WALTHER GOTTFRIED SEIDNER
02.07.09
Bei meinem Einstand in Reußdörfchen erklärte der damalige Kurator Michael Roth in seinem Willkommensgruß:
„Es heißt, eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. - Aber ich versichere Ihnen: manchmal bringt gerade eine Schwalbe den Sommer! Der neue Pfarrer, soll den Sommer in unsere Gemeinde herüber bringen“.
Und damit übergab er mir den Kirchenschlüssel, mit dem ich nach seinem Dafürhalten die Herzen der Gläubigen hätte aufschließen sollen.
Wir schrieben den 28. Januar des Jahres 1968, und während der Kurator vom Sommer redete, herrschte ein unnachgiebiger Frost.
In der kurzen Schlüsselrede erwiderte ich, dass ich kein Zauberer sei, der Herzen aufzuschließen vermag, – denn nur dem EINEN gelingt es, die Herzen zu lenken wie Wasserbäche. Mir hingegen sollte der Schlüssel - zeichenhaft, versteht sich - bloß dazu dienen, die Heilige Schrift vor der Gemeinde aufzuschlüsseln.
Dann öffnete ich die Kirchentür und die zahlreich erschienenen Einheimischen und Gäste traten ein. Unter ihnen auch die Abordnung aus Sankt Georgen, der vorigen Gemeinde: Johann und Christina Stierl. Er - mein langjähriger Organist und Kapellmeister, sie - die letzte Altmagd und Wortführerin der Mädchen im nösnerischen Sankt Georgen. Noch im November feierten sie eine der aufwendigsten Hochzeiten der letzten Jahre.
Nach dem frostigen Gottesdienst in der haucherwärmten Kirche, im Anschluss an die Einweisungspredigt des inzwischen verewigten Dechanten Johann Gross, wurde im Pfarrhaus ausgiebig gefeiert. Drinnen war es angenehm warm. Draußen hingegen herrschte, wie schon erwähnt, der Winter mit seinem eisigen Faustrecht.
Nicht lange danach sollten die Schwalben eintreffen - zuletzt auch der Sommer.
Noch zu Kindertagen wurde uns nahe gelegt, keine Schwalbennester zu zerstören, weil sonst das Haus abbrennen könnte. Der Aberglaube hat eben auch sein Gutes, nicht nur weil wir seit Goethe wissen: „Der Aberglaube ist der Reiz des Lebens“. Das Schwalbennest zeigte schon auch Ähnlichkeit mit unserer Kinderstube – darum liebten wir die Schwalben wie unsere kleineren Geschwister. Das hatte zur Folge: unser Herz sprang über von den Schwalben auf die Tauben – schließlich bekamen wir Freude an der Tierhaltung: Hunde, Katzen, Kaninchen bevölkerten den Hof auf der Konradwiese in Hermannstadt.
In Reußdörfchen hielt ich noch dazu einige Hühner und einen Gänserich. Ich begann ihn gut zu füttern, weil ich Besuch erwartete. Mein Freund Rolf Schuller hatte sich schon zu etlichen Malen angesagt, musste aber seinen Besuch öfter verschieben. Einmal wurde er sogar an der Grenze abgewiesen. So kam es, dass der Gänserich alterte und schließlich zu nichts anderem zu gebrauchen war als zum „Aufpasser“. Er bekam den Namen Gregor (griechisch Wächter) und er unterstützte den Wachhund, besser, die Wachhündin Linda bei ihren Beobachtungen. Sobald jemand den Hof betrat, meldete er durch einen lang gezogenen, zuweilen kurz abgehackten Laut, dass wir Besuch bekämen. Er hatte aber auch eine - sagen wir – tierische Marotte: Wenn ich von zu Hause fort ging, ließ er mich ein gutes Stück Weges fortgehen, dann breitete er die Flügel aus, schwang sich in die Lüfte und flog mir nach. Und plötzlich watschelte er an meiner Seite - im gleichen Schritt und Tritt. Einmal lustwandelte er mit mir ein gutes Stück Weges, ohne von mir weichen zu wollen. Ich war unterwegs nach Kleinscheuern und es gelang mir nicht, ihn auf irgendeine Weise abzuschütteln. Ungefähr 300 m von der Gemeindegrenze entfernt, hob er sich jäh in die Lüfte und flog über die ganze Gemeinde hinweg in einem weitläufigen Bogen – nach Hause. Die Gemeinde lag hinter mir im Tal.
Auch Linda, die schwarze Hündin, kam dauernd hinter mir her geschwanzelt, wie man bei uns zu sagen pflegt. Sie begleitete mich überall wohin ich ging. Während der Begräbnisse ging sie sogar an meiner rechten Seite; und weil ihr Fell schwarz, also in der allgemeinen Trauerfarbe glänzte, stieß sich niemand daran, dass sie mir folgte.
Nun gab es dem Pfarrhaus gegenüber ein ausgedehntes Sumpfgebiet. Vor gut hundert Jahren – so erinnerten sich die ältesten Dorfbewohner - war das Grundwasser hoch gestiegen, weil man den Rindern zu wenig Wasser schöpfte, oder weil die Zahl der Rinder zurückgegangen war. Die Bauernhöfe, die es hier bis dahin gab, wurden des hochkommenden Grundwassers wegen aufgegeben; man suchte sich eine Hofstelle an höher gelegenem Standort - und allmählich versumpfte die Gegend vollends. Südlich des Sumpfes dehnte sich der so genannte Krautgarten aus. Hier wuchsen früher, wie mir erzählt wurde, die größten Krautköpfe der Gemeinde. Jetzt mähte man ein üppiges Gras drei bis viermal im Jahr und führte eine hohe Heuernte ein.
Das Sumpfgelände rief schließlich nach Enten - und so setzte ich eine Bruthenne auf Enteneier. Aus elf Eiern schlüpften sieben niedliche Entlein. Es war im Mai und der Straßengraben lag voller Regenwasser. Was hat die Glucke für einen Spektakel angestellt! als die putzigen Entlein plötzlich ins Wasser liefen und nach Herzenslust zu schwimmen anfingen. Sie sprang hinüber und herüber, „pludderte“ sich auf, versuchte mit ernster Miene ihre Kinder von der „Gefahr“ fernzuhalten – vergeblich.
(Fortsetzung folgt)
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