Wo stand das älteste Rathaus von Kronstadt?
06.01.11
Das Martinsberger Pfarrhaus kommt dafür nicht in Frage /von Gernot Nussbächer
Vor kurzem wurde uns der unten stehende Text aus dem Internet mitgeteilt und wir wurden gebeten, dazu Stellung zu nehmen. Weil dies Thema breiteres Interesse erwecken kann, veröffentlichen wir unsere Stellungnahme auch in der KR.
„Biserica Sfântul Martin se afla pe dealul aflat la intersectia strazilor De Mijloc si Lunga. A fost construita in stil gotic si este atestata documentar din anul 1522 asa cum este si inscriptionat pe una din usile bisericii.
Casa parohiala de alaturi a fost primul sediu al Primariei Brasov si a ramas in istorie ca loc de întâlnire a domnitorului român Mircea cel Batrân cu regele Ungariei Sigismund de Luxemburg în anul 1395.“
Der kurze Text enthält leider eine Reihe von historischen Fehlern, die auf eine nicht entsprechende Dokumentation des ungenannten Autors und Amateurhistorikers zurückgeht.
Die Kronstädter Martinskapelle ist schon seit dem Jahre 1395 urkundlich bezeugt und feierte im Jahre 1995 ihr 600-jähriges Bestehen (KR Nr. 9 und 31/1995). Die Inschrift von 1522 bezieht sich nur auf eine neue Türe und vielleicht einen neuen Türstock auf der Südseite der schon seit mehr als einem Jahrhundert bestehenden Kapelle, die durch die Erweiterung von 1795 zur Martinsberger Kirche wurde. Die zweite Behauptung des obigen Textes, daß nämlich das Martinsberger Pfarrhaus das erste Rathaus von Kronstadt gewesen sei und daß dort der ungarische König Sigismund von Luxemburg und Mircea der Alte, der Fürst der Walachei, einen Bündnisvertrag abgeschlossen haben, widerspricht auch jeder gesicherten historischen Überlieferung.
Die mutmaßliche Quelle dieser Irrungen ist eine Arbeit des verdienstvollen Kronstädter Geographiehistorikers Dr. Paul Binder (1935 - 1995), die im vierten Band des Jahrbuchs des Kronstädter Kreismuseums „Cumidava" im Jahre 1970 veröffentlicht wurde.
Dr. Paul Binder ging von einer Aussage von Lukas Joseph Marienburg in seiner „Geographie des Großfürstenthums Siebenbürgen", Zweyter Band, Hermannstadt 1813, S. 349 aus, wo es wörtlich heißt:
„Der St. Martinskirche gegenüber zeigt man ein altes zweystöckiges jetzt Privathaus, welches das alte Stadtrathaus soll gewesen seyn. An diesem steht die aus zwey Classen mit zwey Schulmeistern bestehende Schule".
Aus diesem Text geht klar hervor, daß nicht das Pfarrhaus gemeint war, sondern ein Haus neben der Martinsberger Schule in der Langgasse (heute Nr. 63).
Trotzdem gelangte Dr. Binder in seiner Arbeit von 1970 zum Schluß, daß möglicherweise der Bündnisvertrag von 1395 in einem der Räume des Feudalsitzes am Martinsberg abgeschlossen wurde. Er räumte dann aber auch ein, daß der Vertrag im königlichen Hoflager gegenüber der Peter- und Pauls-Kirche in der Klostergasse - eingeschlossen von der Johannisgasse, Bäckergasse und Michael-Weiß-Gasse (damals: Nonnengasse) - abgeschlossen werden konnte, was weitaus logischer und überzeugender ist.
Das heutige Martinsberger Pfarrhaus war um das Jahr 1395 vielleicht ein Wohnturm, an den später im 16. Jahrhundert Anbauten auf der Nord- und auf der Südseite errichtet wurden, aber in dem einen zentralen Raum des Gebäudes war wohl kein Platz für eine so aufwendige Zeremonie mit zwei Fürsten und ihrem Gefolge.
In dem Büchlein von Friedrich Philippi „Aus Kronstadt's Vergangenheit und Gegenwart" (1874) lesen wir Seite 16:
„Der St. Martins-Bergkirche gegenüber zeigte man noch im Jahre 1813 ein altes zweistöckiges Gebäude, welches das Rathaus des alten Kronstadt gewesen sein soll" und bezieht sich auf Lukas Joseph Marienburg.
Heute besteht dieses alte Gebäude nicht mehr, im späten 19. Jahrhundert wurde das jetzt dort befindliche Haus Nr. 65 errichtet.
Es ist sehr unwahrscheinlich, daß das Rathaus der größten Stadt Ungarns am Ende des 14. Jahrhunderts außerhalb der Stadtmauern gewesen sein sollte. Unserer Meinung nach ist es sinnvoll, das Rathaus von Kronstadt in der Inneren Stadt zu vermuten. Und nachdem als Kern des heutigen alten Rathauses am Marktplatz eine Stube für Gerichtsverhandlungen auf die Kürschnerlaube laut einem Vertrag von 1420 errichtet wurde, scheint es naheliegend, daß sich das vorherige Rathaus vielleicht in dem Turm befunden haben kann, an den die Kürschnerlaube vorher auf der Westseite angebaut wurde. Und dies wohl eben weil gerade die Kürschnerzunft damals eine der wichtigsten Kronstädter Zünfte war. Der Raum in dem Rathausturm mit den Ausmaßen von etwa 4 x 3,5 Meter war gewiß zu klein. Möglicherweise wurden die Sitzungen des Stadtrates in der Wohnung des jeweiligen Stadtrichters abgehalten, wie auch in späteren Zeiten.
Der Kronstädter Stadtrat oder Magistrat bestand damals aus dem Stadtrichter, dem Stadthannen und sechzehn Ratsherren, an den Sitzungen mußte auch der Stadtnotar teilnehmen.
Wenn wir nun zum Schluß kommen, können wir vom eingangs zitierten Text nochmals sagen, daß er auf Grund ungenügender Dokumentation falsche Angaben enthält, die der historischen Wahrheit nicht entsprechen. Anhand der bisher bekannten Quellen kann nicht bewiesen werden, wo das Kronstädter Rathaus sich vor dem Jahre 1420 befand.
Foto 1:
Die Martinsberger Schule von 1870, aus dem Band „Das Sächsische Burzenland“, 1898.
Foto 3:
Auszug aus dem Stadtplan von 1887.
Foto 4.
Das Kronstädter Rathaus, 2010.
(Foto: Waldemar Stadler)
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