„Wir wollen eine Utopie aufbauen“
04.10.24
Pfarrerin Adriana Florea über ihre Tätigkeit als Direktorin des Ökumenischen Zentrums „Agape” in Italien
Pfingsten 2023 wurde Adriana Florea von ihrem Amt als Pfarrerin der Honterusgemeinde festlich verabschiedet. Nach rund neun Jahren in Kronstadt zog sie nach Italien. Dort leitet sie das Ökumenische Zentrum „Agape” (kommt aus dem Griechischen und bedeutet selbstlose, nicht sinnliche Liebe, die auf das Wohl anderer gerichtet ist, ohne eine Gegenleistung zu erwarten), ein Begegnungszentrum in den Alpen, wo Gläubige verschiedener Religionen und Konfessionen, sowie auch Nichtgläubige den Rahmen für Dialog und Wertschätzung der Unterschiede finden. Im September ist Adriana Florea nach Kronstadt gekommen, um zwei gute Freunde in der Schwarzen Kirche zu trauen. So konnte sie erzählen, wie es ihr in Prali, einer Gemeinde in der Nähe von Turin und der französischen Grenze, in der Region Piemont, geht.
Auf Facebook und Instagram postet die Pfarrerin manchmal Fotos von bezaubernden Sonnenuntergängen und von einer traumhaften Berglandschaft. Sie wohnt bei 1.600 Metern Höhe in einem Gebäude, das Mitte des vergangenen Jahrhunderts gebaut wurde und freut sich jeden Tag über die frische Luft, das Grün der Tannen und die Lokalprodukte. Manchmal sind in den sozialen Medien auch Bilder zu sehen, in denen sie, umgeben von jungen Leuten, bei Gruppenaktivitäten breit lächelt. Die Jugendlichen in den Bildern sind Freiwillige, mit denen Adriana Florea im Zentrum wohnt, ihren Alltag verbringt und zahlreiche Bildungscamps und Workshops für Kinder, junge Leute und Familien, sowie für Feministinnen, für Mitglieder der LGBTQ-Gemeinschaft oder buddhistische Gruppen vorbereitet. Die zehn festen Volontäre des ökumenischen Zentrums sind unterschiedlicher internationaler Herkunft, sie kommen aus Deutschland, Uruguay, Argentinien, der Türkei und Albanien und bleiben ein oder zwei Jahre bei Agape, wo sie auf eine inklusive und nachhaltige Weise experimentieren, in einer Gemeinschaft zu leben und gleichzeitig in einen interkulturellen und interreligiösen Dialog einzutauchen.
Menschenrechte und religiöse Toleranz stehen im Mittelpunkt
Das Agape-Begegnungszentrum wurde aus dem Bedürfnis nach Versöhnung und Zusammengehörigkeit gegründet, das nach dem Zweiten Weltkrieg auf nationaler und internationaler Ebene empfunden wurde. Der Wunsch nach Frieden und Wiederaufbau inspirierte den Waldenserpfarrer Tullio Vinay, der den Bau des Zentrums und das gesamte Projekt leitete. Es gibt aber auch Volontäre, die ihren Dienst anbieten. Agape gehört zu den Zentren und Organisationen der Waldenserkirche in Italien. Die im 12. Jahrhundert in Südfrankreich gegründete protestantische Kirche gilt als eine der ältesten evangelischen Bewegungen Europas. Sie ging von Petrus Valdes aus, einem reichen Kaufmann aus Lyon, der 1170 sein Vermögen verteilte und ein Leben in apostolischer Armut forderte. Die Bewegung schloss sich im 16. Jahrhundert der Reformation an und ist heutzutage vor allem in Italien verbreitet, besonders in den norditalienischen Regionen Piemont und Toskana, sowie in einigen Ländern Südamerikas. „Das Zentrum ist sehr, sehr offen“, sagt Florea. Sie findet es sehr toll, dass man sich in dieser sozialen und ökumenischen Ausrichtung für Menschenrechte, Gerechtigkeit und religiöse Toleranz einsetzt und will ihren Beitrag dazu leisten. Das hat sie auch in ihrer mehrmaligen Freiwilligenarbeit im Laufe der Zeit hier ganz toll gefunden, als sie theologische Camps organisierte. Vor einigen Jahren wurde sie in den Vorstand des Zentrums gewählt und wird dieses bis 2028 leiten.
Auch Nichtgläubige finden einen Zugang zur Spiritualität
So kann sie ihre Vision direkt einsetzen und durch die zahlreichen Bildungscamps, die sehr beliebt sind, verbreiten. Internationale Gruppen finden beim ökumenischen Zentrum einen Raum für Diskussionen über verschiedene Themen wie aktuelle politische und soziale Fragen, geschlechtsspezifische, spirituelle und theologische Themen sowie Ausbildung und Bildung. „Es kommen viele Menschen zu uns, die ganz verschiedene Hintergründe haben, manche sind Atheisten oder haben keine Beziehung mehr zur Kirche. Und sie sagen uns, dass sie bei Agape einen anderen Zugang zur Spiritualität finden”. Das Team ist bemüht, Leute aus der ganzen Welt zu vereinen und ihnen eine Möglichkeit zu bieten, miteinander durch Gespräch Toleranz zu üben. „Es werden hier keine vorgefertigten Antworten gegeben, sondern vielmehr Denkanstöße und das nötige „Werkzeug”, um sich mit verschiedenen Themen kritisch auseinanderzusetzen.“
Diesen Sommer waren Teilnehmer aus Palästina eingeladen, die hier über ihren Kontext sprechen sollten, aber auch Frieden leben konnten. Sie erhielten kein Visum und schafften es nicht zum Camp. Aber Teilnehmer aus Kuba und Pakistan und aus verschiedenen Ländern Europas waren dabei und konnten sich austauschen. „Unser Ziel ist es, ihnen eine neue Perspektive aus dem Gesichtspunkt des christlichen Glaubens zu bestimmten Themen zu geben”, erklärt die Direktorin des Zentrums. „Wir wollen eine Utopie aufbauen, indem wir die Leute zusammenbringen und eine Bühne schaffen, auf der sie durch Dialog Versöhnung erleben. Wir zeigen und (er)leben hier etwas, das die Leute dann außerhalb des Zentrums in die Welt tragen sollten, um eine bessere Welt zu schaffen”. In diesem internationalen und offenen Kontext ist es eine Herausforderung, immer die richtigen Worte zu wählen. „Wir müssen schauen, was für Wörter wir benutzen, wie wir die Themen ansprechen, um niemanden zu beleidigen, gleichzeitig möchte ich mir und meinem Glauben treu bleiben. Es ist nicht sehr leicht, dort zu verkündigen”, gibt die Pfarrerin zu.
Eine Berufung auf Zeit
„Es ist sehr toll, die Jugendlichen zu sehen, wie sie in einem Jahr wachsen und sich entwickeln, wie sie ihrer Verantwortungen nachgehen und am Ende ihrer Freiwilligenzeit sehr vieles können. Manche sind sehr jung, wenn sie her kommen und es ist schön, sie aufblühen zu sehen“. Auch die erfolgreichen Camps und die Tätigkeiten bereiten ihr große Freude. Adriana Florea schätzt es sehr, dass der Pfarrer im Dorf sie manchmal bittet, Predigten zu halten, denn das fehlt ihr nämlich sehr. Auch die Seelsorge und das Gemeindeleben, das sie in Kronstadt hatte, vermisst sie sehr. „Ich bin nicht aus Rumänien weg, weil es mir hier nicht gefällt, sondern weil diese Möglichkeit aufkam”. Die Herausforderung, die Verkündigung auf eine neue Art und Weise zu machen, sieht sie als Berufung auf Zeit und stellt sich aber gut vor nach den fünf Jahren in der Piemont-Region wieder in einer Kirche tätig zu sein. In ihrer wenigen Freizeit reist die junge Pfarrerin gerne mit den Freiwilligen oder mit Freunden, die sie besuchen. Nach Kronstadt kommt sie immer wieder gerne zu Besuch.
Laura Capatana-Juller
Pfarrerin Adriana Florea (rechts) verkündigt das Wort Gottes in Italien an junge Leute. Ihre Mission als Direktorin des Ökumenischen Zentrums “Agape” ist es auch Diskussionen über verschiedene Themen wie aktuelle politische und soziale Fragen, geschlechtsspezifische, spirituelle und theologische Themen sowie Ausbildung und Bildung zu besprechen. Foto: privat
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