Wer er ist.
27.08.09
Joachim Wittstock zum 70. Geburtstag/ Von Carmen Puchianu
Er ist nicht zu übersehen, obschon er sich niemals in den Vordergrund drängt. Seine hohe, schlanke Gestalt ist meist an wenig auffälliger Stelle im Raum auszumachen. Geht man in einer Gruppe auf der Straße oder irgendwo in freier Natur, wird er sich stets am äußeren Rand der Gruppe oder einen halben Schritt hinter dem jeweiligen Weggefährten halten, so als wollte er diesen vor möglichen Anfechtungen schützen. Wo immer er geht und steht, hält er sich aufrecht. Er neigt den Kopf etwas zu der Seite woher er angesprochen wird, beugt sich leicht vor, wenn er selbst jemand anspricht. Er vollführt eine regelrechte Verbeugung, indem er die Rechte zur Begrüßung ausstreckt und, wenn die gerade begrüßte Person eine Frauensperson ist, neigt er sich über die gereichte Hand zu einem galant in die Luft gehauchten Handkuss, verharrt danach den Bruchteil eines Augenblicks wenige Millimeter über der Frauenhand, richtet sich auf und blickt der soeben Begrüßten in die Augen, ein halb schüchternes, halb verschmitztes Lächeln um die Lippen. „So sieht man sich... wieder“, sagt er in bedächtigem Ton, zieht seine Hand zurück, tritt einen Schritt zurück, nickt einem mehrmals zu, deutet mit beiden Händen in den Raum und wendet den Kopf in die jeweils angezeigte Richtung, als wollte er nicht nur eine einzige Person, sondern den ganzen Raum, die gesamte Gesellschaft darin in seine Begrüßung einbeziehen und so der ganzen Welt die Ehre erweisen.
Er ist, wer er ist.
Die Hände auf dem Rücken verschränkt oder den einen Ellbogen in die Handfläche gestützt, hört er einem im Gespräch aufmerksam zu, nickt zustimmend, „ja, ja“, nimmt Anteil, „so... ist es“, zeigt Verständnis, überlegt. Bevor er antwortet, wiegt er bedächtig den Kopf, setzt dann mit angenehm gesenkter Stimme zum Sprechen an. „Nun ja, dem ist... so...“ Was er sagt, hat Hand und Fuß, und sei das ein ganz einfacher Satz, er ist stets durchdacht, ausformuliert und am Platz. Zugegeben, manchmal etwas umständlich hervorgebracht, weil taktvolle Zurückhaltung, sorgsame Behutsamkeit und höfliche Rücksichtnahme den Sprecher in jeder Lage kennzeichnen.
Er ist, wer er ist.
Spricht er zu einem Publikum, gibt er sich ebenso elegant wie bescheiden, so als erweise er seinem Publikum die Gunst und Ehre seiner Anwesenheit, und nicht umgekehrt. Denn ihm fehlt jegliche Spur der Allüre theatralischer Selbstdarstellung und Selbstinszenierung, wie man sie sich ohne weiteres leisten könnte als Wortkünstler seines Formats. Er verbietet sich jede Form des auffälligen Gehabes, des selbstgefälligen Getues, macht seine vermutlich angeborene aber sicherlich anerzogene Zurückhaltung zu seinem unverkennbaren Markenzeichen. Dahinter verbirgt sich sein Charme, sein Witz, seine feine Ironie, seine jungenhafte Schalkhaftigkeit, die er während seltener Momente in ausgesuchter Runde zu zeigen sich und den anderen gestattet. Sein Lächeln verwandelt sich dann für kurze Augenblicke in herzhaftes Lachen, das sein ganzes Gesicht erhellt. „Indes... der Wein... er mundet.“ Dann erhebt er sich unauffällig, stellt sich hinter seinen Stuhl, den er gewissenhaft an den Tisch zurück schiebt, blickt sich etwas unschlüssig, wie Hilfe suchend, um, entfernt sich mit schlaksig langsamen Schritten, verschwindet schließlich unbemerkt. Ebenso unbemerkt ist er wieder da, rückt seinen Stuhl zurecht, setzt sich, lächelt verlegen, da er von den verdutzten Tischgenossen, die erst jetzt und etwas geniert sein Fehlen bemerken, mit der Frage nach seinem Verschwinden überfallen wird. „Ich war... anrufen... telefonieren... Dies ist... unsere Stunde.“ Nebenbei wurde beim Ober die Rechnung beglichen. Auch das tut er mit verlegen verschmitztem Lächeln kund: „Für euch... alle... versteht sich.“
Er ist, wer er ist.
Liest er aus seinen Texten, nimmt er seine Brille ab, steht aufrecht vor seinen Hörern, blickt in die Runde, eine schwarze Mappe in den Händen als Unterlage für seine Blätter. „Meine Verehrten...“ Seine Lesungen sind bis ins letzte Detail ausgewogen, auf das rechte Maß einer Dreiviertelstunde abgestimmt. Wer hellhörig genug ist, merkt auch hier den Schalk, merkt den verhalten kritischen, den ironischen Ton, der das Eigene stets mit einbezieht. Seine Warte ist hoch, eine, die ihm Aus- und Einsicht zugleich bietet, sie ist aber keineswegs jene künstlerischer, selbstgefälliger Überheblichkeit.
Er ist, wer er ist.
Er ist Ehrengast ebenso wie Anreger und Mitgestalter von literarischen und wissenschaftlichen Veranstaltungen, und er ist stiller Teilnehmer und Zuschauer. Er spendet viel lieber Beifall als dass er ihn selber entgegen nimmt. Begeisterung äußert er ebenso verhalten wie kritische Ablehnung – beides meint er ernst und aufrichtig. Ein flüchtiges Zucken um die Mundwinkel, ein kurzes Aufblitzen in seinen Pupillen: die Zeichen von tiefempfundener Empathie.
Er ist, wer er ist: Joachim Wittstock, Dichter und Schriftsteller, in Siebenbürgen und in der Welt zu Hause.
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
Redaktion: 500.030 Braşov, Str. GH. Baiulescu 2,
Fernruf und Telefax: 0040 -(0)268/475 841,
E-Mail:kronstadt@adz.ro
Schriftleiter: Elise Wilk.
Redaktuere:Ralf Sudrigian, Hans Butmaloiu, Christine Chiriac (Redakteurin, 2009-2014), Dieter Drotleff (Redaktionsleiter 1989 - 2007)
Aktuell
Karpatenrundschau
13.06.25
Die Konferenzreihe ArhiDebate in Kronstadt
[mehr...]
13.06.25
Kronstädter Musikerinnen (XIII): Klavierlehrerin Adele Honigberger (1887-1970)
[mehr...]