70 Jahre seit der Deportation in die Sovjetunion
11.01.2015 – Festsaal des Demokratischen Forum der Deutschen in Kronstadt
Thomas Sindilariu

Sehr geehrte Damen und Herren, verehrte Gäste,
70 Jahre und ca. 6-7 Stunden ist es her, seit sich das unerbittliche Räderwerk der Aushebung in Kronstadt zu drehen begann. 1.785 Kronstädter reihten sich in das rund 30.000 Personen umfassende Kontingent von Siebenbürger Sachsen ein, die Kinder und Familie, Arbeit und Heimat zurücklassen mussten, um als Zwangsarbeiter für den sogenannten Wiederaufbau in der Sowjetunion eingesetzt zu werden. Dies der Anlass für unser heutiges Zusammenkommen, für unser Gedenken.
Ja, es ist mehr ein Gedenken denn ein Erinnern. Die Generationen der Deportierten selbst kommen uns leider zunehmend abhanden – und doch ist uns das Gedenken bezogen auf dieses Ereignis in der Geschichte unserer kleinen Gemeinschaft von zentraler Bedeutung. Kaum ein anderes Ereignis hat den Lebensnerv unserer Gemeinschaft so zentral getroffen, wie die Deportation vor 70 Jahren. Es gehört zu meinem Erinnerungsschatz aus Kindestagen, dass die damals Alten die Köpfe zusammensteckten und mit gedämpfter Stimme über Deportiertenschicksale sprachen. In der Rückschau stelle ich fest, dass dies Gespräche waren, die immer wieder ins Stocken gerieten, über einen gewissen Punkt nicht hinaus kommen konnten. Die Menge der vor allem in den letzten 25 Jahren erschienenen Erinnerungen und Versuche der literarischen Verarbeitung der Deportation ist überwältigend, ihre Lektüre schwere Kost, denn diese Texte haben eines gemeinsam mit den Gesprächen, denen ich als Kind lauschte: sie ringen mit dem Unsagbaren, dem Unsagbaren des Leids und der Entwürdigung des Menschen. Hierin gleichen die 2009 Nobelpreisgekrönte „Atemschaukel“ von Oskar Pastior und Herta Müller den Gesprächen der alten Sachsen.
Die Dokumentation der Schicksale der Einzelnen bleibt nach wie vor wichtig als Beleg für Menschenverachtung im Namen der Ideologie, das möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich unterstreichen. Zugleich erfährt das Gedenken an die Deportation einen Wandel hin zu einem Bestandteil unserer minderheitlichen aber auch staatlichen Erinnerungskultur, was sich auch im Ablauf unserer gemeinsamen Stunden heute widerspiegelt.
Im Anschluss an die Vorstellung der Gedenktafel der Opfer der Honterusgemeinde während des Zweiten Weltkrieges und der Deportation durch Stadtpfarrer Christian Plajer werden die Altkuratorin der Honterusgmeinde, Gundel Einschenk und mein Kollege im Archiv der Honterusgemeinde, Bernhard Heigl, eine vorläufige Fassung des Gedenkbuches der Opfer des Zweiten Weltkrieges und der Deportation aus den Reihen der Honterusgemeinde vorstellen. Dieses liegt in drei Exemplaren vor und kann im Anschluss eingesehen werden. Das Gedenkbuch ist ein gemeinsames Anliegen, das das Demokratische Forum der Deutschen in Kronstadt und die Heimatgemeinschaft der Kronstädter in Deutschland vor knapp 10 Jahren formuliert haben. Daher wird auch ein Grußwort der Heimatgemeinschaft verlesen werden. Auch wenn noch einiges an Nacharbeit an diesem Projekt zu bewältigen ist, so möchte ich doch an dieser Stelle im Namen des Forums die Freude über das Erreichte und den Dank an alle Mitarbeiter hier und in Deutschland zum Ausdruck bringen.
Neue historische Aspekte über das Deportationsgeschehen sind insbesondere aus dem vom Nationalen Rat zum Studium der Securitate-Archive (CNSAS) verwalteten Hinterlassenschaft des kommunistischen Geheimdienstes zu erhoffen. Es ist mir daher eine besondere Freude mit Professor Claudiu Secaşiu einen Vertreter des Beirates bzw. Kollegiums des CNSAS unter uns begrüßen zu dürfen. Er wird heute als letzter Redner das Wort ergreifen. Ich möchte seiner Institution, in der ich Einiges erforschen konnte, herzlich danken, dass das Material für die Ausstellung in äußerst kollegialer und pragmatischer Weise in nur 5 Wochen und trotz der vielen Feier- und Urlaubstage zur Verfügung gestellt werden konnte. Ein besonderer Dank geht daher an die Abteilung für Ausstellungen, namentlich an Frau Cristina Anisescu, Frau Denisa Budeanca und last but not least an Herrn Liviu Burlacu. Die hausbackene Präsentationsweise ist mitunter dem Zeitdruck zuzurechnen, beeinträchtigt den historischen Gehalt der Dokumente glücklicherweise aber nicht.
Sie werden bei der Besichtigung der Ausstellung sehen, dass es sehr mannigfaches Archivmaterial ist, das hier in Kopie gezeigt werden kann. Allgemein Bekanntes werden sie antreffen, aber auch tiefe Einblicke in das Leben unserer Minderheit, da mit geheimdienstlichen Methoden verschiedene Momentaufnahmen und –Stimmungen festhalten worden sind. Folgen sie bei der Besichtigung den roten handschriftlichen Zahlen – lokale Details kommen ab Nummer 4. Mit Blick auf die Ausstellung möchte ich noch vorausschicken, dass es kaum ein historisches Quellenmaterial gibt, das eine derart vorsichtige wie gründliche eben quellenkritische Analyse der Akten erfordert, wie die Akten der Geheimdienste. Abschnittsweise liegen die Angaben der Akten unglaublich nahe an der historischen Realität, oft hinken sie der Entwicklung Monate hinterher. Ein Fall dieser Art werden sie auf der letzten Tafel der Ausstellung finden. 5 Monate verstrichen, ehe der Geheimdienst vom Rundschreiben des Landeskonsistoriums vom 29. Oktober 1945 erfuhr, dass die Pfarrämter zur Evidenzführung der Deportierten anhielt, weitere 3 Monate vergingen, ehe es gelang eines Exemplars des Rundschreibens habhaft zu werden. Das Listenformular, das damals an die Pfarrämter verschickt wurde, ist genutzt, die Daten in Hermannstadt konzentriert worden. 1009 Namen meldete die Honterusgemeinde, weitere 445 Bartholomä – bis 1.785 bleibt eine Fehlmenge von 331, wofür Erklärungen gesucht werden müssen, etwa in der Zeitverschiebung zwischen Deportation und Listenerstellung. Was ich damit sagen möchte: setzen sie die hier gebotenen Informationen, v.a. mit Blick auf Zahlen nicht absolut! Die vollständigen Listen zu Kronstadt inkl. Bartholomä, die ab Ende 1945 im Landeskonsistorium eingingen, können sie in diesem Ordner einsehen. Eine weitere Liste ist hier beigegeben, die das CNSAS zur Verfügung gestellt hat und woraus Rückkehrer nach Kronstadt ersichtlich sind. 
Weitere Details möchte ich ihnen ersparen, wobei ich gestehen muss, dass die Fortschreibung der Ausstellung gerade im letzten skizzierten Fall Freude bereitet hat. So viel sei jedoch noch gesagt, die Ausstellung kann eine Weile hängen bleiben, sie muss also nicht unbedingt heute von allen Anwesenden vollständig gelesen werden.
Die Deportation von rund 30.000 Siebenbürger Sachsen in die Sowjetunion ist als erste große Maßnahme der kommunistischen Macht gegen eine als feindlich eingestufte Gruppe in Rumänien einzuordnen. Sie ist freilich noch ganz der Logik des andauernden Krieges gegen das Dritte Reich verhaftet. Dennoch, vor 70 Jahren wurden Bürger dieses Landes, die in dieser Eigenschaft Anspruch auf Schutz durch ihren Staat hatten der Sowjetunion ausgeliefert. Ein klares Unrecht für dessen Wiedergutmachung sich das Demokratische Forum der Deutschen in Rumänien seit einem Viertel Jahrhundert durchaus erfolgreich eingesetzt hat. Bis jedoch die Thematik der Deportation einen festen Platz in der Erinnerungskultur dieses Landes gefunden hat, muss noch einiges geschehen. Hoffnungsvoll stimmt in dieser Hinsicht die Tatsache, dass die vielbeachtete erste Amtshandlung unseres neuen Staatspräsidenten die Verleihung des Ordens „Stern von Rumänien“ an den Vorsitzenden des Vereins der Ehemaligen Politischen Häftlinge, Octav Bjoza, war, da dieser Verein auch die Interessen der Deportierten wahrzunehmen versucht.