Wenn Museumsbesucher zu Mitgestalter werden
21.11.25
Bei einer Ausstellung über den künstlerischen Nachlass des Kommunismus können alle mitmachen
„Neben dem offensichtlichen Thema, das dem sozialistischen Realismus entspricht, nämlich dem Aufbau der sozialistischen Gesellschaft, den monotonen Betonblocks, den Kränen und Gerüsten, übt die Malerin ihr chromatisches Talent und ihr Gespür für die Ausgewogenheit der Komposition und setzt dabei sogar auf expressionistische, ja sogar kubistische Techniken. Eine interessante Erfahrung, die ich als ad-hoc Kunstkritiker heute erleben konnte”, schreibt ein Besucher aus Jassy unter das Bild „Electrificare” der Kronstädter Künstlerin Alexandrina Gheție aus dem Jahr 1971. Wir befinden uns im Kronstädter Kunstmuseum, im letzten Raum einer Ausstellung über den künstlerischen Nachlass des Kommunismus. Diesen letzten Raum dürfen die Besucher als Kuratoren mitgestalten. Ein Konzept, das relativ neu ist. Dafür umso spannender, denn dadurch setzt man sich tiefgründiger mit dem Thema der Ausstellung auseinander. „Dieses Bild erinnert an den Kuss von Gustav Klimt”, schreibt ein anderer Besucher unter das Werk „Morning of insurection” von Eftimie Modâlcă (1974). „An dieser Wand sind Reproduktionen aus der digitalisierten Sammlung des Museums zu sehen, Werke, die ebenfalls ausgewählt werden können. Wir laden Sie ein, den Prozess der kollektiven Interpretation fortzusetzen. Wählen Sie ein Bild aus, halten Sie inne und notieren Sie Ihre Perspektive. Jeder schriftliche Beitrag erweitert die Ausstellung und fügt dieser Montage individueller Interpretationen eine neue Stimme hinzu”, lautet der Text, der die „Ausstellung der Besucher” begleitet.
Viele Werke von Künstlern der deutschen Minderheit
Die Ausstellung „Eine Vergangenheit, die nicht vergeht. Der Kommunismus und sein künstlerischer Nachlass“ nimmt sich vor, die Werke von Künstlern neu zu entdecken, die während des Kommunismus geschaffen wurden und sich im Bestand des Kunstmuseums befinden. Darunter viele Werke von Künstlern der deutschen Minderheit- Hans Mattis Teutsch, Waldemar Mattis Teutsch, Friedrich von Böhmches, Hermann Morres, Kaspar Lukas Teutsch.
Die Ausstellung ist in drei Teile aufgeteilt: in einem Raum befinden sich Installationen der Künstler Alina Andrei, Dan Perjovschi und George Roșu, in einem anderen die Werke aus dem Bestand des Kunstmuseums, die von mehreren Persönlichkeiten ausgewählt wurden und im letzten Raum die Ausstellung, die von Besuchern zusammengestellt wird.
Das Ausstellungsprojekt, das auf dem kuratorischen Konzept von Cosmin Nasui basiert, schlägt eine Form der demokratischen und verteilten Kuratierung vor, bei der die Entscheidung nicht einer einzelnen Person obliegt, sondern auf 36 rumänische Persönlichkeiten aus verschiedenen Bereichen verteilt ist. Jeder Gast wird somit zum Co-Kurator und hatte die Freiheit, ein einziges Werk aus der umfangreichen digitalisierten Sammlung kommunistischer Kunst aus dem Bestand des Kronstädter Kunstmuseums auszuwählen. Der Auswahlprozess war offen und uneingeschränkt, sodass die Teilnehmer Werke nach persönlichen, historischen, emotionalen, konzeptionellen oder sogar widersprüchlichen Kriterien auswählen können, ohne dass ihnen ein ästhetischer oder ideologischer Bewertungsrahmen vorgegeben wird.
36 Persönlichkeiten wählten 36 Kunstwerke aus dem Kommunismus aus
Die 36 individuellen Perspektiven bilden zusammen ein kaleidoskopisches Bild, das sowohl eine vereinfachende Verurteilung als auch eine nostalgische Rehabilitierung der Vergangenheit vermeidet und stattdessen ein nuanciertes Bild der Art und Weise vermittelt,
wie wir heute mit diesem problematischen kulturellen Erbe umgehen. Der Auswahlprozess war bewusst offen und uneingeschränkt. Die Teilnehmer konnten Werke nach beliebigen Kriterien auswählen – seien sie persönlicher, historischer, emotionaler, konzeptioneller oder sogar widersprüchlicher Natur. Es gab keine vorgegebenen ästhetischen oder ideologischen Bewertungskriterien. Diese Wahlfreiheit ermöglichte die Entstehung einer authentischen Vielfalt an Perspektiven, wobei jede Auswahl die individuelle Position desjenigen widerspiegelte, der sie getroffen hatte, seine persönlichen Erfahrungen mit der kommunistischen Ära oder seine besondere Art, dieses Erbe zu verstehen. Darüber hinaus wurde jedes ausgewählte Werk von einem kurzen argumentativen Text begleitet, in dem jeder Co-Kurator die Gründe für seine Wahl erläuterte. Diese Texte wurden zu einem integralen Bestandteil der Ausstellung und bieten dem Publikum nicht nur das Kunstobjekt selbst, sondern auch den subjektiven Kontext der Auswahl. Auf diese Weise wird die Ausstellung zu einem Raum des Dialogs zwischen 36 unterschiedlichen Stimmen, in dem jedes Werk durch die Augen desjenigen vermittelt wird, der es ausgewählt hat.
Lego-Männchen, Feldarbeit und Rot-Gelb-Blau
Im zweiten Raum, der von den Künstlern Alina Andrei, George Roșu und Dan Perjovschi gestaltet wurde, bewundert man mehrere Installationen mit Lego-Figuren, die verschiedene Facetten des Kommunismus zeigen. Daneben steht jeweils ein Text, der den jüngeren Besuchern erklärt, wie es damals war.
In der einen Installation sieht man Traktoren, Schweine, Krtoffeln und Lego-Männchen auf einem Feld. Im Text daneben wird erzählt, dass Kronstadt früher „das Reich der Kartoffeln“ war. Obwohl die Produktion groß war, wurden aus propagandistischen Gründen die Zahlen noch mehr in die Höhe getrieben. Wenn Ceaușescu auf Besuch kam wurden die kleinen Kartoffeln versteckt wurden und auf dem Feld nur riesige Kartoffeln “ausgestellt“. So lauteten jedenfalls die Legenden. Im Herbst mussten ganze Schulklassen zur Kartoffelernte. Viele Schwarzweiß-Fotos aus diesen Zeiten zeigen Schüler und Lehrer mit Hunderten von Krtoffelsäcken im Hintergrund. Ebenfalls erinnert sich Alina Andrei, Autorin der Installation, dass in den Wohnblockvierteln am Stadtrand die Leute Schweine in improvisierten Ställen züchteten. Diese wurden mit Kartoffeln gefüttert.
Eine andere Installation, „Macarale râd în soare” zeigt gelbe Kräne auf einem Feld. Die Installation erinnert an den Schlager aus dem Jahr 1961 mit demselben Namen, der von Trio Gheorghiu gesungen wurde. Auch Musik musste während dieser Zeit propagandistisch sein. Ganze Häuserviertel wurden abgerissen, um Platz für Wohnblocks zu schaffen.
Eine andere Installation erklärt das Symbol von Hammer und Sichel in gekreuzter Form, das wohl bekannteste Symbol des Kommunismus. Der Hammer steht für das industrielle Proletariat und die städtischen Arbeiter, während die Sichel für das landwirtschaftliche Proletariat und die Landarbeiter steht. Es war ein Symbol für die Einheit der gesamten Arbeiterklasse gegen die Kräfte des Kapitals. Die Autorin hat Hammer und Sichel in eine Piñata verwandelt (ein geschmücktes Tongefäß mit Süßigkeiten für Kinder, das zerschlagen wird), das sie mit vietnamesichen Krabbenchips gefüllt hat (solche Krabbenchips waren manchmal das einzige Snack, das man im Lebensmittelladen finden konnte).
An der Wand findet man neben verschiedenen kurzen Texten von George Roșu auch eine riesige, gewollt kitschige Collage von Dan Perjovschi. „Platforma Romania Tricoloră” zeigt die rumänische Flagge unter anderen auf Fingernägeln, Bettkissen, Hochzeitstorten, Schutzmasken, Bonbons, Häusern, Autos, Mülltonnen und Bikinis- die meisten Fotos wurden auf Social Media gefunden.
Die Ausstellung kann noch bis Ende des Monats im Kronstädter Kunstmuseum besucht werden. Noch hat man Zeit, mitzumachen und sie mit den eigenen Gedanken ergänzen.
Der Eintritt zur Ausstellung kostet 8 Lei für die drei Räume.
Kunst als Propagandainstrument
Kunst im Kommunismus wurde primär durch den sozialistischen Realismus geprägt, der eine realistische, unabstrakte und unästhetisierte Darstellung von Themen wie Arbeitern, Bauern und revolutionären Helden forderte, um den Sozialismus zu propagieren. Während einer anfänglichen Phase gab es mehr künstlerische Freiheit mit avantgardistischen Ansätzen, aber nach dem Aufkommen des Stalinismus wurde die Kunst zentralisiert und standardisiert, wobei der sozialistische Realismus zur alleinigen anerkannten Form wurde. Der sozialistische Realismus sollte nicht nur die Ideologie widerspiegeln, sondern auch den Fortschritt des Landes in eine sozialistische Zukunft darstellen. Nach der Anfangsphase der revolutionären Euphorie und künstlerischen Vielfalt etablierte die Politik eine starke Kontrolle über die Kunst und machte den sozialistischen Realismus zur offiziellen Vorgabe. Die Kunst diente als mächtiges Propagandainstrument, das die Werte und Ziele des kommunistischen Staates vermitteln sollte.
Elise Wilk
Die Besucher der Ausstellung haben die Chance, sie mitzugestalten. Foto: die Verfasserin
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
Redaktion: 500.030 Braşov, Str. GH. Baiulescu 2,
Fernruf und Telefax: 0040 -(0)268/475 841,
E-Mail:kronstadt@adz.ro
Schriftleiter: Elise Wilk.
Redaktuere:Ralf Sudrigian, Hans Butmaloiu, Christine Chiriac (Redakteurin, 2009-2014), Dieter Drotleff (Redaktionsleiter 1989 - 2007)
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