Michael-Weiß-Gedenkfeier
Das Demokratische Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt (DFDKK), die Evangelische Stadtpfarrgemeinde A.B. Kronstadt (Honterusgemeinde) und das Kronstädter Johannes-Honterus-Lyzeum organisieren jährlich in Marienburg, beim sogenannten Studentendenkmal, die Michael-Weiß-Gedenkfeier.
Durch diese Feier wird an die Schlacht von Marienburg am 16. Oktober 1612 erinnert, in der, im Kampf gegen den Fürsten Siebenbürgens, Gabriel Bathory, der Kronstädter Stadtrichter Michael Weiß sowie Hunderte von Kronstädter Bürgern und Bewohnern der Burzenländer sächsischen Gemeinden, darunter auch Schüler („Studenten“) des Honterusgymnasiums, ihr Leben lassen mussten.
Die traditionelle Michael-Weiß-Gedenkfeier nimmt in unserem Gemeinschaftsbewusstsein den Stellenwert eines Volkstrauertags der Burzenländer Sachsen ein. Alljährlich gedenken wir in diesem Rahmen unserer Vorfahren, die in den mehr als acht Jahrhunderten dokumentarisch belegter Burzenländer Geschichte in der Heimat oder in der Fremde als Opfer von Terror und Gewaltherrschaft, von Diktatur, Krieg und Deportation ihr Leben lassen mussten.
In den letzten Jahren war es immer so, dass im Rahmen der Gedenkveranstaltung Schüler des Johannes-Honterus-Lyzeums in deutscher und rumänischer Sprache einen Text verlasen, in dem auf die Umstände der Schlacht von Marienburg sowie Sinn und Zweck der Michael-Weiß-Gedenkfeiern eingegangen wurde. Die Sprecher im Rahmen der Zeremonie vom 16. Oktober 2017 waren Valeria Orleanu (XI.A-Klasse) und Sebastian Sifft (XII.C-Klasse). Ihre Ansprache hatte folgenden Wortlaut:
Anlässlich unserer alljährlichen Michael-Weiß-Gedenkfeiern erinnern wir an die Schlacht, die am 16. Oktober 1612 hier bei Marienburg stattgefunden hat. In dieser Schlacht ließen ihr Leben der Kronstädter Stadtrichter Michael Weiß sowie Hunderte von Bürgern Kronstadts und der umliegenden sächsischen Ortschaften des Burzenlandes. Auf dem Schlachtfeld starben auch Schüler, sogenannte „Studenten“, des Honterusgymnasiums. Deren Zahl wird in den geschichtlichen Quellen unterschiedlich angegeben, einige nennen 39, andere 22.
Wie kam es zu dieser Schlacht bei Marienburg, in der Michael Weiß und der siebenbürgische Fürst Gabriel Bathory einander gegenüberstanden? Kronstadt war in jener Zeit – wir zitieren die bekannte Kronstädter Historikerin Maja Philippi - „die volkreichste und bedeutendste Handelsstadt Siebenbürgens“, sie verfügte über ausgedehnten feudalen Grundbesitz und hielt zu ihrer Verteidigung eigene Söldner, die im Kriegsfall vermehrt wurden. Innerhalb Siebenbürgens nahm Kronstadt eine wichtige politische Stellung ein. „Die Stadt“, schrieb Maja Philippi, „unterhielt selbständige Beziehungen zu den beiden rumänischen Fürstentümern, ja selbst zur Hohen Pforte.“ An der Spitze dieser „Stadtrepublik“, die z.B. als Zeichen ihrer Eigenständigkeit auch eigene Münzen prägte, stand der Stadtrichter, der jährlich neu gewählt wurde. Die kollektiven Leitungsgremien der Stadt waren der 16 Mitglieder zählende Stadtrat oder Senat, der vom reichen Patriziat belegt war, und die Hundertmannschaft, durch den der Handwerkerstand gewisse administrative und Kontrollrechte ausübte.
Im Jahr 1608 bestieg Gabriel Bathory, damals erst 18 Jahre alt, den siebenbürgischen Fürstenthron. Alsbald zeigte er sein wahres Gesicht, das eines Tyrannen, der alles dransetzte, die wohlhabenden siebenbürgisch-sächsischen Städte zu besetzen und die Siebenbürger Sachsen ihrer verbrieften Rechte zu berauben. Mit List und Tücke gelang es Bathory im Dezember 1610, Hermannstadt einzunehmen und zu seiner Residenz zu machen. In der „Chronik der Stadt Hermannstadt“ von Emil Sigerus lesen wir: „Bathori lässt die Mitglieder des Magistrates und der Kommunität ins Gefängnis werfen. Er verbannt die Bürger aus der Stadt.“ Nun richtete Bathory seinen Blick auf Kronstadt. Wiederholt fiel er mit seinem Heer im Burzenland ein und verwüstete die hier befindlichen Dörfer. Das stark befestigte Kronstadt weigerte sich aber, seine Tore zu öffnen.
Die Nachwelt hat sich immer wieder gefragt, ob Michael Weiß richtig gehandelt hat, als er sich im Herbst 1612 entschloss, Bathorys Heer im Kampf auf offenem Felde gegenüberzutreten. „Wer es gelernt hat, mit Maß zu handeln, der wird’s nicht bereuen“, hatte Michael Weiß selber drei Jahre vor Marienburg in einem Gedicht geschrieben. Hat Michael Weiß im Herbst 1612 mit Maß gehandelt? Aus heutiger Sicht ist das schwer zu beurteilen. Es gibt sicher Gründe, die die Vorgangsweise des Kronstädter Stadtrichters rechtfertigen können. Die Historiker sind sich darin einig, dass Kronstadt einen weiteren Winter unter den Bedingungen der Belagerung durch Bathorys Truppen nicht überstanden hätte. Außerdem gab es im Laufe des Jahres 1612 außenpolitische Entwicklungen, die eine Schwächung der Position Bathorys andeuteten und Michael Weiß veranlassten, von der Verteidigung zum Angriff überzugehen.
Die Schlacht bei Marienburg ging bekanntlich verloren. Trotzdem konnte Bathory Kronstadt nicht einnehmen, die Tore der Stadt blieben verschlossen, und ein Jahr darauf, im Oktober 1613, war der Spuk zu Ende: Bathory wurde von seiner eigenen Leibgarde ermordet.
Die Kronstädter haben ihren Stadtrichter und ihre Mitbürger, die auf dem Schlachtfeld für die Freiheit ihrer Vaterstadt gefallen sind, nicht vergessen. Im Herbst des Jahres 1913 wurde hier in Marienburg das Studentendenkmal eingeweiht, und in der Zwischenkriegszeit hat hier jährlich am Stichtag, dem 16. Oktober, eine Gedenkfeier stattgefunden, für deren Organisation der Coetus Honteri, die Schülerselbstverwaltung des Honterusgymnasiums, zuständig war. Im Jahr 1998, nachdem das Studentendenkmal mit Mitteln der Siebenbürgisch-Sächsischen Stiftung restauriert worden war, wurde die Tradition dieser Gedenkfeiern wieder aufgenommen. Sicherlich: Die Gedenkfeiern hier in Marienburg, so wie wir sie heute ausrichten, unterscheiden sich in Gehalt und Gestalt gründlich und in mehrfacher Hinsicht von jenen aus der Zwischenkriegszeit. Ganz sicher geht es uns heute nicht mehr darum, den Tod auf dem Schlachtfeld zu glorifizieren. Wohin die Verherrlichung und Verklärung des Heldentodes geführt haben, ist aus der Geschichte des 20. Jahrhunderts hinlänglich bekannt. Vielmehr wollen wir uns alljährlich hier in Marienburg unserer Vorfahren erinnern, die in den mehr als acht Jahrhunderten dokumentarisch belegter Burzenländer Geschichte in der Heimat oder in der Fremde als Opfer von Terror und Gewaltherrschaft, von Diktatur, Krieg und Deportation ihr Leben lassen mussten. In diesem Sinne nimmt die Michael-Weiß-Gedenkfeier hier in Marienburg in unserem Gemeinschaftsbewusstsein den Stellenwert eines Volkstrauertages der Burzenländer Sachsen ein.
Not und Leid vergangener Zeiten dürfen nicht vergessen werden, damit sich Derartiges nicht wiederholen kann. So gesehen, ist das Studentendenkmal, vor dem wir heute stehen, ein Mahnmal – nicht das einzige hier in Marienburg. Bei der Ausfahrt Richtung Rothbach, rechter Hand, steht ein großes Kreuz. Dort befindet sich eine Gedenkstätte, die einerseits an in der Kriegsgefangenschaft gestorbene Sowjetsoldaten erinnert, andererseits daran, dass das Marienburger Kriegsgefangenenlager im Herbst 1944 in ein Internierungslager umfunktioniert wurde, in das Tausende von Menschen, hauptsächlich Ungarn und Deutsche, gesperrt wurden. Die Lebensbedingungen waren derart grausam, dass dort rund 300 Häftlinge den Tod gefunden haben. Sie alle, Kriegsgefangene und internierte Zivilisten, wollen wir heute in unser Gedenken einschließen.
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