Was ein Blick auf alte Stadtpläne zeigen kann
19.09.19
Anmerkungen über den Gebrauch der überlieferten deutschen Flur-, Orts- und Straßennamen in den rumäniendeutschen Printmedien/Von Wolfgang Wittstock
„Was du ererbt von deinen Vätern hast,/Erwirb es, um es zu besitzen“ ist ein vielzitiertes Wort aus Goethes „Faust“, an das sich der Verfasser dieser Zeilen gelegentlich erinnert fühlt, wenn er die Zeitung liest und feststellen muss, dass die überlieferten deutschen Flur-, Orts- oder Straßennamen unseres siebenbürgischen Lebensraumes zunehmend in Vergessenheit geraten und nicht mehr oder nicht korrekt verwendet werden. Dazu zwei prinzipielle Feststellungen:
1. Dort, wo in Siebenbürgen seit Jahrhunderten Sachsen/Deutsche, Rumänen und Ungarn sich den gleichen Lebensraum nachbarschaftlich teilen, hat jede Ortschaft, jeder Fluss, jeder Gebirgszug usw. Bezeichnungen in jeder der hier gesprochenen Sprachen.
2. Die überlieferten siebenbürgisch-deutschen bzw. siebenbürgisch-sächsischen Flur-, Orts- oder Straßennamen sind ein wichtiger Teil des unsere Gruppenidentität bestimmenden Kulturerbes.
Dieses Erbe zu hegen und zu pflegen, ist eine Pflicht, die von unseren rumäniendeutschen Medien mit größerer Sorgfalt wahrgenommen werden müsste, als das zurzeit geschieht. Diese Behauptung wollen wir im Folgenden – pars pro toto - anhand etlicher Beispiele aus dem Bereich der Kronstädter Toponymik, aber auch anhand der Namen etlicher Örtlichkeiten in Kronstadts Umgebung illustrieren. Verfügbare Beispiele für andere Ortschaften in Siebenbürgen, etwa Hermannstadt, ersparen wir uns, um nicht zu viel Platz in der Zeitung in Anspruch zu nehmen.
Gasse oder Straße?
Zunächst sei auf zwei generelle Eigenheiten der lokalen Kronstädter Toponymik hingewiesen. Die eine betrifft den Umstand, dass das historische Stadtzentrum von Kronstadt, das von den mittelalterlichen Stadtmauern umschlossen war bzw. zum Teil noch ist, überlieferterweise Innere Stadt genannt wird. Das Kronstädter Stadtzentrum als Altstadt zu bezeichnen, was immer wieder geschieht (vergleiche etwa „‘Wir bauen im Herzen des Landes eine Bühne‘“, ADZ, 24. Juli 2019, S. 3, oder „Volles Wochenende in Kronstadt“, ADZ, 25. Juli 2019, S. 5), ist eindeutig falsch. Die Kronstädter Altstadt umfasst die Stadtviertel Martinsberg und Bartholomae. Bezeichnenderweise verwenden die Kronstädter Rumänen dafür die Bezeichnung „Brasovechi“, für die Innere Stadt aber das Toponym „Cetate“.
Eine zweite prinzipielle Bemerkung betrifft die deutschen Straßennamen Kronstadts. Nahezu alle Straßen in Kronstadt, nicht nur in der Inneren Stadt, sondern auch in den historischen Vorstädten (Altstadt, Blumenau, Obere Vorstadt), werden Gassen genannt (z.B. Burggasse, Klostergasse, Langgasse, Mittelgasse, Hintergasse usw.). Auch die Variante Gässchen kommt vor (z.B. Schnurgässchen, Rehgässchen). Es gibt nur sehr wenige Straßen im historischen Kronstadt, die auch so heißen. Dem Autor fallen diesbezüglich momentan als aus dem 19. Jahrhundert überlieferte Bezeichnungen bloß die Bahnstraße und die Fabrikstraße ein. Von der Michael-Weiß-Straße statt der Michael-Weiß-Gasse zu sprechen („Volles Wochenende in Kronstadt“, ADZ, 25. Juli 2019, S. 5), ist folglich falsch.
Wo kann man nachschauen, wenn man wissen will, wie der korrekte Name einer Gasse in Kronstadt oder in einer Burzenländer Gemeinde lautet. Auf diese Frage wollen wir hier keine Antwort geben, die den Anspruch erhebt, vollständig zu sein. Hingewiesen sei aber etwa auf deutsche Stadtpläne Kronstadts aus der zweiten Hälfte des 19. oder vom Beginn des 20. Jahrhunderts, auf denen die deutschen Gassennamen angegeben sind. Im Jahr 1874 erschien das Buch „Aus Kronstadt’s Vergangenheit und Gegenwart“ von Friedrich Philippi, mit einem „Häuser- und Straßen-Schema“ Kronstadts als Anlage. 2016 wurde diese Ortsmonographie in einer rumänischen Übersetzung gedruckt, mit einer guten Reproduktion des originalen deutschen Stadtplanes von 1874. Etliche Jahre älter ist ein „Situations-Plan der Stadt Kronstadt“ (1867). Weitere Stadtpläne waren der Veröffentlichung „Die Stadt Kronstadt und deren Umgebung“ von Josef Filtsch (Wien 1886) oder dem „Neuen Führer durch Kronstadt und deren Umgebung“ (Kronstadt 1891) beigegeben. Etwa von 1913/1914 stammt ein „Plan von Kronstadt (Brassó)“, der in der „Neuen Kronstädter Zeitung“, Folge 2/1985, S. 6, in guter Druckqualität reproduziert wurde. Bezüglich der Burzenländer sächsischen Gemeinden sei auf den von Martin Rill herausgegebenen schönen Bildband „Das Burzenland“ (München 1999) hingewiesen. Von jeder Gemeinde gibt es hier einen Ortsplan mit den deutschen Namen der Gassen, Plätze, Bäche usw.
Noa oder Noua?
Anhand der obengenannten Kronstädter Stadtpläne sei auf etliche nicht korrekt verwendete Tononyme in unseren Printmedien (ADZ, KR) hingewiesen. Der am Fuße der Zinne entlangführende beliebte Spazierweg heißt bei den alteingesessenen Kronstädter Sachsen schlicht Burgpromenade und erscheint so oder als Burg-Promenade auch auf den genannten Stadtplänen von 1867, 1891 und 1913/14. Als Variante gibt es die „Obere Promenade an der Burg“ (1874, 1886). Die Haupt-Promenade (1867) oder Untere Promenade (1913/14) oder auch nur „Promenade“ (1874, 1886) war etwa dort, wo jetzt der Stadtpark ist. Bezeichnungen aus jüngster Zeit wie „Allee unter der Zinne“ („Markt mit türkischen Spezialitäten“, ADZ, 10. August 2019, S. 5) oder „Zinnenpromenade“ („Mehr Internet-Hotspots in Kronstadt“, ADZ, 23. August 2019, S. 5) anstelle von Burgpromenade sollten, meinen wir, vermieden werden.
Nicht korrekt ist unseres Erachtens auch die Bezeichnung „Hinter der Graft“ für den Spazierweg entlang der Graft, zwischen den Stadtmauern nördlich der Inneren Stadt und dem Rahmenberg als Teil des Raupenbergs (siehe etwa „Das Labyrinth unter der Stadt. Die Katakomben Kronstadts, ein nicht ausgenutztes touristisches Potential“, KR, 2. November 2017, S 1 f., oder „Nicht genehmigte Arbeiten bei den Katakomben. Ein Fernsehbericht deckte die Unregelmäßigkeiten auf“, ADZ, 25. November 2017, S. 6). Rumänisch heißt dieser Weg bzw. diese Straße, an der sich etwa das ungarische Áprily-Lajos-Lyzeum befindet, strada Dup² Ziduri (dt. Hinter den Mauern), und das ist sachlich korrekt. „Hinter der Graft“ ist hingegen schon sachlich falsch, weil sich der Weg oder die Straße aus der Perspektive der Inneren Stadt nicht hinter der Graft, sondern diesseits entlang dieses Baches befindet. Auf alten, noch die deutschen Straßennamen verwendenden topographischen Skizzen kommt die Bezeichnung „In der Graft“ vor. Auf den angeführten Stadtplänen wird für die Graft-Passage das Toponym „An der Graft“ (1874, 1886, 1891, 1913/14) verwendet. Unseres Erachtens ist dies eine empfehlenswerte Bezeichnung.
Wie weiter oben vermerkt, fanden wir das unserer Meinung nach nicht korrekte Toponym „Hinter der Graft“ in Pressebeiträgen, die das Labyrinth von Luftschutzbunkern im Bereich der Graft-Bastei oder des Schwarzen Turms zum Thema hatten. Die Rede war in diesen Artikeln von „Katakomben“. Das ist, meinen wir, ebenfalls nicht richtig. Katakomben sind laut Wörterbuch frühchristliche unterirdische Begräbnisstätten. In unserem Fall handelt es sich um unterirdisch angelegte Schutzräume für die Zivilbevölkerung aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs, die in Kronstadt auch an anderen Orten, etwa am Burghals (Dobrogeanu-Gherea-Straße), angelegt wurden.
Im Kontext Kronstädter Toponyme sei noch darauf hingewiesen, dass das im Südosten der Stadt gelegene Stadtviertel in der heimatkundlichen deutschen Literatur „Noa“ (rumänisch: „Noua“) geschrieben wird. Belege dafür gibt es etwa im bereits genannten Stadtführer von 1891, im „Kronstädter Heimat- und Wanderbuch“ von Heinrich Wachner (1934), aber auch im Roman „Der Weizenstrauß“ von Heinrich Zillich (1938), dessen Handlung zum Teil in der Noa spielt.
Ski-Sprungschanzen im Mühlengrund
Was nun das Burzenland betrifft, wollen wir zum Abschluss unseres heimatkundlichen Beitrags bloß auf zwei Flurnamen hinweisen, die Örtlichkeiten auf der Gemarkung von Rosenau bezeichnen und bedauerlicherweise offenbar in Vergessenheit geraten sind. Bekanntlich wurden vor etlichen Jahren bei Rosenau mehrere Ski-Sprungschanzen gebaut, auf denen seither regelmäßig auch internationale Wettkämpfe, sogar Weltcup-Springen ausgetragen werden. Wenn in unseren rumäniendeutschen Printmedien die Örtlichkeit, wo sich diese Sprungschanzen befinden, beim Namen genannt wird, wird immer nur die rumänische Bezeichnung, nämlich Valea Carbunarii, angegeben. Vermutlich befanden sich hier früher Kohlenmeiler, die Holzkohle erzeugten (carbune = Kohle). Die Örtlichkeit hat aber selbstverständlich auch einen deutschen bzw. sächsischen Namen, nämlich Mühlengrund/Millen-Gränd. Festgehalten ist er auf einer Landkarte mit den sächsischen Flurnamen für die Gemarkung von Rosenau, die 1981 von Reinhard Bergel mit Unterstützung von Dipl.-Ing. Hans Knöfel (Oldenburg) herausgegeben wurde. Auf dieser Landkarte kann man auch sehen, dass das Tal, das man per pedes oder per Fahrzeug hinter sich bekommen muss, um zur Malaiesti-Hütte im Butschetsch-Gebirge zu gelangen, jenes des Großen Weidenbaches ist. In einem ADZ-Leserbrief („Eine unvergessliche Zeitreise“, 9. August 2019, S. 5) war vom Summercamp des Jugendwerkes der Evangelischen Kirche die Rede, welches „im Glajarie-Tal in Rosenau“ abgehalten wurde. Das Gl²j²rie-Tal (der Name kommt von einer Glasmanufaktur, die es hier mal gab) ist das Tal des Großen Weidenbachs.
Fazit: In Pressebeiträgen, die in unseren deutschen Medien veröffentlicht werden, sollten die überlieferten deutschen Toponyme verwendet werden, denen, zwecks besserer Orientierung des Lesers, nötigenfalls jeweils einmal auch die rumänische Entsprechung beigefügt werden kann. Nach diesem Grundsatz sollte im Allgemeinen mit unseren deutschen Orts-, Straßen- oder Flurnamen umgegangen werden, damit sie vor dem Vergessen bewahrt werden.
„Häuser- und Straßenschema“ Kronstadts aus dem Jahr 1874 (Ausschnitt)
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
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