Zwei deutsche Theatermacher füllten gekonnt den Abend
18.11.10
Die Passauer Peter Paleczek und Sepp Meissner in Kronstadt
Das internationale Jugendtheaterfestival „EuroArt“ ist das wichtigste jährliche Ereignis auf dem gemeinsamen Veranstaltungskalender des Deutschen Kulturzentrums und der Alliance Française Kronstadt. Der „Gastgeber“ der drei Theatertage vom 4. bis 6. November war das Kulturzentrum „Redoute“. Seit wenigen Jahren wird das Kronstädter „EuroArt“ nicht mehr als Wettbewerb gestaltet, da manche der teilnehmenden Theatergruppen in ihrer jeweiligen Muttersprache, andere jedoch in Fremdsprachen spielen und ihre Leistungen deswegen schwer zu vergleichen sind. Die Veranstalter legen den Schwerpunkt auf das Schauspiel als Lernmethode im Fremdsprachenunterricht und als kommunikationsfördernde Kunst insgesamt. An der diesjährigen neunten Auflage des Festivals nahmen zehn Schülertheatergruppen aus Rumänien und Ungarn teil, die in rumänischer, deutscher, französischer, englischer und ungarischer Sprache spielten. Zwei Kronstädter Gruppen, vom Kolleg „Unirea“ und vom Lyzeum „Aprily Lajos“, waren dabei.
Zusätzlich zu den Vorführungen der jungen Schauspieler trat an den drei Abenden je ein erfahrenes Theaterduo auf. Maia Morgenstern und Tudor Aaron Istodor eröffneten das Festival mit „Tangou final“(„Schlusstango“) von Mario Diament, einer Inszenierung des Jüdischen Staatstheaters Bukarest in der Regie von Moshe Yassur. Am Abschlussabend führten Jean-Sebastien Richard und Charly Mour aus Paris „Diablogues“ von Rolland Dubillard auf. Dazwischen, am 5. November, stand „Blutwursttag in Utzbach“ auf dem Programm, eine Auswahl von Szenen aus Thomas Bernhards „Der Theatermacher“, gestaltet von Peter Paleczek und Joseph Meissner aus Passau, Deutschland.
Peter Paleczek („Bruscon“) war schon seit seiner Kindheit ein Theaterbegeisterter. Er trat später als Laienschauspieler im Passauer Spielstudio auf und leitete Kurse im dramatischen Gestalten an seiner Schule. Ebenfalls als Pädagoge befasste sich mit dem Theater Joseph „Sepp“ Meissner, sein Regisseur, der auch mit der Passauer Kabarettgruppe „Treibgut“ zusammenarbeitete. Vor der Aufführung des Bernhard-Stücks in Kronstadt nahmen sich die zwei Schauspieler Zeit für ein Interview.
Herr Meissner, Sie waren schon mehrfach in Kronstadt – wie kam es dazu?
J. Meissner: Der Ursprung liegt in einer Schulpartnerschaft zwischen dem Honterus-Gymnasium und meiner Schule, dem Leopoldinum in Passau. So habe ich vor Jahren Carmen Puchianu kennengelernt. Zuerst haben wir Austausch mit Theatergruppen gemacht, später Theaterworkshops und Lesungen. Vor einigen Jahren war ich auch auf diesem Festival als Juror dabei. Jetzt hat es sich so ergeben, dass wir gerade etwas – wie man so schön sagt – auf der Pfanne hatten, etwas spielen konnten, und so wurden wir eingeladen.
Ist es das erste Theaterstück in dem Sie und Herr Paleczek zusammenarbeiten?
J.M. : Das ist richtig. Wir haben getrennt in Passau Theater gemacht, er an seiner Schule, ich an meiner Schule, und haben zum Teil auch mit Profis im Kabarettsektor zusammengearbeitet. Wir kennen uns natürlich schon lange.
Gibt es eine Verbindung zwischen Bernhards „Theatermacher“ und dem Kabaretttheater?
J.M.: Das ist eine gute Frage! Reines Kabarett ist es nicht, aber dieses Theaterstück hat schon durchaus kabarettistische Züge. Durch den Hintergrund, den es mitbringt, in der Art und Weise, wie es philosophiert, aber auch in manchen absurden Szenen.
Wie haben Sie die Auswahl der Szenen getroffen, die Sie interpretieren?
J.M.: Es hat sich rein praktisch ergeben. Letztendlich ist es das Stück von Peter Paleczek, der in Passau als „der Theatermacher“ gilt. Die Thomas-Bernhard-Freunde aus der Stadt haben ihn solang „bekniet“, er solle sich doch endlich mal diesen „Theatermacher“ vornehmen - weil er ihn immer wieder bei allen Gelegenheiten zitiert -, bis sie ihn endlich überzeugen konnten. Um das ganze Stück zu spielen, hätten wir aber mehrere Schauspieler gebraucht – die Frau und die Kinder des „Theatermachers“. Es wäre, unserer Meinung nach, doch etwas zu üppig gewesen. Wir kürzten es also auf den Eingangsmonolog, in dem nur der Wirt dabei ist, der nicht viel sagt – den spiele ich. Etwa wie im Spruch „Wer nichts ist und wer nichts kann, geht zur Post und Eisenbahn. Wer auch das nicht wird, wird Wirt.“ Unsere Adaptation endet an dem Punkt, an dem Bruscons Sohn und Tochter auftreten würden. Es sind rund neunzig Minuten Spielzeit, ohnehin auch für einen ambitionierten Laien sehr viel. Die Wesenszüge dessen, was Theater ausmacht und wie man darunter „leiden“ kann, wie man aber auch in die Irre laufen kann, das ist eigentlich alles gesagt.
Herr Paleczek, in der Ankündigung der Theateraufführung konnte man lesen, dass Sie sich im Stück in der Person des Bruscon wiederfinden. Wie ist die Vorgeschichte dazu?
P. Paleczek: Es gibt in der Tat eine gewisse Identität zu der Figur des Theatermachers und zu mir, weil der Theatermacher eine Anspielung auf seine Kindheit macht, die fast mit meiner übereinstimmt, was das Theater anbetrifft. Auch ich habe als Kind unter „schlimmen Repressalien“ und Spielverbot (seitens meiner Eltern und später im Internat) Theater gemacht. Es wurde über mich der Stab gebrochen „niemals mehr Theater!“, weil es für mich „verderblich“ sei. Kaum war aber mein Vater weg von zu Hause, ging es los. Mit sechs-sieben Jahren habe ich in meinem Zimmer eine Märchenbühne gestaltet, aus Moos, Steinen, Ästen, alles was für die Märchenumgebung passte, und habe dort Rumpelstielzchen gespielt. Meine Mutter klagte stets über wie entsetzlich das Zimmer aussah. Dann bekam ich fast wie in Bernhards Stück „Ohrfeigen, Hiebe, Kopfstücke väterlicherseits, totale gegenseitige Verachtung“. Mein Vater hat Kurzprozess mit meinem Theaterspielen machen wollen und hat mir schwere Möbel ins Zimmer gestellt, damit der Raum enger wird. Ich habe aber einen Nagel in den Schrank gehauen und habe ihn als Pfosten für den Bühnenvorhang benützt. Der Theatermacher war für mich eine Therapie.
Das ist das Eine. Das Zweite ist, dass ich in Passau eine großartige Aufführung gesehen habe, mit einem ganz bekannten Regisseur und einem hervorragenden Schauspieler in der Rolle des Bruscon. Sie fand in der Nibelungenhalle statt, einer ehemaligen Nazi-Halle die abgerissen werden sollte. Ein Ort an dem es sich wirklich sehr gut umsetzen ließ, wegen seiner Unwirtlichkeit und dem ganzen Ungeist, den diese Halle ausströmte. Das hat bei mir etwas in Gang gesetzt.
Einen Punkt muss ich noch erwähnen. Ich wollte natürlich auch den optimalen Ort für die Aufführung haben, der aber in Passau nicht so leicht zu finden war. Es sollte eine Baufälligkeit sein, ich zitiere: „bauwerkliche Hilfslosigkeit, Wände-Scheußlichkeit, Deckenfürchterlichkeit, Türen- und Fensterwiderwertigkeit“. Zufällig fanden wir den perfekten Ort im Gasthaus „Holzapfel“ in Münzkirchen. Es war der Saal, der genau so aussah wie Utzbach; diese Tiefdecke, diese hässlichen Tapeten, dieser knarrende Dielenboden, alles richtig „vermodert“! Dort haben wir gespielt und die Thomas-Bernhard-Pilgerschaften sind aus Passau zu uns gefahren. Nun führen wir das Stück zum ersten Mal im „sprachlichen“ Ausland auf. Österreich können wir nicht als Ausland bezeichnen, es liegt ganz nahe an Passau.
Sie haben als Kind trotz Verbot Theater gespielt. Was würden Sie einem jungen Theaterbegeisterten empfehlen? Reicht Leidenschaft, muss man viel Selbststudium einsetzen?
P.P.: Ich denke, der Theatermacher verkündet eine Botschaft: Es gibt keine Kompromisse. Man muss eigentlich alles liegen und stehen lassen, und das Theater trotz aller Nachteile betreiben, wenn man vom „Virus“ des Theaters besessen ist. Man muss es mit Ausschließlichkeit und Kontinuität machen!
J.M.: Man braucht eine unabdingbare kompromisslose Leidenschaft, selbst Risikobereitschaft, anders wird’s nichts. Wegen des Geldes darf man es überhaupt nicht machen, es ist unmöglich. Der größte Teil derer, die professionell Theater spielen, ist finanziell knapp ausgestattet. Wir sehen zwar diese Glanzknaben in den Filmen oder in großen Stücken, aber das ist nur ein kleiner Teil gegenüber all denen, die sonst ihr ganzes Herzblut dahin geben. Den Schülern rate ich es nicht; ich helfe ihnen nur, wenn sie sich davon nicht abbringen lassen.
Und sind das viele?
J.M.: Bis jetzt in meinem ganzen dreißigjährigen Berufsleben sind drei Leute ins Profifach gewechselt, allerdings erfolgreich. Andere sind begeisterte Theaterbesucher geworden, nehmen aktiv am Theater teil, beschäftigen sich weiterhin mit dem Theater. Ob der Eine oder Andere im Laienbereich etwas macht, kann ich nicht nachprüfen. Aber Profis sind es bisher drei in dreißig Jahren, einer pro zehn Jahre, nicht mehr.
Wie kommt „Der Theatermacher“ beim Publikum an?
J.M.: Im Großraum Passau war man davon begeistert. Hier ist es insofern ein Risiko, weil zum Teil das Publikum mit der Sprache vielleicht nicht ganz so perfekt vertraut ist. Es wird zwar übersetzt, aber wir wissen nicht, inwieweit die Ironie oder das Spiel mit der Sprache verstanden werden. Für uns ist das eigentlich spannend.
Sind Sie auf der Bühne aufgeregt?
P.P.: Nein, aufgeregt nicht, aber gespannt und unheimlich konzentriert.
J.M.: Für mich ist Theater vor allem ein großer emotionaler Ausgleich, ein „weg vom Alltag“.
Kann man Theater im Alltag verwenden?
J.M.: Manchmal. Man ist vielleicht extrovertierter, kann vor Publikum sprechen oder ist eher bereit, sich über sich selbst lustig zu machen. Sonst ist das Theater natürlich etwas ganz anderes als die Wirklichkeit.
Die Fragen stellte
Christine Chiriac
Foto: Peter Paleczek (links) und Joseph Meissner auf der Bühne des Kronstädter Kulturzentrums „Redoute“.
Foto: Christine Chiriac
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