APOLLONIA-HIRSCHER-PREISVERLEIHUNG 2005
„Das Außergewöhnliche dieses Lebens liegt in der Breitenwirkung…“
Laudatio auf Krista Sudrigian/Von Dr.-Ing. Dieter Simon
Nachdenkliche Köpfe haben herausgefunden, dass die rasante Entwicklung der menschlichen Gesellschaft darauf beruht, dass der Mensch zwei Wege besitzt, Errungenes zu vererben. Außer seinen Genen kann er auch erworbenes Wissen über die Sprache und Tradition vererben – daher der immense Schaden, den weiträumige, zerstörerische Kriege quasi nebenbei anrichten, und daher auch die überragende Bedeutung unserer Lehrer und besonders jener, die zu den Bewahrern gehören.
Wir feiern heute Frau Krista Sudrigian, Preisträgerin des Apollonia-Hirscher-Preises des Jahres 2005, im dargelegten Sinne als Pädagogin und Kronstädterin.
Frau Krista Sudrigian, geborene Klöck, wurde am 4.09.1934 in Kronstadt geboren, verwaiste im Alter von 13 Jahren – der Vater starb in der Deportation in Russland – und lebte dann anschließend in der Familie ihrer Großeltern mütterlicherseits.
Sie hatte das Glück, 1948-52 das neugegründete Deutsche Lyzeum in Kronstadt zu besuchen, eines der zwei wieder zugelassenen deutschsprachigen Lyzeen nach dem Kahlschlag des letzten Weltkrieges, in dessen 8. Klasse 50 Schüler aufgenommen wurden. Nach einem kurzen Intermezzo als Hilfslehrerin in Wolkendorf folgte 1953/57 das Studium der Geografie und Geologie in Klausenburg, wo sie auch ihren späteren Mann kennenlernte, und dann 1957 die Zuteilung in die Allgemeinschule Nr.4 in Kronstadt, die später im wieder begründeten Honteruslyzeum aufging und wo sie 37 Jahre lang, bis zu ihrer Pensionierung im Jahre 1990, als Fachlehrerin unterrichtete. Ein Leben also wie viele andere dieser Jahre auch: ein Start mit persönlichem Leid und letztendlich doch eine versöhnliche Fortsetzung, denn sie durfte studieren, konnte eine Familie gründen und hatte ein schönes Wirkungsfeld.
Das Außergewöhnliche dieses Lebens liegt in der Breitenwirkung: Es sind wahrscheinlich mehrere Tausend Schüler vor ihr gesessen, haben aufgepasst oder auch nicht aufgepasst, waren willig oder störrisch, haben aber, ob sie das nun wollten oder nicht, bewusst oder unbewusst, die Prägung ihrer starken Persönlichkeit erfahren.
Ihr Unterricht war nicht nur ein Vermitteln von Worten, Sätzen und Begriffen, sondern insbesondere auch durch die unermüdlich organisierten Ausflüge, durch die Klassenstunden ein Formen und Gestalten – wie bei allen starken Persönlichkeiten am kräftigsten dort, wo es ohne Worte geschah, durch stillschweigendes Beispiel.
Es gab bei Frau Sudrigian, bei allem Eingehen auf ihre Schüler, keine augenzwinkernde Komplizität, keine bis zur Konturlosigkeit aufgeweichten Wertvorstellungen, kein „so als ob“. Ohne Emphase trug sie damit den Geist einer ehrwürdigen, Jahrhunderte alten Schulanstalt durch trübe Jahre und hat damit heutigen, nicht weniger trüben Zeiten vorgelebt, wie man tradierte Werte sichtet, prüft und zum Nutzen kommender Zeiten weitergibt. Ihre Schüler wissen das zu würdigen und freuen sich, dieses heute auch öffentlich zu tun.
Die ersten schweren Jahre nach der Wende, die für unsere Gemeinschaft einen viel drastischeren Umbruch brachten als der sogenannte Umsturz – damals ging es für Einzelne um Leben und Tod, heute ist die ganze Gemeinschaft in Frage gestellt –, haben Frau Sudrigian wieder dort vorgefunden, wo es Arbeit in der Gemeinschaft gibt: bei der Gründung des Forums, als langjährige Leiterin des viel beachteten Handarbeitskreises, in Diakonie und karitativer Tätigkeit. Die Selbstverständlichkeit, mit der all dieses geschah und geschieht, das unbeirrte Festhalten an Werten wie Freundschaft, Gemeinschaft und prinzipiellem Vertrauen, trotz möglicher Enttäuschungen in schwankenden Zeiten, hat mit Bestimmtheit vielen Verunsicherten und Gefährdeten Kraft und Lebensmut gegeben.
Gemeinschaften leben von Geben und Empfangen. Geben heute auch wir, die lange Jahre hindurch empfangen durften, etwas davon als Anerkennung und Zuneigung zurück und erinnern wir uns, dass wir über unser Heute hinaus, tief in die Vergangenheit hinein, in einer langen Kette von Gebenden stehen, die uns geistige Wesen einer bestimmten Prägung werden ließen.
Jede Generation hat aufs Neue die Chance und die Möglichkeit, sich dieses Reichtums zu freuen, ihn zu prüfen, aber auch als Dank an das Schicksal weiter zu reichen.
Unserer Preisträgerin aber wünschen wir noch viele Jahre rüstiger Tätigkeit und sind gewiss: Es wird an Gelegenheiten, sich einzubringen, auch weiterhin nicht fehlen.
Kronstadt, 25. Februar 2006
(Karpatenrundschau, 4. März 2006)
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