Was uns die Bildnisse des Johannes Honterus zu sagen haben (1)
05.04.24
Ein Bericht von Dr. Frank-Thomas Ziegler
Das Honterus-Denkmal neben der Schwarzen Kirche, aber auch die vielen Bildnisse des großen Gelehrten aus Gemeindesälen und Kirchen – wir alle haben sie vor Augen. Dank dieser Farbdrucke, Holzstiche, Gemälde und Gipse hatten wir bereits von Kindesbeinen an den Eindruck, jedes Haar an Honterus zu kennen.
Die genannten Honterus-Bilder sind aber „künstlich“ oder eben „künstlerisch“ in dem Sinne, dass sie uns nicht nur das Äußere des großen Gelehrten ungefiltert vor Augen stellen. Die besten von ihnen sind äußerst komplex konstruierte Bildwerke, die uns lehren möchten, wie wir Honterus zu sehen haben. Diese herausragenden Porträts bündeln das Honterus-Bild ihrer Zeit wie in einem Brennglas, und jedes von ihnen beleuchtet eine andere, neue Seite des Gelehrten.
Das wohl älteste Bildnis ist ein Holzschnitt, der mutmaßlich aus dem späten 16. Jahrhundert stammt (Abb. 1). Honterus ist in eine altdeutsche Schaube gekleidet. Auf seinem Kopf sitzt eine weiche Kappe. In der Hand hält er eine Schriftrolle, die ihn als Gelehrten ausweist. Über seinem Haupt erscheinen sein Name und das Motto „Wache und bete“ in lateinischer Sprache.
Durch einen künstlerischen Kniff lässt uns der Holzschnitt wissen, dass Honterus weit mehr als nur ein durchschnittlicher Gelehrter war. Er richtet seine Augen nämlich nicht bloß nach vorne, aber er vertieft seinen Blick auch nicht in ein Buch. Er richtet ihn zum Himmel – so, wie es in der mittelalterlichen Kunst die Evangelisten und Apostel gelegentlich auf ihren Bildnissen zu tun pflegen. Ihr zum Himmel gehobener Blick will uns sagen, dass Gott ihnen sein Wort unmittelbar und unvermittelt gesandt hat (Abb. 2). Wenn unser Künstler seinen Johannes Honterus ebenfalls den Blick heben lässt, so möchte er uns damit sagen: Dieser Mann ist den Evangelisten und Aposteln ähnlich, denn er hat das gereinigte Evangelium nach Siebenbürgen gebracht.
Auf dem großen Altar der Schwarzen Kirche ist Johannes Honterus in einen anderen Sinnzusammenhang gestellt. Der Altar wurde 1866 nach Plänen des Kronstädter Stadtingeneurs Peter Bartesch errichtet (Abb. 3); sein theologisches Bildprogramm muss aber einem anderen, entsprechend gebildeten Geist entsprungen sein. Ein monumentaler neugotischer Architekturrahmen umschließt das farbenfrohe Mittelbild, ein von der deutschen Romantik geprägtes Gemälde des Weimarer Malers Friedrich Martersteig. Darauf ist Jesus Christus bei der Predigt vor dem Volke dargestellt. Eine auf dem Altar platzierte Inschrift verrät, welche Worte er eben spricht: „Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken“ (Matthäus 11, 28). Die Zuhörer sind weitgehend archetypische Repräsentanten ausgewählter Gesellschaftsgruppen einer idealisierten mittelalterlichen Gesellschaft: Ein Gelehrter mit Anklängen an Johannes Honterus, ein Ehepaar, ein Mutter mit Kind, eine Jungfrau, ein Soldat, ein Hirte mit Stab und ein Landmann, aber auch ein evangelischer Geistlicher ist anwesend, um zu bedeuten, dass die evangelische Konfession direkt aus ungetrübter Quelle schöpfe. Links und rechts dieser Predigtszene sind jeweils zwei große Holzskulpturen in den Architekturrahmen eingestellt – die vier Evangelisten. Oberhalb des Mittelbildes erblicken wir die beiden kleineren Skulpturen der Apostelfürsten Petrus und Paulus.
Die sogenannte Predella, die schmale Sockelzone des Retabels zwischen Altartisch und Predigtszene, bietet einem dreiteiligen Relief Raum (Abb. 4). Auf dem mittleren Relief erblicken wir Johannes Honterus, im Begriff, den Kronstädter Stadtrat zum Schwur auf das Reformationsbüchlein anzuleiten. Johannes Honterus steht in der Mitte, umringt von den Mitgliedern des Stadtrates. In seiner linken Hand hält er eine geöffnete Schriftrolle, das Reformationsbüchlein. Die rechte Hand streckt er, einem romantischen Freiheitshelden gleich, zum leidenschaftlichen Schwur in die Höhe. Die Ratsherren, mit historistischer Willkür in das pittoreske Kostüm der Husaren gekleidet, heben ebenfalls emphatisch die Hände. Ein Knabe und eine junge Frau – Repräsentanten der breiteren Stadtbevölkerung – sind auch anwesend und schließen sich dem Schwur an. Hinter Honterus erscheint ein Altar, und auf seinem Gesims ruht ein Abendmahlskelch, zum Zeichen, dass von nun das Abendmahl an alle in beiderlei Gestalt – Brot und Wein – ausgeteilt wird. Dieses Ereignis hat tatsächlich – wohl auf weit weniger romantische Weise – am 27. Dezember 1543 stattgefunden: Der Kronstädter Rat beschloss damals feierlich, die bereits im Laufe des Vorjahres eingeführten und inzwischen im Reformationsbüchlein abgedruckten Reformen beizubehalten.
Diese Darstellung des Ratsschwurs füllt die Mitte der Predella und wird von den Bildnissen zweier weiterer Reformatoren flankiert: Martin Luther und Philipp Melanchthon.
(Fortsetzung folgt)
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
Redaktion: 500.030 Braşov, Str. GH. Baiulescu 2,
Fernruf und Telefax: 0040 -(0)268/475 841,
E-Mail:kronstadt@adz.ro
Schriftleiter: Elise Wilk.
Redaktuere:Ralf Sudrigian, Hans Butmaloiu, Christine Chiriac (Redakteurin, 2009-2014), Dieter Drotleff (Redaktionsleiter 1989 - 2007)
Aktuell
Karpatenrundschau
27.09.24
Vorträge und Gesprächsrunde im AFF-Rahmenprogramm
[mehr...]
27.09.24
Dritte Dissertation im Bereich Germanistik an der Philologischen Fakultät der Transilvania-Universität verteidigt und Emeritierung von Prof. Dr. Carmen E. Puchianu
[mehr...]
27.09.24
Das Munizipium Kronstadt hat seit Kurzem wieder ein offiziell bestätigtes Wappen/Von Wolfgang Wittstock
[mehr...]