genauso wichtig in der Vorbereitung einer Opernrolle, wie das rein musikalische Üben.
Welche Opernrollen sind dir am nächsten?
Eine meiner Lieblingsgestalten, mit der ich mich identifizieren kann, ist Tatjana aus „Eugen Onegin“. Desgleichen gefällt mir Madame Butterfly. Ich bevorzuge die dramatischen Opern, in denen die Gestalten ihre ganze Leidenschaft, ihr inneres Leben auf die Bühne bringen und nie „lauwarm“ sind. Von den Opern, die ich bislang gesungen habe, gefällt mir Mozart ganz besonders – so z.B. die komplexe, Gegensätze vereinende Donna Elvira aus „Don Giovanni“, die ich im Laufe der Zeit in mehreren Inszenierungen gesungen habe. Leider wird die Musik von Komponisten wie Mozart oder Bach oft sehr trocken und schematisch wiedergegeben, unter dem Vorwand „stilgerecht“ zu bleiben. Der Stil muss aber mit Leben gefüllt sein! Eine phantasielose Interpretation „dem Stil zuliebe“ überzeugt mich nicht. Regeln und Technik sind nur die Basis, nicht das höchste Ziel einer guten Musik.
Welcher Gesanglehrer hat dich am meisten beeinflusst?
Ich hatte mehrere Lehrer, von denen ich viel lernen konnte. Die große Intelligenz eines Künstlers ist meiner Meinung nach sein Unterscheidungsvermögen, die Kapazität zu wissen, was für ihn gut und künstlerisch wirklich wertvoll ist, und was eben nicht. Ansonsten verliert man viel Zeit mit unnützen Übungen und schwachen Büchern. Man muss wissen, was lernenswert ist. Für unterschiedliche Stimmen kann gewiss nicht die gleiche Singtechnik richtig sein: zu einem Sänger wird sie perfekt passen, dem anderen kann sie sogar schaden. Lehrer sein ist eine schwierige und anspruchsvolle Kunst an sich. Ileana Cotrubas, bei der ich mehrere Meisterklassen besucht habe, besitzt ein unglaubliches Charisma und kann unheimlich glaubwürdig jede Operngestalt spielen - eine bezaubernde Persönlichkeit und eine Pädagogin mit sehr hohen Ansprüchen.
Wie wurdest du „Kronstädterin“?
Vor meinem Debüt in der Bukarester Oper als „Donna Elvira“, hat mir Felicia Filip ein wenig mit dem Einstudieren der Rolle und der Regie geholfen. Der Kronstädter Operndirektor Cristian Mihailescu, ihr Mann, verfolgte mein Debüt aus dem Publikum. Er kam nach der Vorführung zu mir und sagte, er organisiere bald eine Hörprobe in Kronstadt. Ich sang dort vor und wurde in das Ensemble aufgenommen. Hier in Kronstadt wurde viel Vertrauen in mich investiert: ich erhielt von Anfang an große Rollen – eine sehr willkommene Herausforderung, obwohl manche meinen, dass man zuerst eben durch Nebenrollen sehr viel zu lernen hat. Ins Kronstädter Ensemble konnte ich mich sehr schnell integrieren: die meisten Kollegen sind etwa in meinem Alter, die Stimmung ist sehr warm und offen. Cristian Mihailescu ist ein origineller Regisseur mit sehr modernen Ideen, und motiviert uns Sänger, unsere mentalen Barrieren zu überwinden. Er hat dabei Recht denn in der modernen und zeitgenössischen Oper ist auch gutes Schauspiel ein absolutes Muss.
Wie kam es zu den Konzerten in der Tartlauer Kirchenburg und der Schwarzen Kirche?
Weil wir gerade von Lehrern sprachen... Ich begeisterte mich schon seit Jahren für alte Barock- und Renaissance-Musik, ohne jedoch diesbezüglich ein „Training“ zu haben, bis ich nach Kronstadt kam. Von Steffen Schlandt konnte ich enorm viel auf diesem Gebiet lernen. Seit meinem ersten Jahr in Kronstadt besuchte ich Konzerte in der Schwarzen Kirche, unter Anderem fast alle Auflagen der „Musica Coronensis“, nicht nur als Konzertgängerin, sondern auch als Kulturkorrespondentin des Rumänischen Musikrundfunks. Wenn ich im Publikum sitze, kann ich mich vom Geschehen auf der Bühne distanzieren und sehe alles objektiver und kritischer. Dann fallen mir die besten Ideen ein. In der Schwarzen Kirche, deren musikalisches Leben ich zuerst „von draußen“ kennengelernt habe, sang ich dann zusammen mit Adrian Marcan und mit Steffen Schlandt das Requiem von Nicolae Bretan. Dann folgten „Diletto musicale“ und „Musica Coronensis“. Es war mir eine Ehre und eine Freude, denn ich schätze die niveauvollen Konzerte in der Schwarzen Kirche. Sie ist ein musikalischer Mittelpunkt für die Stadt. Am 21. November findet hier unser nächstes Konzert statt, mit Mahlers Kindertotenlieder.
Würdest du gerne Wagner singen?
Ich habe schon die Wesendonck-Lieder mit der Philharmonie in Sofia gesungen. Es war mein erster direkter Kontakt zu Wagner. Seine Musik setzt eine riesige Stimme sowie gute psychische und physische Form voraus. Ich habe manche seiner Arien einstudiert, habe sie aber noch nicht vor Publikum gesungen: sie sind sozusagen auf der Warteliste. Während der Hochschuljahre organisierte ich Wagner-Abende mit Kollegen aus meinem Jahrgang. Wir analysierten Leitmotive, hörten Einspielungen an und verglichen sie, lasen Libretti, diskutierten. Es war faszinierend.
Darf man schon im Voraus wissen, wie die Faust-Inszenierung gestaltet ist, an der ihr jetzt in der Oper arbeitet?
Es wird eine multimediale Aufführung sein, einerseits mit Live-Projektionen - es werden beispielsweise Details der Mimik und Gestik der Sänger hervorgehoben, andererseits werden quasi als „Bühnenausstattung“ Bilder gezeigt, die in der Stadt gefilmt wurden. Der Hintergrund der Kirchenszene ist in der Schwarzen Kirche gefilmt, mittelalterliche Gassen aus unserer Stadt wurden ebenfalls in die Regie aufgenommen. Alles hat eine wunderbare einheimische Farbe. Mit dieser Kronstadt-Inszenierung werden wir im Frühjahr auf Tournee nach Deutschland und Österreich fahren.
Wie bereitest du deine Rollen vor – beispielsweise jetzt Margarethe?
Abgesehen vom Üben, dokumentiere ich mich aus allen möglichen literarischen und musikalischen Quellen. Man muss sich auf der Bühne gleichzeitig auf Interpretation, Technik, Text, Schauspiel konzentrieren. Immer wenn man ein Stück zu singen beginnt, sollte man von Anfang an die Gesamtvision vor Augen (oder im Gehör) haben, sowie die Kohärenz der Operngestalt. Das alles beherrscht man meistens nicht von der ersten Vorführung einer Oper – man lernt es im Laufe der Zeit. Ich experimentiere sehr gerne. Es ist kein einfacher Weg, denn man ist oft unsicher, ob man nun die richtige Variante verwendet hat. Man schreitet wie in unbekannte Gebiete voran, aber es macht Spaß. Andererseits ist es schlecht, wenn man nur experimentiert, um zu schockieren. Es schadet dem Sinn der Opernaufführung und letztendlich auch dem Publikum, das man als wirklich wertvoller Künstler erziehen kann. Es gibt stets mehrere vollwertige Interpretationsmöglichkeiten eines Werkes - das macht die Kunst so interessant.
Foto 1
In der Tartlauer Kirchenburg konzertierte Cristina Radu (Bildmitte) im vergangenen August mit Lucia Neagoe (Violine), Stefan Neagoe (Cello) und Steffen Schlandt (Orgel).
Foto: Diletto musicale
Foto 2:
Cristina Radu
Foto: privat
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
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