Wie viel Heimat – Halt – braucht der Mensch?!
21.10.10
Zu: „Einen Halt suchen“, von Joachim Wittstock, Hora-Verlag, Hermannstadt/Sibiu, 352 S., 2009 ISBN 978-973-8226-79-1 (III)
Einer Versöhnungskultur durch Aufarbeitung und Bewältigung der Konflikte steht mitunter im Wege, dass die Masse dessen, was durch Vergebung und Versöhnung aus der Welt geschafft werden könnte und müsste in einzelnen Fällen zurzeit noch einfach viel zu groß ist. Aber bei Opfern derselben Ursache sollte doch eine Leidenssolidarität möglich sein, sonst siegt weiterhin die Verursacherideologie und schmerzt die Opfer zusätzlich nach wie vor. Hier liegt Joachim Wittstocks Stärke, die Suche nach einem Dialog auch des Divergierendsten, des Einander- entgegengesetzten nicht aufzugeben.
Ein ungeahntes Gedankengeflecht hinsichtlich von Wert und Unwert von Utopien enthält der eigenwillige, kühn argumentierende Essay „Utopien des Geistes und des Wortes im Hermannstädter Horizont“. Es gelingt Joachim Wittstock hier, die Existenz- und Alternativphilosophie des in Frankreich groß gewordenen rumänischen Philosophen von europäischem Format, Emil Cioran, und die Philosophie des nationalexistentiell alternativ denkenden rumänischen Philosophen aus Hermannstadt, Constantin Noica, mit den modernen rumänischendeutschen Literaten, Georg Scherg und Wolf von Aichelburg in Bezug zu setzen.
Besonders Emil Ciorans Verdikt, die Utopie sei die Weitsichtigkeit der gealterten Völker, während die jungen Völker der Ausflucht in eine verlockende Utopie widerstrebten (aus „Dasein als Versuchung“, Stuttgart, Klett-Cotta 1993), wird in Georg Schergs Roman „Goa Mgoo oder die Erfindung der Unsterblichkeit“ (Pelbert Verlag 1997, Münster/Westfalen) im fernöstlichen Gewand auf die Ceausescuzeit angewendet. Auch der Tod und das Sterben werden bei Scherg verboten, da der Diktator ewig leben will.
Dagegen wird in Wolf von Aichelburgs Schauspiel „Der Tod des Perigrinos“ (Wolf von Aichelburg „Lyrik, Dramen, Prosa“. Kriterion Verlag 1971, Bukarest) der Selbstmord des griechischen Philosophen während der Olympischen Spiele als eine Weigerung gesehen, die Altersweisheit als Lebensreife zu verstehen. Als Schauspieler des Lebens geht man dem Tod naturgemäß entgegen. Daher wird in der Begegnung mit ihm an das Leben erinnert und die Utopie durch das konkret Geschehene ersetzt.
Diese schon existenzialistische Abgründigkeit des auf den ersten Blick so altösterreichisch umgänglichen Wolf von Aichelburg war es wohl auch, die die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller bewog, ihr Germanistikstudium in Temeswar mit der Abschlussarbeit über Wolf von Aichelburg zu beenden. Damit nahm sie ihn, neben Oskar Pastior, als zweiten siebenbürgisch-sächsischen Landsmann in ihrem Werdegang zum Literaturnobelpreis mit auf.
Ein Kernessay dieser Sammlung ist „Heimat, gepriesen und angefochten“. In der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg, in der „Volksgruppen-Ära“, wurde der Heimatbegriff nach und nach in Deutschtumpolitik ideologisiert und damit entliterarisiert. Dabei ist Heimat – betont Joachim Wittstock – nicht ein anderes Wort für die sprichwörtliche Enge, sondern oft, im Gegenteil, ein Begriff für räumliche Weite. Diese war aber nach der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges zunächst unmöglich und musste mühsam erarbeitet werden durch Berücksichtigung – und auch Anpassung – an die neue Zeit.
Am Beispiel von Georg Scherg zeigt Joachim Wittstock, wie komplex die Ausgangslage war. Der Bildungshorizont von Georg Scherg (1917-2002), einem klassischen Bildungsbürger, war mit den Beschränktheiten dilettantisch betriebener Heimatdichtung unvereinbar, aber eine literarisch belanglose, jedoch politisch korrekte „Ode an die rumänische Volksrepublik“, fühlt er sich dann doch verpflichtet abzuliefern.
Peter Jung (1887-1966) leistete sich auch eine banal deskriptive „Hymne auf das Wappen der rumänischen Volksrepublik“ und einen nicht minder simplen „Gruß an die rumänische Volksrepublik“. Beim Letzteren gibt es das „Reim dich oder ich fress dich“- Geklingel: „lichte Stärke – viele Werke, grelle Flammen – mit dem Sowjetheer zusammen, Partei – braune Tyrannei“.
Doch auch hier geht Joachim Wittstock ausgeglichen vor. Er zeigt, dass Peter Jung als Verfasser der banatschwäbischen Volkshymne „Mein Heimatland“ (1927), von Josef Linster vertont und gern und viel gesungen, sich nun genötigt sah, den neuen Verhältnissen Tribut zu zollen. „Mein Heimatland“ (1927) ist volkstümlich, auch einfach, dafür aber einfühlsam poetisch: „Das Land, wo meine Wiege stand, / Wo Wohl und Wehe mein Herz empfand, / Der junge Tag mir zugelacht, / Als ich in Mutters Arm erwacht ... /“
In der 2. Strophe wurde der Vers: „Gott segne dich, der segnen mag / Zu jeder Stund, an jedem Tag!“ im rumänischen Ostblocksozialismus verweltlicht in: „Es segne dich, der segnen mag / Zu jeder Stund, an jedem Tag.“ So zurechtgeschneidert und mit den vorausgegangenen Huldigungstributen empfohlen, wurde diese alte banatschwäbische Volkshymne hinübergerettet in die „neue Zeit“ und durfte weiter fleißig und inbrünstig wie bisher offiziell intoniert werden.
Auch die gestandenen Banater Lyriker Peter Barth (1898-1984) und Franz Liebhardt (1899-1989) äußerten Heimatbezogenes, wenn auch oft zu seicht vordergründig „neuvaterländisch“.
Wolf von Aichelburg (1912-1994) hingegen weitet die Heimat ins Kosmische und hat 1977 noch Glück mit einem damals noch weitläufigeren Heimatkonzept. Im Gedicht „Heimat“ bekennt er: „Du hast mich geprägt, und ich schwanke / dahin wie ein loses Blatt, / das keine Wurzel und Schranke, / nur Sonne zur Heimat hat.“/
Auch beim Lyriker vom europäischen Format, Alfred Margul Sperber, (1898-1967) weitet sich der Heimatbegriff bis ins Weltall. Sein Gedicht „Das Heimweh“ endet nicht resignierend, sondern ermutigend: „So wandle dein Heimweh in Wille und Geist / in Tat, die den Weg zu den Sternen weist.“ /
Die 1940 an die Sowjetukraine abgetretene Nordbukowina war Heimat nicht nur von Alfred Margul Sperber, sondern auch von Alfred Kittner (1906-1991), Moses Rosenkranz (1904-2003), Immanuel Weissglas (1920-1979) und dem wohl Bekanntesten von allen, Paul Celan (1920-1970).
Über eine rumänische Zwischenstation nach dem Zweiten Weltkrieg, in der alle diese Autoren zur rumäniendeutschen Literatur gehörten, gelangten sie schließlich in den Westen, wo sie den unwiederbringlichen Heimatverlust in Worte zu fassen suchten, wie Moses Rosenkranz auf der Suche nach dem Dorf seiner Kindheit in der Nordbukowina im Gedicht „Heimkehr“: „Es ist nicht da. Es ist nicht da. / Mein Dorf, was stieß dir, Teures, zu? / Wohl Schlimmeres als mir geschah, / denn ich bin hier und wo bist du?!“
Am Ende dieses Essays kommt der ebenfalls nach Deutschland gelangte rumäniendeutsche Dichter Christian Maurer (geb. 1939) zu Wort, bei dem auch Weggang – sei es durch Tod oder Auswanderung – der einem nahestehenden Menschen Heimatverlust bringt, thematisiert wird wie in seinem Gedicht: „Heimweh nach euch verwirrt mir Zeit und Ort“. Es endet: „Ein Brunnenschwengel zeigt den Abend an. / Mutter, dass ich dir nicht lächeln kann ...“ / Doch auch hier im Verlust wird ein Bogen von Deutschland nach dem Rumänien seiner Kindheit geschlagen, und die Heimat zumindest in der Erinnerung – und sei sie noch so abschiedsschwer – aufbewahrt.
Heimat als Halt – und sei es auch nur in der Erinnerung – verhindert nicht nur eine Aufgabe der Heimat, sondern macht die Heimat zu einer Aufgabe und nicht „bloß zu einer literarischen“.
(Schluss)
Ingmar Brantsch
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