Was unsere Gemeinschaft heute ausmacht, lässt sich bis auf Brukenthal zurückverfolgen
19.08.21
300 Jahre seit der Geburt von Samuel von Brukenthal (1721-1803) / Festvortrag von Thomas Sindilariu am Digitalen Heimattag 2021 (III)
Initiator des institutionalisierten Kulturerbegedankens – das erste öffentliche Museum Südosteuropas
Brukenthal verstand es, den ihm zuteilwerdenden Reichtum im Sinne des Allgemeinwohls einzusetzen – mit 18.000 fl. Jahresgehalt hatte ihm die Kaiserin als Gouverneur etwa das Doppelte des im Rang zweiten Gubernialrats zugesprochen. Der erreichte gesellschaftliche Repräsentationsstatus machte es ihm möglich, für Siebenbürgen in Wien von gleich zu gleich aufzutreten. In der Provinz nützte er seinen Wohlstand jenseits von dienstlichen und privaten Repräsentationszwecken, die gleichermaßen aus dem Gehalt bestritten werden mussten, insbesondere auch, um die Allgemeinheit in Hinblick auf die wirtschaftliche, landwirtschaftliche und kulturelle Belange zu fördern.
An erster Stelle sind hier seine bedeutenden Sammlungen zu nennen, die enorme Summen verschlungen haben, Bücher, Handschriften, Münzen, Gemälde, Graphik etc. In der Zeitspanne 1764-1803 gab er insgesamt 62.181 fl. nur für Anschaffungen aus, davon allein 43.283 fl. für Bücher! In das oben gebrauchte Bild erneut heranzuziehen: seine Anschaffungskosten entsprachen dem Gegenwert von 31 Bürgerhäusern! Die Hochphase dieser Ausgaben fiel in Brukenthals letzte 15 Lebensjahre, als er mit zu Unrecht erlittenen Rentenkürzungen zu kämpfen hatte. In diesem Zeitabschnitt dürfte der Gedanke zum Entschluss gereift sein, der Nachwelt eine gut ausgestattete Institution zu hinterlassen, die zur Hebung der Kultur der Allgemeinheit auf lange Sicht beitragen möge. Für die Umsetzung seines Willens fand er über sein Testament einen rechtlich originellen Weg, der all sein juristisches Wissen erkennen lässt. Er legte nicht nur die Unteilbarkeit seiner Vermögensmasse fest und setzte einen bestimmten Familienzweig als Nutznießer ein, solange er männliche Erben hatte, sondern verpflichtete dazu, seine Sammlungen der Allgemeinheit bereits nach seinem Tod zugänglich zu machen. Die Sammlungen und sein Vermögen sollten langfristig ins Eigentum der Evangelischen Kirchengemeinde Hermannstadt übergehen. Das war ein gewagtes Unterfangen, da es von der Rechtsgewohnheit der institutionalisierten Erbteilung bei den Sachsen abzuweichen schien. Streit war vorprogrammiert, da ein anderer Familienzweig praktisch ausgeschlossen wurde. Im Verlauf der Auseinandersetzungen erwies sich, dass Brukenthal mit seiner Interpretation des Erbrechtes Recht hatte. Praktischer Nebeneffekt des Erbstreites unter den Neffen Brukenthals: Die Fronten klärten sich, die Idee der öffentlich zugänglichen Institution schlug dadurch starke Wurzeln im Bewusstsein der Öffentlichkeit. 1817 gelang es schließlich, seine Sammlungen als siebenbürgisch-sächsisches Nationalmuseum zu eröffnen, wie der Hermannstädter Stadtpfarrer Johann Filtsch (1753-1836) sich damals ausdrückte. Es war das erste öffentlich zugängliche Museum in ganz Südosteuropa. Das Museum gibt es heute noch als Muzeul Na?ional Brukenthal, als Brukenthal Nationalmuseum, wobei ausdrücklich nicht spezifiziert ist, welche Nation damit gemeint ist – vielleicht ist es auch ganz gut so, denn dann kann sich eine jede ethnische Gemeinschaft darin wiederfinden.
Bodenständiger Kosmopolit
Das wirtschaftliche Denken Samuel von Brukenthals verrät seine bäuerliche Herkunft, für die er sich gewiss nicht schämte. Weltgewandte Repräsentation und die Pflege des siebenbürgisch-sächsischen Dialekts in all seinen Häusern waren kein Widerspruch, sondern Normalität. Desgleichen schätzte er die Tracht der Menschen, wie mehrfach belegt ist – Ansätze einer originellen Verbindung von Tradition und Moderne lassen sich da erkennen, über die man nachdenken sollte, auch heute.
Als Spross einer Bauernfamilie war für Brukenthal die redliche Bewirtschaftung all seiner Güter oberstes Gebot. Durch ihre Modernisierung, durch Erwerb neuer Pflanzen, durch Kreuzungen wollte er beweisen, dass man auch durch Landwirtschaft Wohlstand erzeugen kann. Ein besonderes Interesse galt der Obstzucht, vor allem der Äpfel. Für den Eigenbedarf aber auch für den Hermannstädter Markt züchtete er exotische Früchte, in Freck und in seinem Sommeranwesen in Hermannstadt auf den Hallerwiesen. Als man bei Brukenthals Tod sein Vermögen inventarisierte, stellte man insgesamt 1.162 Limetten- und Orangenbäume in der Frecker Orangerie fest, die auf den Wert von 1.989 fl. geschätzt wurden – der Gegenwert eines stattliches Bürgerhauses.
Begehrt waren im In- und Ausland die von ihm in Sâmb?ta gezüchteten Pferde. Da Brukenthal sich gerne auch mit den Bauern über landwirtschaftliche Fragen unterhielt und ihnen bei der Zucht half, so dürfen wir davon ausgehen, dass die Pferde, die heute noch auf Siebenbürgens Straßen zum Einsatz kommen, zum Teil mit der Pferdezucht Brukenthals in Verbindung stehen.
Für die Einführung der Kartoffel setzte sich Brukenthal desgleichen ein, ferner für den Kleeanbau und er erwog, dafür landwirtschaftliche Vereine entstehen zu lassen. Weiße Büffel hatte er aus Ägypten importiert und züchtete sie erfolgreich. Sie hatten die Neugier Josephs II. während einer seiner Reisen durch Siebenbürgen geweckt und er bekam sie zu Gesicht. Infolgedessen wurden acht Explare davon als diplomatisches Geschenk an das Königreich Neapel verwendet, freilich erst nachdem der Kaiser sie bezahlt hatte.
Ein Vermächtnis von Aktualität mit vielfachen Anknüpfungspunkten
Abschließend kehre ich zur Eingangsfrage nach dem kollektiven Orientierungswert des Lebens und Wirkens von Samuel von Brukenthal zurück. Der mit Abstand am meisten beeindruckende Aspekt ist für mich: Mit enormem Wissensdrang und Arbeitseifer gelang ihm ein atemberaubender Aufstieg vom Sohn des Königsrichters, also des Bürgermeisters eines recht abgelegenen bäuerlichen Marktfleckens, zum Landeschef in Stellvertretung des Monarchen. Seine Herkunft hat er bei aller Aufgeschlossenheit gegenüber den modernen Geistesströmungen nie geringgeschätzt, ganz im Gegenteil! Er hat die Zukunftstauglichkeit der siebenbürgisch-sächsischen Gemeinschaftsstrukturen früh erkannt, ihren Wandel immer wieder gefördert und sein Wirken auf Landesebene um diesen Grundaspekt herum aufgebaut, letztlich zum Vorteil aller Völker Siebenbürgens.
Der zweite Aspekt ist seine Vorreiterrolle. Der institutionalisierte Kulturerbegedanke sowie die ersten landeskundlich ausgerichteten wissenschaftsorganisatorischen Impulse unserer Geschichte stehen in Verbindung mit Samuel von Brukenthal. Sie sind heute noch fester Bestandteil unserer gemeinschaftlichen Wirklichkeit. Bäuerlich umsichtiges Denken und wirtschaftlich effizientes Handeln, wenn möglich auf Vereinsgrundlage, sind desgleichen noch gegenwärtig. Den Grundstein zur Kirchenordnung der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien habe ich erwähnt – die Umstände der Errichtung des neuen Schulgebäudes der heutigen Brukenthalschule zeitgleich zu Brukenthals städtischem Palast, die mit einer Reform des Schulwesens insgesamt verbunden war, müssten noch genauer untersucht werden. Es wird diesbezüglich vom Einfluss Halles gesprochen.
Auch heute wird von einem der unseren dafür gesorgt, dass die Landespolitik möglichst qualitätsvoll und bedingungslos europaorientiert gestaltet wird. Die Belange der deutschen Minderheit sind dabei ein weit kleinerer Aspekt, als dies zu Brukenthals Zeiten der Fall war. Heute geht es ja auch um Rumänien, nicht mehr „nur“ um Siebenbürgen, aber wenn sich die Gelegenheit bietet, weist Präsident Klaus Johannis auf den europäischen Gehalt von Brukenthals Wirken hin, darauf, für was wir stehen, wie beim EU-Gipfel am Europatag des Jahres 2019 in beeindruckender Weise geschehen.
Kurzum, alles, was unsere Gemeinschaft heute ausmacht, lässt sich bis auf Brukenthal zurückverfolgen, in seinem Beispiel kann Orientierung gefunden werden, auch in schweren Zeiten!
Brukenthals Namensgeber und Großvater mütterlicherseits: Samuel Conrad von Heydendorff (1647-1727), Gubernialrat und Bürgermeister von Mediasch. Zeitgenössisches Gemälde in Privatbesitz. Foto: Hansotto Drotloff
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