WALTHER GOTTFRIED SEIDNER
30.07.09
Über die tierische Gefolgschaft
Was sich die Staatssicherheit von den Nummernschildern erhoffte, konnte ich mir vorerst nicht recht vorstellen. Es erzeugte jedoch ein beklemmendes Gespür zu wissen, dass man beobachtet wurde. Ich hatte eher das Gefühl, ein Hund zu sein, dem man eine Konservendose angehängt hatte. Diese Besorgnis wurde ich nicht mehr los.
Die Sekuritate behelligte mich zum ersten Mal, als der Betrag von 13,50 $ über die Handelsbank an mich auszuzahlen war. Zwei Sicherheitsbeamte bestellten mich zur Dorfmiliz in der Nachbargemeinde. Sie fragten mich aus, was ich denn für Gefälligkeiten für dieses Geld geleistet habe. Ich sagte: Ich hab schon vor einem halben Jahr die Gefälligkeit erwiesen. Sie machten große Augen. Und dann erzählte ich, wie ein Brief zu mir gebracht worden war, den ein amerikanischer Farmer an den „Mayor“ der Gemeinde (den Bürgermeister) gerichtet habe. Unzustellbare Briefe mit deutsch klingenden Namen wurden mir meist übergeben in der Annahme, vielleicht gelingt es mir, die Briefempfänger ausfindig zu machen. Im Zweifelsfall sollte ich die Briefe öffnen, sogar beantworten. Zu meiner Überraschung bat ein Baumgärtner aus Salem Ohio um echte siebenbürgische Walnüsse. Ich hab sofort aus Nordsiebenbürgen und aus der Gegend um Hermannstadt Nüsse zusammengetragen. Und weil der Sohn meines damaligen Kurators gerade zu Besuch weilte, bat ich ihn, die einundzwanzig Walnüsse in Salem Ohio abzugeben, was er auch tat. Ein halbes Jahr später bekam ich die Nachricht: fast die Hälfte der Nüsse seien angegangen und ich möge mir den Betrag von 13,50 $ von der Bank abholen. Auf diese Erklärung hin machten die Sicherheitsbeamten noch größere Augen. Sie atmeten auf, ich schöpfte tief Atem. Und so fiel der Verdacht der Spionage von mir ab.
Von dem Geld hab ich einen Plattenspieler gekauft. Damals gab es eine Prämie für die amerikanische Währung. Sie wurde zum Wechselkurs hinzu gerechnet. Wie viel ich von meinem Ersparten noch zusetzen musste, weiß ich nicht mehr. Der Plattenspieler diente der Tanzunterhaltung, aber auch der Musikerziehung. Allmählich wuchs die Anzahl der Platten. Die fünfte Symphonie von Beethoven hat allen anderen Musikstücken den Rang abgelaufen.
Diesmal musste es sich in punkto Sicherheit um etwas Ernstes gehandelt haben. Denn fremde Autos parkten häufig vor unserem Einfahrtstor. Nach kurzem Nachdenken fing ich an, mich selbst anzuklagen. Ich hatte ja zwei Freunde: Georg Unterberger, den Gastlektor aus Österreich und Martin Greloux, den französischen Doktoranden. Sie kamen oft zu Besuch, sogar mit Freunden und Kommilitonen. Am Martinstag wurde darüber hinaus der dreißigste Geburtstag des Greloux gefeiert. Etwa zwanzig junge Leute fanden sich ein. Es gab „Strohkartoffeln“ mit Würstchen und einen „Martini-Wermut“ - für alle. Vor dem Pfarrhaus parkten die Autos. Der Plattenspieler dudelte sein französisches Schifferklavier in die Runde und der Tanz ließ die Glieder umso lockerer hin und herschlenkern. Die Gesellschaft fühlte sich so frei wie unbeobachtet. Dabei steckte der Aufpasser, besser, die Aufpasserin inmitten der Lustbarkeit.
Ein halbes Jahr später erfuhr ich den ganzen Sachverhalt.
Gleich nach der Ankunft des französischen Doktoranden in Hermannstadt wurde Greloux eine Rumänischlehrerin zugewiesen. Sie sollte ihm die Landessprache beibringen, was ihr auch tadellos gelungen ist. Sie sollte aber auch die Zuträgerin sein. Auf jede seiner Bewegungen sollte sie achtgeben, jedes Wort auffangen und alles weitermelden. Der blauäugige Greloux fing jedoch an, seine Lehrerin zu umwerben. Die Liebe fällt manchmal auch unter die Dornen. Ein dramatisches Attackereiten bahnte sich bei ihm an. Nach wiederholtem Anlauf gibt die junge Dame nach – und sie gibt zu, dass sie eigentlich mehr sei als seine Lehrerin. Und sie entzauberte vor Greloux ihre Auftraggeber, stellte sich schließlich an seine Seite und kämpfte nach all den Abwehrstellungen ihrer Auftraggeber, die ihr die Tage erschwert hatten, umso verbissener um die Ausreise. Und als Greloux sein Doktorexamen abgeschlossen hatte, konnte er seine Schicksalsgöttin im wahrsten Sinne des Wortes heimführen. Ein alter Zweizeiler fiel mir ein: „Selten sah das Institut / eine solche Liebesglut“.
Nach ungefähr einem Jahr erfahre ich von den Betroffenen, wie die Verhöre abgelaufen, wie die Freunde des Greloux entweder vorgeladen oder in einem Bungalow im Jungen Wald ausgefragt worden waren. Alle, die bei der Geburtstagsfeier dabei waren, kamen in die „Bredouille“. Alle, außer mir. Dabei war ich innerlich auf eine Vorladung vorbereitet, wenn ich auch im Stillen gehofft hatte, der Kelch möge an mir vorüber gehen. Ich zergrübelte mich sogar nach einer „Bodenwiese“, vermittels derer ich mich hätte herausreden können – und sie wäre mir im Ernstfall auch eingefallen. Es kam aber nicht dazu. Ich nehme an, man habe mich für den letzten großen Auftritt zurückgestellt – aber da hatte der Greloux auch schon seine Susette nach Frankreich ausgeführt. Dass die französische Gesandtschaft in Bukarest im Blick auf die Ausreise der Beiden tüchtig mitgemischt hatte, stand außer Zweifel. Martin und Susette durften unser Land über den Zeitraum dreier Jahre nicht wieder betreten. In dieser Zeit ist ihr Vater gestorben.
(Fortsetzung folgt)
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